von Michael Hascher (23/2)

“Ihr Boomer habt es verbockt!” Mit diesem Vorwurf sehen sich heute ältere Erwachsene konfrontiert, wenn die nächste Generation auf die Ursachen der Klimakrise verweist. Darin steckt eine Bewertung der Vergangenheit, die zu einem längeren Blick auf die Frage herausfordert, warum die Entwicklung so und nicht anders verlief. Eine gute Gelegenheit dazu bieten eben jene Bauten, die mit Energie zu tun haben. Denn sie prägen nicht nur die Städte und Kulturlandschaften, sondern sind auch eine historische Quelle – unabhängig davon, ob sie Denkmale im Sinn des Gesetzes sind oder nicht. Ihre Unterschutzstellung darf nicht mit einer positiven Bewertung der dort angewandten Technologie verwechselt werden. Vielmehr sind Energiebauten oft, wie es der Kunsthistoriker Norbert Huse ausdrückte, “unbequeme Denkmale”.

Schalttafel eines Kraftwerks (Bild: Marcin Wichary, CC BY 2.0, via flickr, 2006)

Schalttafel eines Kraftwerks (Bild/Titelmotiv: Marcin Wichary, CC BY 2.0, via flickr, 2006)

Zwischen Stolz und Demut

Energiebauten bezeugen, was von den jeweiligen zeitgenössischen Diskursen in der Realität ankam und was nicht. In der Zusammenschau mit anderen Quellen relativiert sich so manche Zäsur, die allgemein gerne als spontane Richtungsumkehr, als Wende diskutiert wird. Auch der Blickwinkel spielt eine Rolle: Für viele sind Reaktoren, wie sie in diesem Heft mit dem “Atomteller” vorgestellt werden, das Relikt einer überwundenen Epoche. Andere sehen den deutschen Ausstieg aus dieser Energieform eher kritisch, denn während der gesellschaftlichen Auseinandersetzung darum wurde weiter kräftig Kohlendioxid ausgestoßen. Beide Seiten dürften sich einig sein, dass die hier porträtierten Beispiele der Fotovoltaik- oder Windkraftnutzung – die Akademie Mont Cenis und die fotokünstlerischen Lollipop-Bilder – in die Zukunft weisen.

Schwieriger wird es bei der Frage, wo die Grenzen der Gattung Energiebau verlaufen. Die in diesem Heft beschriebenen Kraftwerke in Luckenwalde, Niederwartha und Wien scheinen eindeutig dazuzugehören. Doch wie verhält es sich mit einem Haus, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht? Steht es nicht eher in der Tradition vormoderner Haushalte, die ihren Bedarf ohne öffentliche Infrastruktur decken mussten? In jedem Fall geht es bei Energie nicht um etwas Abstraktes, sondern ganz konkret um Licht, Wärme und Kraft. Greift man den Gebäudetypus Kraftwerk heraus, dann ist dieser noch relativ neu. Dennoch reicht seine Geschichte bis in die Zeit vor dem 19. Jahrhundert zurück. Um die Wasserkraft zu nutzen, entstanden schon früh Netzwerke von Kanälen, Seen und Mühlen. Dabei dienten die wasserwirtschaftlichen Anlagen nicht nur der Energieerzeugung.

Dampfkraftwerk (Bild: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Inge Bieri, 2010)

Unterboihingen, Dampfkraftwerk der Textilfabrik Otto von 1910 (Bild: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Michael Hascher, 2023)

Wasser und Dampf

Als im 19. Jahrhundert zunehmend industriell hergestellte Waren nachgefragt wurden, entstanden die ersten Fabriken an Wasserkraftstandorten. Nur wo diese nicht ausreichten, traten Dampfmaschinen hinzu. Auch die neuen Kessel- und Maschinenhäuser dienten zunächst der einzelnen Fabrik. Erst später entstanden Kraftwerke für die öffentliche Versorgung. Doch ihre Architekturgeschichte beginnt bei jenen Anlagen des 19. Jahrhunderts, die Fabriken auf Wasser- oder Dampfkraftbasis versorgen sollten. Manche zeigten gestalterisch sehr selbstbewusst die neuen technischen Möglichkeiten, andere versteckten sich nach Kräften in der Kulturlandschaft.

Der verstärkte Einsatz von Kohle, Öl und Gas bildete einen tiefen Einschnitt, versteht man ihn nun als Beginn des Anthropozäns oder nicht. Dabei nutzte man die Brennstoffe im Lauf der Zeit immer effizienter. Solche Erfolge der Ingenieurswissenschaft wurden jedoch stets durch den wachsenden Endenergieverbrauch aufgezehrt – und der Kohlendioxidausstoß stieg weiter. Die ersten öffentlichen Energiebauten waren Gaswerke, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst vor allem der Beleuchtung dienten, bevor das Heizen von Wohnungen oder die Prozesswärme in Industrie und Handwerk an Bedeutung gewannen. Bis heute bilden Gasbehälter in ihren verschiedenen Formen wichtige Landmarken.

Freiburg im Breisgau, Gaskugel (Bild: Andreas Schwarzkopf, CC BY SA 4.0, 2019)

Freiburg im Breisgau, Gaskugel von 1965 (Bild: Andreas Schwarzkopf, CC BY SA 4.0, 2019)

Kraft aus Maschinen

Kraftwerke liefern Kraft, treiben also Maschinen an. Bis auf wenige Ausnahmen geschah dies ab dem späten 19. Jahrhundert mit Strom, der auch zum Beleuchten oder Beheizen genutzt werden konnte – hier stand er aber in stärkerer Konkurrenz zum Gas und zu anderen Heizformen: Strom lässt sich mit Kohle oder mit Wasserkraft erzeugen und vergleichsweise einfach über weite Entfernungen transportieren. Daher errichtete man Kraftwerke auch an Orten fernab der Nutzung von Strom. Als nach dem Ersten Weltkrieg Verbundnetze aufgebaut wurden, konnten immer größere Kraftwerke immer mehr Kund:innen versorgen, darunter einige Wasserkraftwerke mit Pumpspeichertechnologie. Bis 1965 errichtete man damit, begünstigt durch den boomenden Betonbau, auch eine ganze Reihe von aufsehenerregenden Staudämmen.

Doch der Energiebedarf wuchs immer schneller und mit ihm die Zahl der Kraftwerke, in denen etwas verbrannt wurde: Neben Kohle, Öl und Gas gehörte auch Müll dazu. Die Atomkraftwerke (AKWs), die zwischen den späten 1960er Jahren und 1989 entstanden, sollten vor allem die weiter steigende Nachfrage nach Strom bedienen. Bekanntlich waren sie in der bundesdeutschen Gesellschaft heftig umstritten – wie zuvor schon die großen Wasserkraftwerke.

Altbach/Deizisau, Heizkraftwerk 1, Kesselhaus und Katalysatorelement (Bilder: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Michael Hascher, 2021)

Altbach/Deizisau, HKW 1, Katalysatorelement und Kesselhaus von 1985 (Bilder: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Michael Hascher, 2021)

Ein Heizkraftwerk

Immer wieder trafen Energiebauten auf eine kritische Öffentlichkeit. Nach der Ölkrise nahm die Gesetzgebung noch stärker Einfluss auf die Konzeption und Gestaltung von Kraftwerken. Für diese Entwicklung kann hier beispielhaft das 1985 eröffnete Heizkraftwerk (HKW) 1 in Altbach/Deizisau stehen. An diesem seit 1900 betriebenen Standort gab es 1975 vier Kohleblöcke und zwei Gasturbinen. 1979 begannen die Planungen für einen fünften Block, der nun als HKW dienen sollte. Er ersetzte einerseits die älteren Anlagen, die wegen des 1974 in Kraft getretenen Bundesimmissionsschutzgesetzes stillgelegt werden mussten. Andererseits stiegen die Neckarwerke damit in die Fernwärmeversorgung ein, was die Landesregierung seit den späten 1970er Jahren forcierte. Die Aufgabe, das Kraftwerk architektonisch in die Kulturlandschaft des Neckartals einbinden, übernahmen Alfred Angerer (1925–2010) und Gerhard Feuser (1932–2022).

Charakteristisch für das HKW 1 sind die reduzierten Baumassen und die Fassadenverkleidung mit Aluminium-Trapezblechen. Damit erhielt der mehrteilige Komplex ein vertikal strukturiertes, einheitliches Erscheinungsbild. Der sogenannte “weiße Riese” avancierte zum Vorbild für spätere Kraftwerke in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Brandenburg. Zudem vermied man mit dem Hybridkühlturm sowohl die Wärmebelastung des Neckars als auch die Schwadenbildung der Nasszugkühltürme, wie man sie bereits von AKWs kannte. Diese ursprünglich für Neckarwestheim II entwickelte Technik wurde in Altbach schneller umgesetzt, wofür die Neckarwerke und die Firma Balcke-Dürr 1986 den Innovationspreis des Bundesforschungsministeriums erhielten.

Schon bei Planung und Bau war das HKW 1 von der Umweltpolitik geprägt. Das Bundesimmissionsschutzgesetz von 1974 und die novellierte Technische Anleitung Luft von 1983 forderten eine Rauchgasentstaubung und Rauchgasentschwefelung. Als erstes großes Kohlekraftwerk der Bundesrepublik wurde das HKW 1 zudem mit einer – vom Umweltbundesamt geförderten – Entstickungsanlage ausgerüstet. Dazu reiste eine Delegation 1983 nach Japan, wo die katalytische Technologie der Rauchgasentstickung schon etabliert war. Die Anlage wurde daraufhin nochmals umgeplant, bevor das HKW 1 im Jahr 1985 ans Netz gehen konnte.

Altbach/Deizisau, Heizkraftwerk 1, Hybridkühlturm (Bild: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Michael Hascher, 2021)

Altbach/Deizisau, HKW 1, Hybridkühlturm von 1985 (Bild: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Michael Hascher, 2021)

Auf Reserve

Noch heute leistet das HKW 1 in Altbach wichtige Dienste, vor allem im Winter. Zwar haben Wind- und Sonnenenergie, Wärmepumpen und Erdwärme in den letzten Jahren aufgeholt. An kalten Wintertagen aber, wenn die erneuerbaren Energien zu wenig Strom und Wärme liefern können, geht das als Reserve geltende HKW 1 ans Netz. Durch den Kohleausstieg soll es bald durch ein Gaskraftwerk ersetzt werden, als Denkmal bleibt es erhalten.

Die Baugattung Kraftwerk ist längst zur popkulturellen Metapher avanciert, hat aber architektonisch an Bedeutung eingebüßt. In den letzten Jahren entstanden beeindruckend viele Anlagen, die emissionsfrei Strom erzeugen. Gleichzeitig ist unübersehbar, dass es immer wieder lange dauerte, bis allgemein als richtig erkannte Lösungen in der baulichen Realität ankamen. Schließlich drängten damals neben dem Treibhauseffekt noch andere Probleme auf eine Lösung. Die Luftverschmutzung durch schwefel- und stickoxidhaltige Abgase, oder die ‘Landschaftsverschandelung’ durch Kraftwerke. Zudem hat sich der Energieverbrauch, auch der privaten Haushalte, trotz aller Diskussionen nicht wesentlich verringert.

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Bonusbeitrag

Inhalt

LEITARTIKEL: Energiebauten

LEITARTIKEL: Energiebauten

Michael Hascher zur langen Geschichte der modernen Kraftwerke.

FACHBEITRAG: E-Werk Luckenwalde

FACHBEITRAG: E-Werk Luckenwalde

Ira Mazzoni über ein ehemaliges Kraftwerk, das als Kreativort mit “Kunststrom” reaktiviert wurde.

FACHBEITRAG: Pumpspeicherwerk Niederwartha

FACHBEITRAG: Pumpspeicherwerk Niederwartha

Gunnar Klack über ein Kraftwerk aus dem Jahr 1930, das für die rasante Entwicklung des modernen Stromnetzes steht.

FACHBEITRAG: Müll­verbrennungs­anlage Spittelau

FACHBEITRAG: Müll­verbrennungs­anlage Spittelau

Karin Berkemann über einen Bau der 1970er Jahre und eine Idee von Friedensreich Hundertwasser.

INTERVIEW: "Das war eine klassische Schnapsidee"

INTERVIEW: “Das war eine klassische Schnapsidee”

Andree Weißert über die Idee des Atomtellers und ihre Folgen.

PORTRÄT: Sendungs­­bewusste Kraftwerke

PORTRÄT: Sendungs­­bewusste Kraftwerke

Daniel Bartetzko über Musik als Industriekultur, denn: Waren Pink Floyd Kohlekraft, so sind Kraftwerk Kernenergie.

FOTOSTRECKE: Lollipops

FOTOSTRECKE: Lollipops

Mit langen Belichtungszeiten halten Fotograf:innen die Windräder an, mit einem überraschenden Effekt.

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