Der französische Philosoph und Soziologe BrunoLatour (* 1947 in Beaune) hat sich auf vielen Feldern verdient gemacht – immer wieder zerriss er lustvoll und medienwirksam als unumstößlich geltende Wahrheiten. Auch das Verständnis von Raum und Mensch wurde von ihm neu definiert. Aber, um nicht am Ende zu beginnen, eigentlich hatten ihn im Studium zunächst Themen der Anthropologie, Ethnografie und Bibelexegese umgetrieben. Ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre erarbeitete er gemeinsam mit verschiedenen Soziologen, zunächst in den Bereichen Technik und Wissenschaft, die berühmt gewordene Akteur-Netzwerk-Theorie. Kurz gesagt, wird darin die alleinige Konzentration auf den menschlichen Blickwinkel aufgegeben. Auch Bauten und Objekte können zu Akteur:innen werden, die in Beziehung zu anderen treten können. An die Stelle des alten Sender-Empfänger-Modells setzte er ein Geflecht, in dem menschliche wie nicht-menschliche Akteur:innen an den Entscheidungen teilhaben.
Auch die geltenden Gründungsmythen der Moderne – Wissenschaft und Gesellschaft, Technik und Natur seien seitdem zu trennen – konnte er mit einigen Zeilen vom Tisch wischen, um den Menschen und die ihn umgebenden Dinge wieder in Symmetrie zu bringen. Damit seien Latours Denkmodelle, die ab den 1990er Jahren zunehmend in die Kritik gerieten, nur knapp umrissen. Einer seiner großen Vorteile liegt darin, dass man seinen Schriften bis heute anmerkt, dass ihm das Umstürzen von allzu festen Theoriegebilden größte Freude bereitete – und ihm daran lag, seinen Leser:innen derweil eine ebenso erhellende wie vergnügliche Zeit zu bereiten. Heute verstarb er im Alter von 75 Jahren an den Folgen von Bauchspeicheldrüsenkrebs. Dass der Bildautor der einzigen auf Wikimedia verfügbaren Porträtfotografie von Bruno Latour ausgerechnet unter dem Alias „Toter Alter Mann“ firmiert, darf als unfreiwillige Ironie gewertet werden. Vielleicht hätte ihm diese Pointe gefallen. (kb, 9.10.22)