von Karin Berkemann (23/2)

Glaubt man den Geschichten, die sich um die Müllverbrennungsanlage Spittelau ranken (und es sind viele), dann schreckte der Künstler Friedensreich Hundertwasser in den späten 1980er Jahren immer wieder vor diesem Auftrag zurück. Hätte er es doch besser gelassen, so der erste Reflex vieler Modernist:innen, die den puren Ursprungsbau von 1971 eher goutieren würden. Aber der missionarische Naturfreund Hundertwasser ließ sich letztlich vom Konzept der Stadt Wien überzeugen, die ihre Anlage nicht nur ästhetisch, sondern auch ökologisch auf den neuesten Stand bringen wollte. Aktuell modernisiert man in Spittelau wieder die Technik: Im Inneren wird alles neu, nach außen ist nun der Hundertwasser-Look die Richtschnur für jeden Zusatz. Denn nicht nur für Tourist:innen und Fotofreund:innen hat sich die Müllverbrennungsanlage mit der goldenen Kugel längst zum Wahrzeichen von Wien gemausert.

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau, links: 1970 im Bau; rechts: nach dem Umbau von 1992 (Bilder: links: AT-WSTLA 3.3.11.FA1.70.564, CC BY NC ND 4.0, 1970; rechts: C. Stadler/Bwag, CC BY SA 4.0, 2020)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau, links: Verwaltungshochhaus und Müllverbrennungsanlage 1970 im Bau; rechts: die Anlage aus (fast) derselben Perspektive, nach der Hundertwasser-Umgestaltung von 1992 (Bilder: links: AT-WSTLA 3.3.11.FA1.70.564, CC BY NC ND 4.0, 1970; rechts: C. Stadler/Bwag, CC BY SA 4.0, 2020)

Die Ursprünge

Als sich die “Heizbetriebe Wien” 1969 als städtische Gesellschaft gründeten, starteten auch die Bauarbeiten für die Müllverbrennungsanlage Spittelau. Am rechten Ufer des Donaukanals musste dafür 1965 ein historisches Maschinenhaus weichen, das noch aus der Gründungszeit der Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung stammte. Ab den 1840er Jahren hatte man hier mit Pumpanlage und Saugkanal das Grundwasser für die Vorstädte gefördert. Um die wachsende Metropole zu bedienen, nahm man schon kurz darauf gefiltertes Kanalwasser hinzu. Doch als sich dessen Qualität verschlechterte, folgten Rur-, Typhus- und Choleraepidemien. Nachdem man die Wasserversorgung erneut umgestellt hatte, diente das Maschinenhaus ab 1906 nur noch als städtisches Materialdepot.

Der Neubau der Müllverbrennungsanlage Spittelau mit angeschlossenem Fernwärmewerk nutzte die exponierte Lage am Kanal, um zwei Landmarken zu setzen: das Verwaltungshochhaus und den weithin sichtbaren Schlot. 1971 wurde der Komplex nach Entwürfen des Salzburger Architekten Josef Becvar (1907–1984) und nach Berechnungen des Statikers Adolf Lukele vom Wiener Stadtbauamt fertiggestellt. Nun konnte man in einer Stunde bis zu 17 Tonnen Müll verbrennen, oder thermisch behandeln, wie es die Fachsprache freundlicher ausdrückt. Über das dabei produzierte Heißwasser wurde das Neue Allgemeine Krankenhaus, das sich ab 1968 im Bau befand, mit Wärme versorgt. Hinzu kamen das Diana- und Jörgerbad, das Internationale Studentenheim Döbling sowie Wohnhäuser.

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau, links: Luftaufnahme des Ensembles am Donaukanal; rechts: das Verwaltungshochhaus, daneben auf dem Dach (rechts) das rot-blau-gestreifte "Kapperl" (Bilder: links: Christian Fürthner, Stadt Wien, CC BY SA 4.0, 2019; rechts: karel291, CC BY 3.0, 2011)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau, links: Luftaufnahme des Ensembles am Donaukanal; rechts: das Verwaltungshochhaus, daneben auf dem Dach (rechts) das rot-blau-gestreifte “Kapperl” (Bilder: links: Christian Fürthner, Stadt Wien, CC BY SA 4.0, 2019; rechts: karel291, CC BY 3.0, 2011)

Das Kapperl

Auf dem Dach der Müllverbrennungsanlage, gut sichtbar an den Rand gerückt, thront die überdimensionale Nachbildung einer rot-blau-gestreiften Ballonmütze. Bei den Führungen durch die Anlage, die für Interessierte kostenfrei angeboten werden, erklärt man diese Besonderheit gerne mit einer Anekdote. Der Künstler Friedensreich Hundertwasser hatte demnach eine seiner häufigen Debatten mit dem Bauherren, als er im Zorn ausrief: “Ich hau den Hut drauf!” Was in Österreich so viel bedeutet, wie den Hut an den Nagel zu hängen. Am Ende blieb Hundertwasser – und aus seinem Ausspruch entwickelte sich die Idee, dem Ensemble tatsächlich seine typische Kappe aufzusetzen. 2019 wurde das “Kapperl” nach handschriftlichen Aufzeichnungen des Künstlers farbig aufgefrischt und auf Polyurethanbasis beschichtet.

Der Anlass für die romantisierende Hundertwasser-Neufassung war ein ganz technischer: In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre erhielt Spittelau – für die damalige Zeit hochmodern und umweltfreundlich – eine Rauchgas-Nasswäsche und eine Entstickungs- bzw. Dioxinzerstörungsanlage. Hinzu kam ein Brand, der 1987 weite Teile der bisherigen Fassade im Mitleidenschaft zog. Vor diesem Hintergrund wurde die Müllverbrennungsanlage von 1988 bis 1992 umgestaltet. Die Rasterfassaden des Verwaltungshochhauses überzog Hundertwasser mit roten Lebensadern, die für das Fernwärmenetz stehen. Alle Dächer und Vorsprünge erhielten eine Bepflanzung sowie die typischen goldfarbenen Kugeln und bunten Mosaik-Pseudosäulen. Einige Wände zeigen nun ein organisch interpretiertes Karomuster. Um viele Öffnungen fließen unterschiedliche Formen und Farben, wie es Hundertwasser in seinem programmatischen Fensterrecht forderte: Jede:r darf den Außenraum frei gestalten, soweit der Arm reicht.

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau, links: Fassade des Verwaltungshochhauses, von Hundertwasser überzogen mit roten "Lebensadern" der Fernwärme; rechts: Fensterrahmungen und weitere Hundertwasser-Schmuckformen  (Bilder: links: Dimitry Anikin, CC0 1.0, 2009; rechts: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau, links: Fassade des Verwaltungshochhauses, von Hundertwasser überzogen mit roten “Lebensadern” der Fernwärme; rechts: Fensterrahmungen und weitere Hundertwasser-Schmuckformen (Bilder: links: Dimitry Anikin, CC0 1.0, 2009; rechts: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

Die Architekten

Die Kunst von Friedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbunt (1928–2000), der in einer bürgerlichen Welt eigentlich Friedrich Stowasser hieß, war immer schon raumgreifend. Als Gastdozent in Hamburg etwa schloss er sich 1959 mit seinen Studenten ein, um die “Unendliche Linie” umzusetzen (was die Hochschulleitung rasch beendete). Früh rief er den Tod des rationalistischen Bauens aus, erklärte für Häuser das Fensterrecht und die Baumpflicht und machte sich selbst schließlich zum Architekturdoktor. Dabei dekorierte er nicht nur Fassaden, sondern legte großen Wert auf ein Plus für Mensch und Natur.

Auch in Spittelau verschmolz Hundertwasser ästhetische und ökologische Motive, die er wiederum in Posterdrucke übersetzte: In den 1990er Jahren fand sich die Müllverbrennungsanlage so wiederholt auf Plakatwänden und in den U-Bahnen wieder. Für die Bauplanung vor allem der Fassaden zeichnete der Architekt Peter Pelikan (* 1941) verantwortlich, der bereits 1981 am Wiener Hundertwasserhaus mitgewirkt hatte. Seine Vorliebe für solche Kooperationen brachte ihm den maliziösen Spitznamen Fünfzigwasser ein. In Spittelau arbeitete Pelikan zusammen mit dem österreichischen Stahlbauunternehmen Waagner-Biro, mit den Architekten Roland Moebius (1929–2020) und Alexander Marchart (* 1927) – der Letztere hatte um 1970 schon am Entwurf des Neuen Allgemeinen Krankenhauses mitgewirkt. Im Team wurden nicht nur die Müllverbrennungsanlage samt Schlot ausgebaut, sondern auch das Verwaltungshochhaus durch seitliche Ergänzungsbauten eingefasst. Doch bei allen architektonischen Planungen blieb der Hundertwasser-Stil der imageprägende Faktor.

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau, links: Fassade des Verwaltungshochhauses, von Hundertwasser überzogen mit roten “Lebensadern” der Fernwärme; rechts: Fensterrahmungen und weitere Hundertwasser-Schmuckformen (Bilder: links: Dimitry Anikin, CC0 1.0, 2009; rechts: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau, rechts: Bäume als Untermieter; links: von Hundertwasser farbig gefasste Öltanks mit historisierenden Laternen (Bilder: links: Linie29, CC BY SA 4.0, 2019; rechts: Cha già José, CC BY SA 2.0, 2007)

Die Zahlen

Wenn man für Spittelau ausnahmsweise einmal nicht mit Hundertwasser wirbt, werden fast andächtig große Zahlen angeführt: Jeden Tag liefern 220 Müllwagen den Abfall an, von dem im Jahr 25.000 Tonnen bei bis zu 1000 Grad Celsius verbrannt werden, um jährlich 50.000 Häuser mit Strom und 60.000 Haushalte mit Wärme zu versorgen. Nicht zu vergessen die drei Horste für Turmfalken, die am Schlot eingerichtet wurden. Stolz ist man darauf, dass in Spittelau immer wieder innovative klimafreundliche Techniken zum Einsatz kommen. Seit 2009 wird hier etwa Fernkälte produziert, die 4.860 einzelne Klimageräte einspart.

Rund 40 Jahre nach der Inbetriebnahme, rund 20 Jahre nach der Hundertwasser-Umgestaltung, wurde das Ensemble von 2012 bis 2015 einer Generalsanierung unterzogen. Aktuell wird das Vordach neu begrünt, samt Besucher:innenweg und Urban Gardening für die Mitarbeiter:innen. Ein Substanzverlust ist seit 2022 zu verzeichnen, als man zwei ältere, von Hundertwasser gelb-rot-überdekorierte Öltanks durch einen Neubau ersetzte. Dieser wurde dann, in Abstimmung mit der Hundertwasser-Stiftung, in den Farben und Dekorformen des Meisters nachempfunden. Hier soll “Öko-Beton”, der Zuschlagstoffe aus recycelten Abbruchresten verwertet, zusätzlich für den Umweltschutz kämpfen. Diese neue “Power-2-Heat-Anlage” wandelt Strom dann, wenn er zur städtischen Versorgung gerade nicht benötigt wird, in Wärme um. Ein letzter Fun Fact hat jüngst die Presse begeistert: In Spittelau lässt die Polizei mehrmals wöchentlich Schmuggelware vernichten, damit gehen Zigaretten, Cannabis und Kokain in umweltfreundliche Fernwärme über.

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: Gerwin Sturm, CC BY SA 2.0, 2011)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau, als beliebtes Fotomotive hier beim Fotowalk Vienna@Night (Bild: Gerwin Sturm, CC BY SA 2.0, 2011)

Literatur

Brunner, Karl/Schneider, Petra (Hg.), Umwelt Stadt. Geschichte des Natur- und Lebensraumes Wien, Wien u. a. 2005.

Koch, Juliane, Optimierung der Strom- und Wärmeproduktion in der MVA Spittelau, Diplomarbeit, Montanuniversität Leoben, 2008.

Gshaider, Christoph, Kein Stein auf dem Anderen! Müllverbrennungsanlage Spittelau in Wien, auf: condair.at (in: HLK, wohl 2015).

Wien, links: Maschinenhaus Spittelau (Bild: Wien Museum, Inv. Nr. 33241, CC BY-NC-ND 4.0, um 1907); rechts: Fernwärmewerk Spittelau (Bild: WStLA, Fotos des Presse- und Informationsdienstes, FC1: 72380/6, CC BY-NC-ND 4.0, 1972)

Wien, links: Maschinenhaus Spittelau (Bild: Wien Museum, Inv. Nr. 33241, CC BY NC ND 4.0, um 1907); rechts: Fernwärmewerk Spittelau (Bild: WStLA, Fotos des Presse- und Informationsdienstes, FC1: 72380/6, CC BY NC ND 4.0, 1972)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: wdwd, CC BY 3.0 oder GFDL, 2011)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: Paul Korecky, CC BY SA 2.0, 2017)

Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: Paul Korecky, CC BY SA 2.0, 2017)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: wdwd, CC BY 3.0 oder GFDL, 2011)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: C. Stadler/Bwag, CC BY SA 4.0, 2020)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: C. Stadler/Bwag, CC BY SA 4.0, 2020)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: C. Stadler/Bwag, CC BY SA 4.0, 2020)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: C. Stadler/Bwag, CC BY SA 4.0, 2020)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

Wien, Müllverbrennungsanlage Spittelau (Bild/Titelmotiv: Keith Ewing, CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2012)

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