Der Berliner Architektin Ursulina Schüler-Witte zum 85. Geburtstag
von Ralf Liptau und Frank Schmitz
Wann sind Sie das letzte Mal mit dem Auto oder der Bahn am Internationalen Congress Centrum (ICC) in Berlin vorbeigefahren? Oder, ebenfalls über eine Stadtautobahn, am Turmrestaurant im Süden Berlins, dem „Bierpinsel“? Wenn Sie dorthin die U-Bahn nehmen, können Sie auch direkt ins Gebäude fahren und steigen sozusagen im Untergeschoss, im U-Bahnhof Schloßstraße, aus. Wer sich in Berlin durch die Stadt bewegt, dem stechen immer wieder die ikonischen Bauten des Architektenpaars Ursulina Witte (später Schüler-Witte) und Ralf Schüler ins Auge. Das West-Berlin der 70er ist Pop! Und daran hatten die beiden erheblichen Anteil: Die Bedeutung von ICC, Bierpinsel und Co für ein „hippes“ Berlin fand zuletzt Eingang in den aktuellen Berlin-Tatort vom vergangenen Dezember, in dem alle drei Bauten prominent auftauchen.
15 Studenten, davon zwei Mädchen
Aber erstmal musste Ursulina Witte – 1933 in Berlin geboren – in den 1950er Jahren Architektin werden: Sie studierte an der Technischen Universität Berlin bei Bernhard Hermkes. „Wir waren“, so schreibt sie rückblickend, „in unserem Semester nur fünfzehn Studenten, davon zwei Mädchen. Da ich eigentlich sehr schüchtern war, gab ich mich, um dies zu überspielen, im Seminar immer recht burschikos. Ich ‚kloppte‘ mit meinen Kommilitonen Skat […] und gab mir alle Mühe, als ‚trinkfest‘ zu gelten.“ Als Frau in den Nachkriegsjahren an einer Technischen Hochschule zu studieren – Architektur zu studieren –, das war nicht einfach. Und es war vor allem nichts Selbstverständliches. Trotzdem ging es nach Wittes Diplomprüfung im Jahr 1960 bald los: Sie wurde Mitarbeiterin im Architekturbüro von Hermkes – genau wie ihr späterer Mann Ralf Schüler. Gemeinsam erarbeiteten sich die beiden den ersten eigenen Auftrag für den Entwurf des U-Bahnhofs Schloßstraße und die darüber liegende, mehrspurige Straßenbrücke. Sie erweiterten das komplexe, aus ober- und unterirdischen Teilen bestehende Bauwerk durch einen stadtbildprägenden, knallroten Turmbau mit Restaurant in den oberen Stockwerken („Bierpinsel“), der heute als Wahrzeichen von Steglitz gilt.
Ein Stadtbauwerk
Mit dem neuartigen Erscheinungsbild von Bierpinsel und U-Bahnhof verabschiedeten sich die Architekt_innen früh vom (nachkriegs-)modernen Ideal rationalistischer Planungen mit ihren strengen Rasterfassaden. Unter internationalen Einflüssen etwa durch die aufkommende „High-Tech-Architektur“ haben sie ein für die Zeit neuartiges Verständnis von architektonischer Gestaltung aufgegriffen und innovativ mit einem als „Pop-Architektur“ bezeichneten Ansatz verknüpft: Sie zeigten sich offen für die Möglichkeiten neuartiger Baustoffe, etwa als sie für den U-Bahnhof Schloßstraße plastische Schriftelemente aus knallblauem Kunststoff entwarfen und der Station damit ihren unverwechselbaren, spielzeughaften Charakter verliehen. Ziel ihrer Gestaltung war es, die separaten Funktionen von U-Bahnstation, Läden, Brücke und Turm in ein „polyfunktionales, vielen öffentlichen Bedürfnissen dienendes Stadtbauwerk“ umzuwandeln. Tatsächlich ist es Ursulina Schüler-Witte und Ralf Schüler gelungen, mit dem 1976 eröffneten Ensemble eine mit der vorhandenen Stadt verflochtene Struktur zu schaffen. Hier vermischen und kreuzen sich eine Vielzahl unterschiedlicher, gebündelter Nutzungen sowohl innerhalb des Bauwerks als auch zwischen Bau und Stadt.
Auf allen Ebenen
„Begegnung und Kommunikation auf allen Ebenen“ – so könnte der Slogan für den Steglitzer Bau also heißen. In Wahrheit handelt es sich dabei aber um einen aus dem Jahr 1999 stammenden Werbespruch für das Internationale Congress Centrum. Mit dem ICC, das 1979 neben dem Messegelände und dem Funkturm eröffnet wurde, haben sich Schüler-Witte und Schüler endgültig in das Berliner Stadtbild und in die europäische Architekturgeschichte der Nachkriegszeit eingeschrieben. „Flexibel in Raum und Zeit, Technik und Service“, „Auf Knopfdruck vom Tagungsraum zum Ballsaal“, „Mittendrin in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“ heißen die anderen beschreibenden Slogans, mit denen das ICC in der Broschüre noch 20 Jahre nach Eröffnung beworben wurde. Natürlich sind dies werbende Formulierungen. Dennoch zeigen sie, dass es auch in den späten 1990er-Jahren noch genau die Stichworte waren, die sich mit dem Konzept des „polyfunktionalen Stadtbauwerks“ zusammenfassen lassen.
Ein ikonischer Superbau
Seit seiner vorübergehenden Schließung 2014 und der darauffolgenden Diskussion über Umbau, Erhalt oder gar Abriss ist das ICC immer wieder als ästhetisches und funktionales Gesamtkonzept hoch gelobt worden. Als futuristischer, ikonischer Superbau ist er beschrieben worden, als Meisterwerk eines architektonischen Technizismus, der seine prominenteste Realisierung mit dem – übrigens später entworfenen – Centre Pompidou in Paris gefunden hat. Mit einer teils bis heute einzigartigen Raum- und Bühnentechnik, mit unterschiedlichsten Raumangeboten, mit nutzungsoffenen Lobbybereichen, mit der Einbindung sämtlicher Verkehrs- und Erschließungskanäle in das Gebäude und mit dem gestalterischen Bezug auf den Funkturm erfüllt das ICC genau diejenigen Eigenschaften des „polyfunktionalen Stadtbauwerks“, die Schüler-Witte/Schüler bereits an ihrem Steglitzer Erstlingswerk erprobt hatten.
Arbeit im Duo
Die komplexen Lösungen gingen aus der Arbeit im Duo hervor, wie Ursulina Schüler-Witte betont: „Ralf war der geniale, äußerst innovative und kreative Architekt und der detailsichere Konstrukteur, während ich ihn oft mit meinen unkonventionellen und phantasievollen Einfällen überraschte.“ Einfälle, die das Werk des Architekt_innenpaars für Berlin zu dem gemacht haben, was es ist. Und das ist übrigens auch heute wieder gefragt: Über die Zukunft des ICC wird in der Berliner Landesregierung heftig diskutiert, die Unterschutzstellung ist nur eine der dort erwogenen Möglichkeiten. Unterdessen ist der Bierpinsel mitsamt Straßenbrücke und U-Bahnhof Schloßstraße im vergangenen Jahr in die Denkmalliste eingetragen worden. Kurz zuvor hatten die Berliner Verkehrsbetriebe den U-Bahnhof unter Missachtung des Urheberrechts noch weitgehend entkernt, seitdem drücken sie sich vor der geforderten Wiederherstellung. In die Debatte um ihre Bauten hat sich Ursulina Schüler-Witte in den vergangenen Jahren wiederholt eingebracht. Am heutigen 2. Februar feiert sie in Berlin ihren 85. Geburtstag. (2.2.18)