Bevor wir beginnen, müssen wir über den Titel des neuen Buchs von Wolfgang Voigt und Uwe Bresan reden: „Schwule Architekten“, und eben nicht „Schwule Architektur“. In manchen Besprechungen wurde die Kritik laut, dass es hier zu wenig um Architektur ginge. Das ist teilweise richtig. Doch schon auf den ersten Seiten ist zu lesen, dass die Biografien in den Mittelpunkt gestellt werden. Während sich viele Bücher vornehmlich um Konzepte und Gestaltung drehen (dies gilt gleichsam für heteronormative wie queere Architekten), wird hier der Fokus auf die Lebensumstände gelegt. Wie anders würde man wohl die Werke von David Hockney, Keith Haring, Pjotr Iljitsch, Lucio Visconti und Thomas Mann interpretieren, wüsste man nicht um ihre Homosexualität? „Die Person und ihre sexuelle Orientierung sind nicht uninteressant, sondern relevant“, ist im Buch zu lesen. Zwar geht es nicht darum, einen dezidiert schwulen (oder queeren) Baustil auszumachen – dennoch finden die Autoren einen gewissen „Hang zu Stil, Dekor, Eleganz und Oberfläche“ und damit durchaus ein wenig Klischeehaftes. Aber allem voran waren die porträtierten Personen eines: herausragende Planer, Städtebauer, Entwerfer, Konstrukteure und Modernisten, und damit bedeutend genug, um in diesem Buch gewürdigt zu werden.
Minderstellung
Schlussendlich bündelt das Buch zahlreiche Porträts von Architekturschaffenden vom Barock bis hinein in die Moderne, meist aus den USA, aber auch aus Deutschland. Sie mussten Mechanismen und Tricks anwenden, um ihr Privatleben zu schützen, um nicht eine soziale Minderstellung zu erfahren. Daher werden diese gesellschaftlichen und beruflichen Zwänge ebenfalls erläutert, die zeit- und ortsgemäß anders ausfielen. Immerhin galt der 1872 in Kraft getretene deutsche Paragraf 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, bis 1994. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es dazu in Deutschland mehr als 50.000 Verurteilungen. In den USA hingegen entstand bereits in den frühen 1990er Jahren die „Organization of Lesbian and Gay Architects and Designers (OLGAD)“ – in Deutschland findet sich bis heute nichts Vergleichbares.
Grundsätzlich wurde die breite Öffentlichkeit mit der Aids-Krise auf die Homosexualität aufmerksam. Erst nachdem sie am Virus gestorben waren, wurden viele prominente Musiker und Personen aus dem Showbusiness als schwul geoutet. Als früheste Opfer aus der Welt der Baukunst benennt das Buch den New Yorker Architekten Alan Buchsbaum, der schon 1987 an den Folgen seiner Aids-Erkrankung verstarb. Er schuf in seinem kurzen Leben ein minimalistisches Loft für Diane Keaton und baute für Bette Midler (die wenig später auf seiner Beerdigung sang) ein altes Lagerhaus. Für sein eigenes Heim entwarf er eine Grundriss, bei dem „nicht geplant ist mit einer Ehefrau und Kindern einzuziehen.“ Dennoch wurde seine Sexualität erst 1987 nach seinem tragischen Tod öffentlich.
Domizile
Trotz der negativen Medienberichte löste sich (in den USA!) parallel zur Aids-Krise auch langsam das über den homosexuell lebenden Architekten schwebende Tabu. In diese Zeit fällt das vermutlich erste Outing eines Architekten, des bereits 1924 verstorbenen Louis Sullivan aus Chicago. In der 1986 erschienenen Biografie verweist der Historiker Robert Twombly dafür unter anderem auf die Sullivans Obsession für Michelangelo. Auch bei weiteren Beispielen kann man staunen, welche Tricks und Strategien schwule Architekten durch die Jahrzehnte entwickelten, um ihr privates Leben unbehelligt führen und Wohnungen für sich oder homosexuelle Auftraggeber entwerfen zu können.
Paul Rudolph beispielsweise schuf eine Wohnung für sich selbst – mit einem offiziellen Wohnteil und einem weiteren Trakt, in dem sein Lebensgefährte lebte. Im Grundriss firmierte dieser Bereich als „Bibliothek“ und „Gästetrakt“, jedoch mit dem Privatbereich von Rudolphs Wohnung verwoben. So gab es einen Whirlpool im Bad Rudolphs, dessen gläserner Boden sich wiederum über dem Bett seines Lebensgefährten befand. Der Scharoun-Schüler Chen Kuen Lee, um auch einen in Deutschland arbeitenden Architekten zu nennen, erhielt kaum Aufträge, da sein Schwulsein bekannt war. Als der Autor Eduard Kögel diese Hintergründe vor einigen Jahren in einem Artikel thematisierte, wurden die entsprechenden Textstellen von der deutschen Redaktion vollständig gestrichen.
Geoutet
Einen weiteren Meilenstein bildet ein Coverbild des Schwulenmagazins „Out“. 1996 stellte sich hier der damals 90-jährige Philip Johnson zum ersten Mal einer breiten Masse als homosexuell vor, wenn dies zuvor auch kein gänzliches Geheimnis war. Dennoch gilt dieser Moment als erstes eigenmächtiges (!) Outing eines lebenden prominenten Architekten. Im Gegensatz zu den USA fehlte es in Deutschland noch an solchen Role Models. Der viel zu frühe Aids-Tod des vielversprechenden Kölner Architekten Antoine Laroche im Jahr 1988 wurde als solches nie größer thematisiert – in der posthum publizierten Monografie ist nur von „langer schwerer Krankheit“ die Rede.
Die Datenlage, auf die sich die Biografien stützen müssen, speist sich oftmals nur aus Indizien. Darunter finden sich etwa gewundene Formulierungen in Nachrufen oder Todesanzeigen, die von eingeweihten Personen verfasst wurden. Noch schlechter sieht es aus bei lesbischen Architektinnen: Zum einen durften sie durch ein Arbeitsverbot lange nicht studieren und ihn ihrem Beruf tätig sein, zum anderen hielten sie sich mit ihrer Sexualität wohl mehr im Hintergrund. So kommen im Buch lediglich zwei lesbische Frauen vor.
Role Models
Das Buch “Schwule Architekten” bietet einen sehr guten Überblick über die Historie, und etwas darüber hinaus: Neben den Biografien erfährt man Grundsätzliches über die Konventionen der jeweiligen Zeiten und jeweiligen Orte, und auch den ein oder anderen Gossip. Kern bleibt immer der Mensch, sein Leben, seine Biografie, verknüpft mit dem architektonischem Werk. Dieser Band kann und muss ein Startschuss sein, um reflektierter über das bis dato im deutschsprachigen Raum zumindest nicht größer behandelte Thema nachzudenken. Und wenn irgendwann ein coffeetabletauglicher Fotoband vom Taschenverlag mit 300 Seiten Hochglanz über „Gay Architecture“ in der Designerwohnung liegt und in der Universitätsbibliothek steht, dann sind wir noch ein Stück weiter!
Ein Punkt bleibt dennoch: der Buchtitel „Schwule Architekten“. Es stellt sich unweigerlich die Frage, ob er gänzlich richtig gewählt ist, wenn auch weibliche Personen und nicht heteronormative Biografien behandelt werden. Würde die Trennung von lesbisch/schwul einen Sinn ergeben? Was ist mit den Geschlechtern dazwischen? Was mit Transpersonen? „Queere Architekt:innen“ wäre auch wieder zu reißerisch und brächte den Inhalt nicht wirklich auf den Punkt. Hätte man sich dezidiert auf schwule Männer konzentrieren sollen? Sich an solchen Fragen aufzuhängen, wäre nicht angemessen, denn das Buch ist vor allem eins: ein Porträt von Personen in unterschiedlichen Dekaden, die uns nicht nur Bleibendes in Form von Architektur zu hinterlassen, sondern auch ihr ‘nichtnormatives’ Leben geführt haben, das für uns heute ein Role Model sein kann. (pl, 16.10.22)