Im Schatten der Berliner Prestigebauten – ob Palast der Republik oder Kino International – entstanden in der DDR eine Reihe weit weniger beachtete, bei weitem aber nicht weniger markante Bauwerke der Ost- und Postmoderne. Der Bowlingtreff Leipzig, die “Zitronenpresse” in Gera, das historistisch ernste Fünfgiebelhaus in Rostock oder das Pumpspeicherwerk Hohen­warte: Bauten, die noch nicht in Gänze entdeckt worden sind und deren Entstehungsgeschichten auch Geschichten über das kollektive Arbeiten erzählen. Ein neues Buch von Urbanophil, “Das Kollektiv”, lädt nun ein zur architektonischen Entdeckungsreise, zeigt so manches Unbekanntes und blickt dabei hinter die Fassade auf die grundlegenden Prozesse der Architekturproduktion. Im Mittelpunkt des Bandes steht der kaum greifbare Mythos des Architektenkollektivs, denn architektonische und städtebauliche Planung fand in der DDR in Kollektiven statt. Freiberuf­liche Architekt:innen gab es nur in verschwindend geringer Zahl. Kollektive erfüllten politische Repräsentationsansprüche, waren routinierte Arbeitsgemeinschaften und künstlerische Gruppierungen zugleich. Doch konnten diese Kollektive – ursprünglich erdacht als kreative sozialistische Konkurrenzmodelle zu den individualistisch tätigen Architekt:innen des Westens – in der Praxis des DDR-Bauwesens überhaupt die ihnen zugedachte Kreativität entfalten?

Aus Gesprächen mit Zeitzeug:innen und erstmals erschlossenen Archivmaterialien gewinnen die Autor:innen neue Erkenntnisse zu Vision und Wirklichkeit der kollektiven Arbeitsweise. Im Blick liegen dabei das Spannungsfeld von individueller und gemein­schaftlicher Kreativi­tät, der Umgang mit komplexen Hierarchien und das Ausloten künstlerischer Handlungs­spielräume. Und lag nicht genau in Letzterem – im kreativen Verschieben von Grenzen – die große Kraft des Kollektivs? Die historische Rückschau auf das kollektive Arbeiten scheint auch aus heutiger Perspektive aktueller denn je. Nicht nur, wenn man auf das Motto der Kasseler documenta fifteen 2022 blickt, “Lumbung” (die gemeinschaftlich genutzte Reisscheune), sondern auch, wenn wir gemeinsam den Herausforderungen der Zukunft begegnen wollen. Das Buch bündelt die Ergebnisse eines dreijährigen Foschungsprojekts des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) Erkner mit dem Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien (KDWT) in Bamberg, gefördert von der DFG. (db, 8.1.23)

Stephanie Herold, Harald Engler, Stefanie Brünenberg, Scarlett Wilks, Sophie Stackmann und Dirk Florian Fordtran: Das Kollektiv, Urbanophil Verlag 12/2022, 352 S., 145 Abb., Satz und Gestaltung: Bureau Punktgrau, ISBN: 978-3982-4959-0-3.

Rostock, Fünfgiebelhaus 1986 (Bild: Jörg Blobelt, CC BY-SA 4.0)_

Rostock, Fünfgiebelhaus 1986 (Bild: Jörg Blobelt, CC BY-SA 4.0)

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