von Thomas Rempen mit Beiträgen von 16 Master-Studierenden (17/2)
Vor einem Jahr fragte mich die “Münster School of Architects” (mas), ob ich nicht auch als Nicht-Architekt ein Semester-Seminar mit Masterstudenten machen will. Klar, wollte ich. Denn zwei Dinge beschäftigen mich schon lange: Da ist erstens die Sprachlosigkeit der Architekten im Labyrinth der Paragraphen, der Verordnungen, der Standards, der Regeldichten, der Abhängigkeiten – die Branche wehrt sich nicht, sie hat keine Lobby. Und zweitens sorgt genau diese deutsche Perfektionierung sinnferner Paragraphen und Verordnungen dafür, dass der sogenannte “Social turn” und das soziale, preiswerte Wohnen für und mit allen (fast) unmöglich geworden ist.
16 Master-Studierende und eine Frage
“dämmst du noch oder dämmerts schon?”: die “fact-wall” mit allen Facts und Figures zum Thema
16 Master-Studierende haben sich während des Wintersemesters 2016/2017 mit diesen beiden Problemfeldern auseinandergesetzt. Das Ergebnis: Sie haben entdeckt, warum die Architektur der Besinnung auf das notwendige, sinnvolle, nützliche, soziale, das liebens- und lebenswerte neue Rahmenbedingungen braucht. Sie haben entdeckt, wie problematisch und fragwürdig z. B. die Vorschriften zur Energiesparverordnung (EneV) sind, aber auch wie unzumutbar die Prosa der Bauordnungen ist und wie beschämend das Schweigen ihrer Branche. Sie haben entdeckt, dass sie sich bemerkbar machen müssen, wenn sich etwas ändern soll für neue Freiheiten und neues Vertrauen in die gestalterischen und sozialen Werte der Architektur – denn dafür steht der Architekt.
Sich wehren, anklagen, fordern
“dämmstoff catwalk”: Nehmen wir das Material mal wörtlich und zeigen, was man alles Schönes aus dem Zeug machen könnte …
Erst war da bei den Studierenden gelangweiltes, dann ungläubiges Zögern. Doch dann hatte ich große Freude daran, zu sehen, wie sich die Studierenden für all diese Fragen wie die Wärmedämmung begeistern konnten. Investigativ spürten sie zahlreiche unbekannte und oft skandalöse Architekturverhinderungsfakten auf. Um sich dann an etwas zu versuchen, was eigentlich gar nicht ihr ursächliches Interesse ist: politische Kommunikation, sich wehren, Fragen stellen, anklagen, fordern, laut werden – eben “Klartext!” reden.
Wenn sich etwas ändern soll
“lesungen aus der vob”: Beispiele für die seltsame Prosa zur Architektur
Nach den Vorbereitungen im Seminar schlug am 21. Januar 2017 der “Tag des Klartextes”: Es gab eine Ausstellung mit Filmen, Plakaten, Faktenwand und Musik. Dabei präsentierten die Studierenden unter dem Motto “Sondermüll-Mode” Selbstgemachtes aus Dämmstoff. Sie rappten zur Energiesparverordnung, lasen bizarre Passagen aus dem Baugesetzbuch mit über 61.000 Paragraphen sowie der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Es gab Führungen durch den Dschungel der Dämmfragen und Plakate gegen das Regelwirrwarr. Und die Seminarteilnehmer präsentieren Website und Konzept für einen Verband deutscher Architekturstudierenden, eine Interessensvertretung ihrer Generation.
Laut und ungedämmt
“verdämmt nochmal!”: laut und ungedämmt: der Rap zur EneV
Die Ausstellung und ihre vielfältigen Präsentationen sind inzwischen Geschichte. Doch können einige der Ergebnisse online und in diesem Beitrag bleibend angeschaut werden. Und die Studierenden haben entdeckt, dass sie sich bemerkbar machen müssen, wenn sich etwas ändern soll in ihrer Branche. Sie setzen sich ein für neue Freiheiten und neues Vertrauen in die gestalterischen und sozialen Werte der Architektur.
“dämmst du noch oder dämmerts schon?”: die “fact-wall” mit allen Facts und Figures zum Thema
“dämmst du noch oder dämmerts schon?”: die “fact-wall” mit allen Facts und Figures zum Thema
“ja/nein/ja/nein”: der Entwurf zu einer Website, mit der man sich durch die Dämmfragen klicken kann
“geht’s noch?” Plakate gegen den Überfluss an Vorschriften, gegen die unsäglichen Regeldichten
Titelmotiv: “wir brauchen einen vdas”: Website für einen “verband_deutscher_architektur_studierenden – die interessenvertretung für die junge architekten-generation”
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Inhalt
Verteidigen, was kein Denkmal ist
LEITARTIKEL: Ursula Baus über Sinn und Unsinn der grassierenden Dämmwut – und was das über unser Architekturverständnis aussagt.
Was schief gehen kann
FACHBEITRAG: Dina Dorothea Falbe durchstreift Berlins Häuserschluchten.
Zweimal Bürofassade
PORTRÄT: Daniel Bartetzko skizziert zwei Frankfurter Sanierungen.
“Klartext!”
FACHBEITRAG: Thomas Rempen und 16 Master-Studierende werden laut und kreativ gegen den deutschen Dämmwahn.
“Die Geschwindigkeit ist Teil des Problems”
INTERVIEW: Der bayerische Generealkonservator Prof. Mathias Pfeil spricht mit moderneREGIONAL über Forschung, Dämmung, Abwägung und Substanz.
Vorher-Nachher-Platte
FOTOSTRECKE: Martin Maleschka besucht Bukarest & Co.