Wir sind es müde – das Warten, auf das alte Normal, oder das neue. Während die Bürokratie schon wieder greift (eine Steuererklärungsabgabefrist ist eine Steuererklärungsabgabefrist), zählen wir die Tage bis zum verdienten kurzen Urlaub. Ob Balkonien oder Ostsee, Hauptsache, das Homeoffice bleibt geschlossen. Und dennoch hatte sich der beruhigend-beunruhigende Gedanke in den Köpfen festgesetzt, dass “danach” alles, oder zumindest vieles, anders wird. Zu den beglückenden Erfahrungen zählt die Solidarität unter Kulturschaffenden, die neue Wertschätzung des Digitalen in der Baukunstvermittlung. Irritierend ist hingegen die Abrisswelle. Gerade verkündet man schnell und hemmungslos das Aus für historistische Häuserzeilen, nachkriegsmoderne Villen und Kirchenbauten. Schneller und hemmungsloser als vor Corona.

Köln-Nippes, St. Hildegard in der Au (Bild: © Raimond Spekking, CC BY SA 4.0, 2020)

Wird für Wohnungen abgerissen: Köln-Nippes, St. Hildegard in der Au (Bild: © Raimond Spekking, CC BY SA 4.0, 2020)

Was sich noch Anfang 2020 durch die Hintertür hereinschleichen musste, nimmt jetzt wie selbstverständlich den Haupteingang. Vor allem im Rheinland und im Süden kommen gerade Kirchen unter den Bagger, für die noch nicht einmal pro forma eine andere Nutzung diskutiert wurde. Schließlich haben wir andere Probleme. Im Tagebaugebiet rund um Garzweiler rufen Pfarrer und Gemeindeglieder Alarm: Nach den coronabedingten Kirchenschließungen wird, so fürchten sie, erst gar nicht mehr aufgemacht. Die meisten Gottesdiensträume sind ja bereits an RWE verkauft – und der Letzte löscht das Ewige Licht. Manches mag auf einen Abrissstau zurückgehen. Am klassischen Kirchenschließungstermin Ostern (Frühling hilft beim Abschied, Auferstehung hilft bei der Abschiedspredigt) war man in diesem Jahr verhindert. Doch es scheint um mehr zu gehen, das Säbelrasseln ist deutlich lauter geworden.

Bonn, Stadthaus (Bild: mibro, via pixabay.com)

Der Abrissbeschluss droht: Bonn, Stadthaus (Bild: mibro, via pixabay.com)

Denkmalnetz Bayern fragte in der vergangenen Woche, ob “der gesetzliche Auftrag einer Behörde durch die Corona-Hintertür zurückgeschraubt werden” soll. Hintergrund ist das Vorwort des bayerischen Generalkonservators in der aktuellen Ausgabe von “Denkmalpflege Informationen”. Als Lehre aus Corona-Zeiten hatte er ein konzentrierteres Arbeiten angekündigt: mehr digital, weniger vor Ort. In Bonn plant man bereits den Neubau des Stadthauses, wo der Abriss des jetzigen noch nicht einmal final beschlossen ist. Künftig ließe sich ja kostengünstig mit weniger Bürofläche auskommen – Homeoffice sei Dank. Man mag einwenden, dass eine Sanierung der bestehenden Architektur noch nachhaltiger sein könnte. Aber dieser Gedanke ist vielleicht zu vor-corona. (29.6.20)

Karin Berkemann

Medizischer Dienst in Indien, 1944 (Bild: Cecil Beaton, PD)

Anmelden

Registrieren

Passwort zurücksetzen

Bitte gib deinen Benutzernamen oder deine E-Mail-Adresse an. Du erhältst anschließend einen Link zur Erstellung eines neuen Passworts per E-Mail.