Eigentlich ist die Sache ganz einfach: In den letzten Jahren hat sich unsere religiöse Landschaft sichtbar verändert. Die traditionellen Institutionen verlieren an Präsenz, die (bislang) kleineren Gemeinschaften und freieren Äußerungsformen hingegen nehmen mehr Raum ein, auch im Bild der modernen Stadt. So zumindest der gemeinsame Nenner von gleich drei Publikationen, mit denen sich drei universitäre Forschungsprojekte zur Jahreswende zu Wort melden. Als Überbegriff reaktivieren alle drei Bücher die Sakralität, füllen sie jedoch unterschiedlich. Aber, der Reihe nach.

Zwischen Aachen und Leipzig

Für das DFG-Forschungsprojekt “Transara” haben sich die Universitäten Bonn und Leipzig zusammengetan, um das Thema der Sakralraumtransformation auszuloten. Ausgehend von den aktuellen Umbrüchen im Kirchenbau, wird der theologisch-kunsthistorische Blick hier bewusst auch religionswissenschaftlich geweitet. Nicht die vollzogenen Umnutzungen rücken in den Mittelpunkt, sondern der Weg dorthin. Am Ende soll nicht weniger stehen als eine Neudefinition des Sakralitätsbegriffs. Herausgegeben vom Bonner Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards, wurden nun die Ergebnisse der ersten Transara-Tagungen in einer Publikation zusammengefasst (der weitere folgen sollen). Exemplarisch hat man dafür zwei urbane Gebiete herausgegriffen: Aachen und Leipzig. Auf jeden Fachbeitrag zu einem externen Projekt, darunter auch das moderneREGIONAL-Projekt invisibilis, antwortet im Aufsatzband jeweils ein:e Vertreter:in aus dem Transara-Kreis. So kommen konkrete Beispiele zu Wort, vom Erfahrungsbericht aus einem Bistum bis zu den Nutzungsformen Columbarium oder Raum der Stille. Und immer wieder wird die Frage nach der Sakralität umkreist. Ihr paradoxer Anspruch, ein Haus für den Unbehausten zu bauen, wird etwa am Beispiel der modernen Zeltkirchen veranschaulicht – was zu so wundervollen Stellen wie dem (von Christian Bauer eingeführten) Zitat des Theologen Matthias Sellmann führt: “Gott weltet, indem er zeltet.”

Stadt der Religionen

Wo Transara aus der kirchlichen Binnensicht nach außen blickt, hat das DFG-Forschungsprojekt “Sakralität im Wandel (Sawa)” – eine Kooperation der Architekturgeschichte an der Uni Dortmund mit dem Bochumer Centrum für religionswissenschaftliche Studien (CERES) – von Anfang an bewusst die Außenperspektive gewählt. Untersucht wird die Frage, wie sich die drei großen monotheistischen Religionen im Stadtbild des 21. Jahrhunderts wiederfinden. Dafür wurden empirische Daten ab den 1990er Jahren zurate gezogen – etwa bereits bestehende Datensammlungen wie bei der Wüstenrot Stiftung und beim moderne-REGIONAL-Projekt invisibilis, ergänzte um eigene Beobachtungen und Recherchen. Sawa hat die Projektergebnisse nun veröffentlicht, herausgegeben von der Architektin und (Kunst-)Historikerin Beate Löffler (Dortmund) und der Religionswirtschaftlerin Dunja Sharbat (Bochum). Zu Beginn werden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zusammengefasst, dann gehen ausgewählte Fallbeispiele in eine vertiefende Analyse, um zuletzt systematisch-theoretische Einordnungen und Ausblicke anzubieten. Für die beiden Religionswissenschaftler Martin Rademacher und Volkhard Krech ist der Sakralbau hier gleichzusetzen mit religiös genutzten Bauten. Und der Architekturhistoriker Wolfgang Sonne arbeitet heraus, wie sich der Sakralbau in natürlichen Bau-Eigenschaften ausdrücken kann – wie Höhe, Größe, Massivität und Sichtbarkeit, aber auch Zentralität, Axialität und Zugänglichkeit.

Schweiz international

Gefördert vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF), forschte ein Projekt von 2014 bis 2017 zu “Transformationen städtischer Sakraltopographien in der Schweiz von 1850 bis 2010”. Am Ende standen nicht nur Überblickskarten der Entwicklung in acht Städten. Angeregt durch diese Arbeit, gründete man zudem den Schweizer Kirchbautag, der das Thema seitdem kontinuierlich weiterträgt. Die Ergebnisse der Abschlusstagung des SNF-Projekts wurden nun vom Kunsthistoriker Johannes Stückelberger gemeinsam mit der Kunsthistorikerin und Theologin Ann-Kathrin Seyffer in einem Aufsatzband zusammengetragen. Im Schwerpunkt drehen sich die Beiträge um den Kirchenbau, doch auch Synagogen, Moscheen und Friedhöfe kommen in den Blick. In seiner Einleitung argumentiert Stückelberger erfrischend nüchtern, dass unter den Oberbegriff Sakralbau eben jene Architekturen fallen, die der religiösen Praxis dienen. Vor diesem Hintergrund können auch die Mechanismen nicht vordergründig religiöser “Sakralräume” durchbuchstabiert werden. Wenn die Linzer Architekturhistorikerin Anna Minta belegt, wie beim Berner Bundeshaus eigentlich sakral konnotierte Bauformen in eine nationale Geste umgemünzt wurden, denkt man unweigerlich an Wolfgang Sonnes Beitrag im Sawa-Band.

Offen zugänglich

Alle drei Projekte wissen umeinander, teils arbeitet(e) man zusammen und tauschte Daten aus. Alle drei sind sich im Kern darin einig, dass (religiöse) Räume gemacht werden, dass Sakralität zwischen unterschiedlichen Akteur:innen ausgehandelt wird. (Ob der aktuell modische Begriff der Sakralität künftig weiter tragen wird, bleibt abzuwarten – am Ende ist er dann doch stärker mit Assoziationen von Aura, Heiligkeit und Überhöhung aufgeladen, als es einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung auf Dauer dienlich sein kann.) In der Schweiz hat man begonnen, die entstandenen Karten und Datenbanken allgemein online zugänglich zu machen – ein Schritt, der für die beiden deutschen Projekte noch aussteht. Während Sawa als abgeschlossen gelten darf, entwickeln sich der Schweizer Kirchbautag und Transara langsam zu Vernetzungsstrukturen, die auch wichtige Impulse zum Erhalt bedrohter Kulturdenkmäler setzen können. Was jetzt bereits zu greifen ist, sind die drei hier vorgestellten Bücher, die einen prägnanten Einblick in den aktuellen Diskussionsstand aus unterschiedlichsten Perspektiven ermöglichen. Und das Beste dran: Alle drei sind sowohl als analoge Druckversion als auch kostenfrei im Open Access zum Download zugänglich. Es lohnt, diese drei Kaleidoskope selbst nebeneinander zu legen und zu einem Bild zusammenzufügen. (kb, 11.1.23)

Bergisch Gladbach-Schildgen, Herz-Jesu-Kirche (Bild: Elke Wetzig, CC BY SA 4.0, 2021)

Bergisch Gladbach-Schildgen, Herz-Jesu-Kirche (Gottfried Böhm, 1960) (Bild: Elke Wetzig, CC BY SA 4.0, 2021)

Selber lesen?

Gerhards, Albert (Hg.), Erfahrungen und Perspektiven zwischen Eifel und Niederrhein und darüber hinaus (Kirche im Wandel 1), Aschendorff-Verlag, Münster in Westfalen 2022, 364 Seiten, im Open Access Titel: DOI-Nummer 10.17438/978-3-402-21262-2; in der analogen Buchversion erscheint die Publikation im Januar 2023.

Löffler, Beate/Sharbat Dar, Dunja (Hg.), Sakralität im Wandel. Religiöse Bauten im Stadtbild des 21. Jahrhunderts, Jovis Verlag, Berlin 2022, 240 Seiten, 133 Schwarz-Weiß- und Farbabbildungen, im Open Access oder in der analogen Buchversion.

Stückelberger, Johannes/Seyffer, Ann-Kathrin (Hg.), Die Stadt als religiöser Raum. Aktuelle Transformationen städtischer Sakraltopographien, Zürich 2022, 292 Seiten, im Open Access oder in der analogen Druckversion, 15 x 22,5 cm, Paperback, mit Schwarz-Weiß- und Farbabbildungen, ISBN 978-3-290-22069-3.

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