Der Gerichtssaal am Gefängnis in Stuttgart-Stammheim wird in den kommenden Monaten abgerissen. Im Mai soll mit dem Rückbau des Gebäudes gestartet werden, wie Corinna Bosch, die Leiterin des Amts Ludwigsburg des Landesbetriebs Vermögen und Bau, Mitte März mitteilte. Zunächst würden schadstoffhaltige Baumaterialien entfernt. die Bagger werden erst im Herbst vorfahren. Am Ort des ehemaligen Gerichtssaals soll dann ein modernes Gefängniskrankenhaus mit dem Schwerpunkt Psychiatrie entstehen – der geplante Baustart stehe noch nicht fest. Hiermit fällt nun ein Stück BRD-Geschichte: Das alte, 1975 in Betrieb gegangenen Mehrzweckgebäude wurde für die Prozesse gegen die Rote Armee Fraktion gebut. Unter anderem Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe, Christian Klar und Peter-Jürgen Boock standen hier vor Gericht. Insgesamt wurden hier 56 Verfahren des Oberlandesgerichts und des Landgerichts Stuttgart mit RAF-Bezug an rund 1300 Sitzungstagen verhandelt. Ein Neubau des Oberlandesgerichts ist bereits fertiggestellt.
Während das Gerichtsgebäude nun abgerissen wird, wird der Bau 1 der JVA Stammheim gerade saniert. Hier saß in den 1970er Jahren die RAF-Führungsriege ein, in der Nacht vom 17. zum 18. Oktober 1977 nahmen sich Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe hier das Leben. Ursprünglich sollte auch dieser 1963 fertiggestellte Bau abgerissen werden, doch er steht seit 2013 unter Denkmalschutz: An der Erhaltung des Zellentrakts für Männer bestehe wegen seines exemplarischen und dokumentarischen Wertes und wegen seines Maßes an Originalität und Integrität ein öffentliches Interesse, so das Landesdenkmalamt damals. Bau I und das Mehrzweckgebäude seien “in Sachgesamtheit Kulturdenkmal aus wissenschaftlichen, historischen, sowie gesellschaftspolitischen, justizgeschichtlichen und – wegen ihrer Bedeutung für Stuttgart – aus heimatgeschichtlichen Gründen.“ Am Erhalt bestehe vor allem wegen des „dokumentarischen Wertes und wegen ihrer Veranschaulichung eines außerordentlichen zeitgeschichtlichen Phänomens“ interesse. Das Mehrzweckgebäude fällt nun trotzdem, auch wenn unter anderem der Leiter des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, Thomas Schnabel, noch vergangenes Jahr appelliert hatte, die Pläne zu überdenken. Ein Ort (West-)deutschen Traumas, des Deutschen Herbsts, verschindet. (db, 31.3.23)