von Tobias Flessenkemper mit Fotos von Gregor Zoyzoyla

Das einst beschauliche Fischerdorf Wörth am Rhein wurde 1977 zur Stadt. Im neu gegründeten Rheinland-Pfalz waren die pfälzischen Landesteile in der Nachkriegszeit wirtschaftlich unterentwickelt. Ziel der Ministerpräsidenten Peter Altmeier (1947-69) und Helmut Kohl (1969-76) war die (industrielle) Entwicklung des gesamten neuen Bundeslands. In Wörth gelang der Coup, als sich hier in den 1960er Jahren das weltweit größte Mercedes-Benz LKW-Montagewerk ansiedelte. Die Region wurde zudem europäisches „Ölkreuz“, an dem Pipelines aus Marseille, Triest und Genua zusammenliefen. 1970 eröffnete dann Mobil Oil eine Groß-Raffinerie. Industrieansiedlungen und das Wachstum der Oberrhein-Region um Karlsruhe ließen die Bevölkerung explodieren: Zwischen 1950 und 1970 verdoppelte sie sich und wuchs auf heute über 17.000 Menschen an. Wörth war zur Boom-Town des Ölzeitalters geworden.

Die „neue Stadt“ im Wald

Wörth entschloss sich, einen neuen Stadtteil auf dem östlich gelegenen Dorschberg „im Wald“ oberhalb des am Altrhein gelegenen historischen Orts zu errichten. Mit dem neuen Rathaus wurde aber auch signalisiert, dass der Dorschberg mehr als eine Trabantenstadt sein sollte. Er erhielt wichtige Schulen und Kirchen, eine Einkaufspassage, Sport- und Grünanlagen. In zwei Bauabschnitten entstand zwischen 1967 und 1975 das heutige Europa-Gymnasium nach Entwürfen des Architekten Egon Seidel. Die Jury lobte den Entwurf als gelungenen Schwerpunkt eines zukünftigen Stadtzentrums.

In der Wörther Ortschronik heißt es weiter: „Kultusminister Dr. Bernhard Vogel bezeichnete in seiner Festrede den Bau des Gymnasiums in Wörth als so bedeutsam für das südostpfälzische Industriegebiet wie die Gründung der Universität in Kaiserslautern in der Pfalz“. Außerdem entstanden Anfang der 1970er Jahre das Rathaus gegenüber dem Gymnasium, die katholische Pfarrkirche St. Theodard (1969-73) von Alois Atzberger und verschiedene Wohnquartiere für leitende und höhere Angestellte der Industrie und Arbeiterfamilien. Die moderne Stadtlandschaft auf dem Dorschberg wurde natürlich autogerecht angelegt, zum Ausgleich gab es u. a. einen zentralen Stadtpark und eine autofreie Fußgängerzone.

Amtlich geprüft

Vor Ort ist man heute besorgt um den Erhalt dieses qualitätvollen Erbes. Auch der Arbeitskreis Nachkriegsmoderne des RVDL (Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz) engagiert sich für die nachkriegsmodernen Bauten auf dem Dorschberg. Vor diesem Hintergrund prüft die Generaldirektion für Kulturelles Erbe des Landes Rheinland-Pfalz (GDKE) seit August 2018 die Denkmalwürdigkeit des Europa-Gymnasiums und anderer Teile des Ensembles. Eine Inventarisation hat noch nicht begonnen und auch die Namen von Architekten und Künstlern sind noch nicht alle bekannt. Doch bereits jetzt überzeugen die Bauten – entstanden zu einer Zeit, als die Steuereinnahmen noch flossen, als Kunst am Bau verpflichtend war für öffentliche Projekte – durch ihre hohe Qualität vom architektonischen bis zum ausstattenden Detail. (24.8.18)

Literatur

Orts-Chronik Wörth am Rhein, Band 1, 1983, hierin: S. 1690.

Der Arbeitskreis Nachkriegsmoderne des RVDL (Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz) freut sich über Hinweise, Bilder, Zeitungsausschnitte oder weitere Informationen über Wörth am Rhein und Dorschberg.

Der Dank des Autors für erste Informationen geht an Gregor Zoyzoyla, Philipp Ost, Cordula Schulze und Sascha Köhl.

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