nach einem Vortrag von Winfried Brenne (20/1)

In Dessau standen Architekten, Restauratoren, Konservatoren und Nutzer vor wenigen Jahren vor einer schwierigen Entscheidung: Man konnte die Meisterhäuser entweder in die Bauhaus-Zeit zurückversetzen oder stattdessen ihre „Schändung“ durch die Nationalsozialisten sichtbar machen. Dieses außergewöhnliche Gebäude-Ensemble war 1926 nach Entwürfen von Walter Gropius entstanden – je ein Doppelhaus für Moholy-Nagy-Feininger, Muche-Schlemmer und Kandinsky-Klee sowie ein einzelnes Wohnhaus für Gropius selbst. Nach der Schließung des Bauhauses hatten die Meister die Stadt in den 1930er Jahren verlassen müssen. Im Krieg wurden die Häuser Gropius und Moholy-Nagy zerstört und 2014 durch Neubauten vom Berliner Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez (BFM) ersetzt. Heute gehören die Meisterhäuser zum Weltkulturerbe und werden als Stil-Ikonen verehrt. Bei ihrer Restaurierung galt es daher, diesem großen Bild nicht zu unterliegen.

Dessau, Meisterhaus Muche/Schlemmer vor und nach der Sanierung von 2001 (Bild: Brenne Architekten)

Dessau, Haus Muche-Schlemmer, Nordansicht vor und nach der Sanierung von 2001 (Bild: © Brenne Architekten)

Das Doppelhaus Muche-Schlemmer

Das kubische Wohnhaus der Maler Georg Muche und Oskar Schlemmer wurde 1998 bis 2001 vom Architekturbüro Brenne – beauftragt von der Wüstenrot Stiftung als Treuhänderin – saniert. Dabei ging es im Kern um die Frage, welche der verschiedenen Zeitschichten herausgearbeitet werden sollte. Neben der Baugeschichte war ebenso die Ereignisgeschichte zu beachten, denn nach dem Wegzug der Meister wurden ihre Häuser in der NS-Zeit negiert. Später hat auch die DDR ihre baulichen Spuren hinterlassen. Um solche Details festschreiben zu können, war eine gründliche Bestandsaufnahme unerlässlich. Allein für das Haus Muche-Schlemmer wurde Raum für Raum eine Dokumentation von 20 Ordnern zusammengetragen.

Ebenso mussten bestimmte Baustoffe geprüft werden, um mit ihnen auch ein Stück Authentizität bewahren zu können. Beim Haus Muche-Schlemmer waren beispielsweise noch weite Teile des bauzeitlichen Putzes vorhanden. Der darüber aufgetragene Zement-Spritzputz wurde bei der Restaurierung mit dem Mikromeißel heruntergenommen und der verbliebene Originalbestand ausgebessert. Insgesamt haben die Meisterhäuser die Zeiten erstaunlich gut überdauert, denn ihre Bautechnik war und ist von einer hohen substanziellen Qualität.

Dessau, Meisterhaus Muche/Schlemmer, Nordansicht, Bauphasenplan (Bild: Brenne Architekten)

Dessau, Haus Muche-Schlemmer, Nordansicht, Bauphasenplan (Bild: © Brenne Architekten)

Pappe aus den 1920ern

Bei der bauklimatischen Untersuchung gilt ein besonderes Augenmerk den vorkragenden Elementen, die wie als Kältebrücke wirken und Feuchtigkeit anziehen können. Dieses Problem löste man in den 1920er Jahren in Dessau-Törten mit einer Dämmung aus einer Art Wellpappe. Eine solche brachte man auch im unteren Drittel des Wandsockels in Muches Schlafzimmer auf, um die Strahlung von der Balkonplatte zu vermindern. Da diese Methode funktioniert hat, wurde sie bei der Restaurierung beibehalten. Bei den ungedämmten auskragenden Stellen an der Nordfassade hingegen wurde nun eine Wandheizung im unteren Wandbereich verlegt und im Keller beider Häuser eine Begleitheizung am Wandsockel ergänzt, damit sich keine Feuchtigkeit niederschlagen kann. Solche Maßnahmen wurden möglichst ohne große Eingriffe umgesetzt.

Mit Blick auf die Gebäudetechnik galt es zu verstehen, wie die Ausstattung ursprünglich angelegt war. Denn die damals wohlüberlegt geführten Kanäle ließen sich nun für neue Technik nutzen. Bei der gesamten Untersuchung wurde Raum um Raum verglichen, ob sich Zeitschichten für die Farbfassung ermitteln ließen, um ein Gesamtbild zu entwickeln. Im Haus Muche-Schlemmer konnte man so einzelne Zimmer authentisch wiederherstellen. Wo hingegen zu große Wissenslücken klafften, wurden die Räume in einer neutralen Farbe gestrichen. Dabei beließ man Brüche sichtbar – wie Heizkörper aus DDR-Zeiten.

Dessau, Meisterhaus Muche/Schlemmer, Nordansicht, Putzschäden (Bild: Brenne Architekten)

Dessau, Haus Muche-Schlemmer, Nordansicht, Putzschäden (Bild: © Brenne Architekten)

Entscheidungsprozesse

Nach der Restaurierung blieb in Dessau ein Problem: Niemand kann permanent 20 Dokumentations-Ordner im Kopf haben, die zudem ständig um neue Fakten ergänzt werden. Für das Gebäude lag seit 1998 eine Denkmalpflegerische Zielstellung vor, die 2014 fortgeschrieben wurde und auf den Ergebnissen einer umfassenden Bestandserfassung basiert. Die Fülle an Informationen wurde in Form eines digitalen und interaktiv nutzbaren Raumbuchs gebündelt, mithilfe dessen der Umgang mit dem Bestand hinsichtlich baulicher Eingriffe, Nutzung und Belastbarkeit definiert werden konnte.

Statt sich in Einzelentscheidungen zu verzetteln, sollten alle an der Instandsetzung Beteiligten gemeinsam den großen Bogen im Blick behalten. Am Ende bleibt bei solchen Projekten kein anderer Weg, als immer wieder die gleiche Diskussion neu aufzubrechen und schließlich durch Fakten zu überzeugen. Allein gründliche Recherche und transparente Abstimmung sind zielführend.

Dessau, Meisterhaus Muche/Schlemmer, Westansicht nach der Sanierung (Bild: Brenne Architekten)

Dessau, Haus Muche-Schlemmer, Westansicht nach der Sanierung (Bild: © Brenne Architekten)

Die Baustellenprobe

Oft zeigen sich die Probleme einer Restaurierung ganz konkret auf der Baustelle. Wenn z. B. die Fensterbleche eingeputzt werden und sich im Nachhinein ausdehnen, bricht der Putz ab und es kann Wasser eindringen, was zu Schäden an der Fassade führt. Um solche Fehler vorausschauend zu vermeiden, wurden solche Details bei den Meisterhäusern systematisch erfasst und in das Pflegehandbuch aufgenommen. So ließ sich die Wasserführung (vor allem bei dem immer häufigeren Starkregen) unkompliziert lösen. Durch solche Ansätze konnte man im Umgang mit dem Bau beständig lernen und die neuen Erkenntnisse in das Gesamt-Gestaltungskonzept einbeziehen.

Zu Beginn der Maßnahme hatte die Wüstenrot Stiftung für eine Wiederherstellung des Zustands der 1930er Jahre plädiert, um die „Schändung“ durch die Nationalsozialisten sichtbar zu machen. Die Stadt Dessau hingegen bevorzugte eine Annäherung an die Bauhaus-Zeit. Am Ende konnte die bauzeitliche Architektur des Meisterhauses Muche-Schlemmer durch Freilegung der bauzeitlichen Oberflächen und durch Rekonstruktion verlorengegangener Bauteile wiedergewonnen werden. Im Inneren blieben jedoch – z. B. im bauzeitlichen Linoleumboden – Spuren der gesamten Nutzungsgeschichte ablesbar. Bewahrt wurden z. B. viele Einbauschränke und Lochbleche der Fensterbänke sowie Außentüren und Fenster, die Treppenhaus- und Atelierfenster hingegen mussten wiederhergestellt werden. Seit 2002 finden im Meisterhaus Muche-Schlemmer nun Ausstellungen und Präsentationen vom Design-Zentrum Sachsen-Anhalt statt. Zudem dient der Bau für Studienzwecke und als Gästehaus.

Dessau, Meisterhaus Kandinsky/Klee, Nordansicht nach der Sanierung (Bild: Brenne Architekten)

Dessau, Haus Kandinsky-Klee, Nordansicht nach der Sanierung (Bild: © Brenne Architekten)

Das Haus Kandinsky-Klee

Das Meisterhaus der Maler Wassily Kandinsky und Paul Klee wurde bis in die 1930er Jahre hinein bewohnt. Mit dem Ziel, das Haus seinem ursprünglichen Erscheinungsbild zurückzuführen und gleichzeitig als Ausstellungsort herzurichten, wurde das Haus 1998 bis 2000 im Auftrag der Stadt Dessau und der Hochtief AG durch das Planungsbüro Codema denkmalgerecht saniert. 2017 entschied sich die Stiftung Bauhaus Dessau zu einer erneuten Sanierung, beauftragt von der Wüstenrot Stiftung. Zunächst wurde das Büro Brenne Architekten mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt, um das Ziel der Sanierung zu definieren. Der ganzheitliche Sanierungsansatz wurde in einem diskursiven Verfahren mit allen Beteiligten entwickelt. 2018 bis 2019 erfolgte die Sanierung durch das Büro Brenne Architekten. Scheinbar waren nur wenige Schäden zu beheben, doch das eigentliche Problem lag in der Nutzung. Kurz zuvor hatte man das Gebäude zum Museum umgebaut und damit das fragile Meisterhaus bautechnisch bis aufs Äußerste ausgereizt. Allein für die Klimatisierung und den Einsatz der neuen Medien war massiv in die Substanz eingegriffen worden.

Ziel der aktuellen Sanierung war es daher, das Meisterhaus Kandinsky-Klee selbst als Ausstellungsobjekt zu inszenieren. Zu Beginn musste untersucht werden, welche Veränderungen vorlagen und wie der bauzeitliche Zustand wiederherzustellen sei. Im Obergeschoss hatte man beispielsweise Auslässe für die Klimaanlage eingefügt und Nischen in den Wänden geschlossen. In den WCs und Bädern waren die Klimageräte untergebracht, zudem musste eine Vielzahl von Versorgungsleitungen gelegt werden. Diese kleinen, aber intensiven Eingriffe belasteten in der Summe das Gebäude. Zudem verfügten die Nutzer nicht über die finanziellen Mittel, dieses hohe Maß an Klimatisierung auf Dauer aufrechtzuerhalten. Bei der Sanierung von 2019 sollten daher wieder vertiefende Einblicke in die Bau- und Zeitgeschichte möglich werden. Dazu wurde ein Maßnahmenkatalog erarbeitet, um das schrittweise erarbeitete Wissen zum bauzeitlichen Zustand wieder sichtbar zu machen.

Dessau, Meisterhaus Kandinsky/Klee, Aufbringen einer Ausgleichsschicht auf dem Flachdach (Bild: Brenne Architekten)

Dessau, Haus Kandinsky-Klee, Aufbringen einer Ausgleichsschicht auf dem Flachdach (Bild: © Brenne Architekten)

Kandinskys Esszimmer

Kandinsky Esszimmer beispielsweise war ursprünglich eine regelrechte Kunstinstallation. Heute wird (fast) das gesamte originale Mobiliar in Paris im Centre Pompidou verwahrt. Im Meisterhaus selbst stand zur Diskussion, den Schrank wiederherzustellen. Durch den schwarzen Schiebeschrank hatte man das Essen hindurchgereicht, darin Geschirr verwahrt und dahinter alles Mögliche verschwinden lassen. Nach der umfassenden restauratorischen Untersuchung des Esszimmerschranks war klar, dass fast alles – vom Schrank-Corpus bis zu den Führungselementen für die Türen – noch vorhanden war. Selbst die Ebene der Durchreiche ließ sich identifizieren. So schien es sinnhaft, dieses Möbel auch in seiner architektonischen Qualität wiederherzustellen. Als der Tischler stufenweise die Schrankelemente beifügte, musste bis auf die Schiebetüren kaum ein neues Bauteil ergänzt werden.

Ein anderer Diskussionspunkt lag bei den authentischen Wandflächen, die eigentlich unverändert belassen werden sollten. Doch die heutige Eigentümerin und Nutzerin, die Stiftung Bauhaus Dessau, sah die teilweise sehr geschädigten Putzoberflächen durch Ausbesserungen und Unebenheiten sehr kritisch, sodass hier ein Restaurierungskonzept erarbeitet wurde, in dem jede Wand des Raumes einzeln bewertet wurde, um die Bearbeitung der gestörten Oberflächen festzulegen. Für jede Wiederherstellung einer Farbgebung ist der Untergrund entscheidend. Man kann entweder alle Brüche zeigen oder eine Farbschicht wie auf einem neuen Putz aufbringen, möglichst ohne das Darunterliegende zu zerstören.

Dessau, Meisterhaus Kandinsky/Klee, vorgefundene Fensterbänke und nachgestellte Lochbleche (Bild: Brenne Architekten)

Dessau, Haus Kandinsky-Klee, vorgefundene Fensterbänke und nachgestellte Lochbleche (Bild: © Brenne Architekten)

Im Licht der Vergangenheit

Zuletzt sei noch auf einen Faktor hingewiesen, der normalerweise gar nicht in den Blick kommt: das bauzeitliche Licht, das wiederum die Gestaltung der Wandflächen entscheidend beeinflusst. Jeder Raum hat die von den Restauratoren ermittelte Auszugsfassung der Farbgebung von Kandinsky bzw. Klee wiedererhalten. Um die Farbwiedergabe der Oberflächen zu jeder Zeit erlebbar zu machen, wurde das schwache Licht durch ein Leuchtkonzept ergänzt, das durch dimmbare Lichtstärke und -temperatur eine bauzeitliche Lichtatmosphäre ermöglicht. Per App steuerbar, kann das Licht an heute angemessen empfundene Sehgewohnheiten angepasst werden.

Dessau, Meisterhaus Muche/Schlemmer vor und nach der Sanierung von 2001 (Bild: Brenne Architekten)

Titelmotiv: Dessau, Haus Muche-Schlemmer, Südostansicht vor und nach der Sanierung von 2001 (Bild: © Brenne Architekten)



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