von Matthias Ludwig (21/2)

Die Erstinfektion muss im heimischen Kinderzimmer stattgefunden haben. Da schimmerte von außen das warme Licht einer hohen bogenförmigen Straßenlaterne herein. Wehe, wenn ihrem Leuchtkopf keine volle Helligkeit entströmte, wenn eine Röhre zu flackern begann, bald nur noch kurzzeitig aufflammte, sich endlich nurmehr ein seitliches Restglimmen zeigte, das dann ganz erlosch … Das hatte Wirkung. Bald wurde jede nicht einwandfrei funktionierende oder beschaffene Straßenleuchte bei Spaziergang oder Autofahrt wahrgenommen, nach und nach verschiedenste ihrer Arten und Formen vermerkt. Es gab elektrische Lampen in langgestreckten, runden oder kastenförmigen Gehäusen, mancherorts (wie in Frankfurt am Main) auch Gaslaternen, und an besonderen Situationen fielen gestalterische Speziallösungen ins Auge – wie Kandelaber mit würfelförmigen Leuchtelementen auf Kassels Königsplatz.

Märklin-Bahnhofsleuchte 7047 (Bild: ebay.de)

Märklin-Bahnhofsleuchte 7047 (Bild: ebay.de)

Bahnhofsleuchten

Viele Orte in Stadt und Land konnte man geradezu an ihren Leuchten erkennen. Besonders eindrücklich waren die noch aus den 1950er Jahren überkommenen, zu Jugendzeiten freilich schon ältlich erscheinenden großen „Pilz“-Laternen auf den innerstädtischen Platzanlagen. In Kassel etwa gab es sie vor dem Hauptbahnhof, am Stände- und Scheidemannplatz. Frankfurt am Main zierte eine große Zahl, unter anderem den Goetheplatz. Im Netz firmieren diese heute als Großflächenleuchten wesentlich der Siemens-Typen „ALQ 510ff.“. Sie konkurrierten mit den – in Kassel z. B. an der „Trompete“ aufgestellten – „Chinesenhüten“ von Vulkan. Daneben gab es, auch in kleineren Städten, etwa tellerartige Aufsätze von D.I.S.C.O. bzw. Rech.

Bald entstanden daraus auch Nachbildungen für die Modellbahn. Hier machte sich mit der „Märklin-Bahnhofsleuchte 7047“ ab 1954 zunächst vor allem eine Vertreterin nach Art des Siemens-Pilz‘ breit. In der äußeren Wirklichkeit ging es jenen freilich schon in den 1970er/80er Jahren an den Kragen. Wohl waren Wartung und Reinigung aufwändig, die Montage aufgrund eines beachtlichen Gewichts schwierig. Effizientere, kleinere, leichtere Aufsätze kamen als Ablösung. So sind die „Großschirmleuchten“ der Siemens-Art, aber auch die Laternen damaliger Konkurrenten sind inzwischen selten. Die Folgemodelle der 1960er Jahre, etwa der nüchtern-schüsselartige Siemens-Typ „ALH 800“, der in Kassel einst am Friedrichsplatz oder vor dem Rathaus zu finden war, hielten ggf. unter technischen Anpassungen wie geänderten Leuchtmitteln länger durch.

Rosenheim, Landesgartenschau 2010, Installation "Leuchtenwald" von Sonja Vordermaier (Bild: Maximilian Dörrbecker, CC BY SA 2.04, 2011)

Rosenheim, Landesgartenschau 2010, Installation „Leuchtenwald“ von Sonja Vordermaier (Bild: Maximilian Dörrbecker, CC BY SA 2.5, 2011)

Pilzleuchten

Im Zeitalter vielfacher Umstellung auf zweifellos notwendig energiesparendere Techniken ist nun aber eine weit größere Zäsur zu beobachten: der umfassende Austausch noch bestehender Leuchten aus den Nachkriegsjahrzehnten. Nicht selten folgt gesichtsloser Ersatz in Form rein technisch in Großserie produzierter, einfallsloser, weit verbreiteter Massenware, die etwa an Schwimmflossen oder Bleistifte erinnert. Der dahinterstehende Umstieg auf LED scheint zukunftsweisend. Doch es sind Zweifel angebracht angesichts einer mindestens ungewissen Nachhaltigkeit, die bisherigen Techniken stehen bei entsprechender Modernisierung und Effizienzsteigerung nicht unbedingt im Nachteil.

Neben entsprechenden Ersparnissen böte dies die Chance, mancherorts Überkommenes, Bewährtes, keineswegs Verschlissenes zu erhalten. Und man könnte so an vorhandenen, einst auch bewusst entwickelten Ästhetiken festhalten. Dies gilt gleichsam für Platzanlagen und Straßenzüge, wie manche Wohnstraßen in Neubauensembles der Nachkriegsjahrzehnte. Stadt- wie Denkmalpflege sollten denn auch aufmerksam machen und werden. Schließlich symbolisierten und prägten die Leuchten jener Zeit geradezu den Aufbruch ins „Wirtschaftswunder“, wie vielfach auf alten Bildern, Postkarten und in Prospekten zu sehen ist.

Dies galt besonders für die großen Pilzleuchten vom Siemens-Typ, den ähnlich auch andere Hersteller (etwa Rech und AEG) im Programm führten. Vielfach wurden sie an den Zentren des Wieder- und Neuaufbaus großer und mittlerer Städte aufgestellt. Dort prägten sie das Stadtbild eindrücklich, nicht zuletzt bei Nacht. Letzte noch vorhandene Exemplare ihrer und anderer zeitverbundener Typen sollte man – insbesondere in ensemblehaften Situationen – denn auch retten, ggf. innerlich an modernere Techniken angepasst in die Zukunft bringen. Und dies am besten im Gleichklang mit ihrem weiteren Umfeld: mit Baubeständen, Platzgestaltungen und weiterer zeittypischer Stadtmöblierung.

 Laternen im Ost-Design bei Dippach/Werra (Bild: Michael Fiegle, CC BY SA 3.0, 2012)

Laternen im Ost-Design bei Dippach/Werra (Bild: Michael Fiegle, CC BY SA 3.0, 2012)

Ostleuchten

Tatsächlich sind bei genauerer Wahrnehmung noch heute leuchtende „Dinosaurier“ der Nachkriegszeit zu finden: in voller Funktion etwa Pilzleuchten der Siemens-Art in Schweinfurts Innenstadt. Oder, liebevoll dokumentiert von Lampenfreund:innen, in Hamburg und Berlin. Wohl sind auch ihre Jahre gezählt. Man beeile sich also, solch heute raren Exemplare noch in Wirkung, Ästhetik und natürlich Lichtentfaltung zu erfassen, vielleicht aber auch für sie zu werben und nachhaltig auf ihren Erhalt hinzuarbeiten …

Mit dem Ende der DDR musste man um den Fortbestand der dort gewachsenen Straßenmöblierung samt -beleuchtung fürchten. Heute, über 30 Jahre nach der „Einheit“, sind bei genauerem Hinsehen indes noch immer zahlreich Vertreterinnen der einst das Straßenbild prägenden Leuchten-Typen erhalten: Die „LBL-0236 …“, „BG“ oder „RSL“ markieren weiterhin eine andere Vergangenheit. Freilich sind die Verluste enorm. Umgekehrt finden sich mittlerweile aber auch den Altbeständen geradezu verblüffend ähnliche Neubauleuchten mit heutiger Technik im einstigen „Ost-Design“, nun auch in westlichen Gebieten …

Straßenlaterne (Bild: gemeinfrei, pixabay.com)

Straßenlaterne (Bild: gemeinfrei, pixabay.com)

Denkmalleuchten

Das Problem der Ästhetik scheint also nicht verborgen, wird vielmehr öffentlich wahrgenommen. Davon zeugen Diskussionen, auch Proteste und Abstimmungen zu Erneuerungsprojekten von Straßenbeleuchtungen. Warum dann nicht gleich bei dem einst auf Qualität und Langlebigkeit ausgelegten Bestand bleiben? Indem man ihn vorsichtig mit energiesparenden Techniken nachhaltig, kostensparend und ressourcenschonend renoviert und weiterentwickelt. Dem Erhalt manch eindrücklicher Situation, nicht nur auf Modellbahn-Ebene, wäre es dienlich.

Der "Chinesenhut" (Bild: historische Werbegrafik, nachträglich eingefärbt)

Titelmotiv: Der „Chinesenhut“ (Bild: historische Werbegrafik, nachträglich eingefärbt)



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