von Pablo von Frankenberg (21/2)

Straßenkappen, Bedürfnisanstalten, Lichtzeichenanlagen, Absperrpfosten, Fahrradanlehnbügel, Peitschenleuchten, Baumschutzgitter, Hundekotbeutelspender, Schachtdeckel, Handschwengelpumpen, Überflurhydranten, Normalladepunkte – die Liste von Bezeichnungen für Stadtmöbel ließe sich beliebig verlängern, zu dadaistischer Lyrik zusammenfügen oder als Ausgangspunkt einer tiefenpsychologischen Gesellschaftsanalyse nehmen. Die Stadt ist voller Objekte, deren Gestaltung so erratisch erscheint wie ihre Namen. Nun ist die gesamte Bauwirtschaft durchzogen von Begriffen, die auf einen Zirkel von Eingeweihten aus Stadtplanungsbehörden, Bauministerien, Hoch- und Tiefbaufirmen, Architektur- und Ingenieurbüros zurückgehen, fein abgeschmeckt mit dem komplexen Regelwerk baurechtlicher Bestimmungen. Die Schuttrutsche mit Einfüllstutzen auf einer Baustelle oder die Dampfsperrschürze beim Fensterbau sind allerdings in der Regel nichts, womit man als Privatperson regelmäßig in Kontakt kommt. Beim Stadtmobiliar ist das anders. Als Stadtmensch, und dazu gehören in Deutschland momentan drei Viertel der Bevölkerung, ist man tagtäglich mit ihnen konfrontiert, ohne sie allerdings groß zu beachten. Dabei kann man an ihnen nicht nur die Geschichte von Design und seiner Nutzung(-saneignung) ablesen, sondern auch kommunalpolitische und wirtschaftliche Zusammenhänge begreifen.

Amsterdam, Poller werden an Ketten gelegt, 1952 (Bild: Joop van Bilsen, CC0)

Im Weg: Im Hafen von Amsterdam sah man sich 1952 gezwungen, die Poller an die Kette zu legen (Bild: Joop van Bilsen, CC0, 1952)

Pollerforschung

Stadtmobiliar, der Oberbegriff für all diese Objekte, hätte in seiner Paradoxie nicht treffender gewählt werden können. Als ob man es sich auf einem elektromechanischen Versenkpoller in der Stadt mal so richtig schön gemütlich machen könnte. Dass der Poller dabei tatsächlich für weitaus mehr steht als eine bloße Durchfahrtsperre, beweist Helmut Höge mit seiner „Pollerforschung“. Höge, altgedienter Aushilfshausmeister der taz, betreibt seit 1989 dieses Subgenre der Stadtforschung und zeichnet in seinem gleichnamigen und 2018 neu aufgelegten Buch die psychogeografische Bedeutung und individuelle Aneignung des urbanen Pollers nach. Der Architekturtheoretiker Vittorio Lampugnani schließt sich ein Jahr später mit seinem Buch „Bedeutsame Belanglosigkeiten“ Höges Blick fürs Spezielle an und wendet sich ausgewählten Stadtmöbeln als historischen Quellen zu. Dass sie als solche taugen, lässt ihr irreführender Name nicht gleich erraten, denn die meisten sind keineswegs “mobilis”, also beweglich, sondern dauerhaft. Selten berücksichtigen ihre Gestaltung und ihre Platzierung den sie umgebenden urbanen Raum. Die mit hellgrauen Granitfliesen verkleidete „City-Toilette“ jedenfalls, die auf einem von Backsteingotik und neobarocken Häusern umgebenen Berliner Platz wie versehentlich abgeworfen steht, eröffnet völlig neue Dimensionen des Koolhaas’schen „fuck context“. 

Stadtmobiliar wird hinsichtlich seiner Dauerhaftigkeit und Unbeweglichkeit vielleicht treffender auch Kleinarchitektur genannt, die kleine Schwester der „richtigen“ Architektur also, wobei letztere jegliche Verwandtschaft am liebsten von vornherein abstreiten möchte. Familie sucht man sich nicht aus, und so könnte sie die Verhaltensauffälligkeiten ihrer kleinen Schwester integrieren, könnte man meinen. Dies zumindest tat Gabriel Davioud für das Haussmann’sche Paris und schuf eine bis heute sichtbare Identität zwischen Stadtumgebung und Stadtmöbeln. Platzsparende Funktionsintegration war für die Kombination von öffentlichen Urinalen oder Parkbänken mit Stadtbeleuchtung und Werbetafeln leitgebend. Die Gewinne der Werbeeinnahmen flossen zurück in die öffentliche Hand. Dieses Modell der Kommunalisierung von Gestaltung (Davioud war u. a. Generalinspekteur der Stadt Paris) und ihrer Finanzierung sucht man heute meist vergeblich.

Kawakawa, öffentliche Toilette nach einem Entwurf von Friedensreich Hundertwasser (Bild: W. Bulach, CC BY SA 4.0, 2009)

Dekorfreudig: öffentliche Toilette im neuseeländischen Kawakawa nach dem Entwurf von Friedensreich Hundertwasser (Bild: W. Bulach, CC BY SA 4.0, 2009)

Ein Meisterstück

Ein eigener Wirtschaftszweig lebt mittlerweile von diesen randständigen Dingen. Dass damit Austauschbarkeit statt Kontextualisierung einhergeht, hört man schon an den Werbeslogans der Stadtmöbelhersteller. Der “A13K – der Alleskönner unter den Abfallbehältern” hält bestimmt, was er verspricht. Und wer könnte schon der Mischung aus Stabreim und Schutzbedürfnis widerstehen: „Lehna Lehnhilfen sind die sympathische Alternative zur starken Schulter.“ Wenn sich nun aber die Wachowski’sche Matrix beim öffentlichen Stuhlgang einschaltet, dann weiß man, dass das Leben so viel mehr für einen bereithält: „City-Toilette Neo. Die Toilette der Zukunft. Ein Meisterstück, das es in sich hat.“ Was genau dieses Klo in sich hat, will man nicht unbedingt wissen und entscheidet sich dann doch eher für die „City-Toilette Challenge: Design trifft Bedürfnis.“ Denn solange das Design nicht vom Bedürfnis getroffen wird, kann es zumindest nicht schlimm riechen. In jedem Fall will man nach kurzer Lektüre des Angebots auf dem Markt der Stadtmöbel Werbetexter werden. Wo sonst kann man sich stilistisch so austoben?

Stadtmöbel reizen aber auch zu ausgefeimten Geschäftsmodellen. Die Außenwerbefirma Wall hat es seit 1992 geschafft, über ein Vierteljahrhundert lang für die Bereitstellung und Pflege von Außentoiletten in Berlin einen hochlukrativen Vertrag mit dem Berliner Senat auszuhandeln. Man verlangte von der Stadt für Gestaltung, Aufstellung und Reinigung der „Challenges“ und „Neos“ im Gegenzug nichts. Nur, nun ja, die Werbeeinnahmen von jeweils elf beleuchteten Plakaten rund um jede dieser Bedürfnisanstalten. Wie viel Gewinn dieser Deal in die Kassen einer der weltgrößten Außenwerbefirmen (Wall gehört mittlerweile zu JCDecaux) spülte, bleibt geheim. Die Geheimhaltung allein dürfte beweisen, dass man weiterhin mit Scheiße Geld verdienen kann.

Stadtmöbel können aber auch auf andere Weise Gewinn abwerfen. Geschickt platzierte Hydranten verhindern die einzigen Park- und damit Zugangsmöglichkeiten für den an sich öffentlichen Strand in Duxbury, Massachusetts. Duxburys Küste ist mit privaten Villen zugebaut. Die Besitzer:innen dieser Immobilien sorgen durch die vorsätzliche Einschränkung öffentlicher Park- und das Fehlen nichtmotorisierter Zugangsmöglichkeiten dafür, dass der öffentliche Strand quasi privatisiert und der Wert der Immobilien damit erhöht wird. Die Gestaltung wiederum anderer Stadtmöbel versucht von vornherein, unerwünschte Nutzungen auszuschließen. So sind mittlerweile viele Bänke in Parks oder Bushaltestellen mit mehrfachen Armlehnen ausgestattet, sodass ein kurzes Nickerchen oder gar eine vom feuchtkalten Boden geschützte Übernachtung unmöglich werden. Manche Stadtmöblierung hat als einzige Funktion, Obdachlose zu vertreiben. Wie Taubenspikes zur Vogelabwehr gibt es hier ein breites, von findigen Ingenieuren geplantes Angebot: geriffelte Betonoberflächen, metallene Bodenstacheln, Wasserdüsen, die in unregelmäßigen Abständen den Boden befeuchten u. v. m. Hier stößt man auf eine Unterkategorie des Stadtmobiliars: die sog. defensive Architektur.

Freilichtmuseum Kiekeberg, Königsberger Straße (Bild: Freilichtmuseum Kiekeberg)

Museumswürdig: Das Freilichtmuseum Kiekeberg sucht für seine Königsberger Straße – hier die Projektleiterin Zofia Durda – Elemente der nachkriegsmodernen Stadtmöblierung (Bild: Freilichtmuseum Kiekeberg)

Ein Stadtmöbelmuseum

Dem steht ein ganzes Arsenal der Inklusion gegenüber. Guerilla knitting umhäkelt Poller und nimmt ihnen das Defensive, guerilla gardening eignet sich ungepflegte Grünflächen an, Initiativen wie Stadtlücken e. V. bauen Kletterwände, Spielplätze und öffentliche Versammlungsorte in ungenutzten Restflächen unter Brücken, das Flussbad Berlin will die bislang unzugängliche, fest in der Hand privater Reedereien befindliche und den Unwägbarkeiten unzulänglicher Kläranlagen ausgesetzte Spree zum öffentlichen Schwimmbad umwandeln. Das Arsenal der Inklusion reicht weit. Manche Stadtmöbel werden ungewollt zu Staffeleien von Street Artists, andere zu grind rails für Skater oder zum neuen Trainingsgelände für Traceurs. Wo aber bleibt das Museum für Stadtmöbel, um sich endlich in Ruhe mit den sozioökonomischen Zusammenhängen, den ethnologischen Besonderheiten und den ästhetikgeschichtlichen Entwicklungen dieses Randgebiets der Urbanismusforschung auseinandersetzen zu können – losgelöst vom Kontext der Stadt, übertragen in den analysierenden Raum des Museums? Das Stadtmöbelmuseum kann auch manch aussterbende Spezies retten: Telefonzellen, die durch Smartphones abgelöst, Parkuhren, die von digitalisierten Parkraumbewirtschaftungszonen überflüssig gemacht, Zigarettenautomaten, die in vielen Ländern verboten wurden.

Randnotizen

„Fuck context“, würde Rem Koolhaas bei dieser Bedürfnisanstalt wohl sagen (Bild: Pablo von Frankenberg)

„Fuck context“, würde Rem Koolhaas bei dieser Bedürfnisanstalt wohl sagen (Bild: Pablo von Frankenberg)

„Wenn Du Dir Zeit lässt, hast Du vom Leben mehr/Bei zu viel Vollgas, da ist der Tank bald leer.“ – Aneignung eines Polyurethan-Pollers im Stuttgarter Stadtraum durch selbstgemachte Widmungsplakette mit Heinz-Erhardt-Zitat (Bild: Pablo von Frankenberg)

Wenn Du Dir Zeit lässt, hast Du vom Leben mehr/Bei zu viel Vollgas, da ist der Tank bald leer“ – die Geschichte hinter diesem Polyurethan-Poller war leider zu lang, als dass sie es bis ganz hoch in den Artikel geschafft hätte (aber zu schön, um sie hier ganz zu verschweigen): Es geht um Stuttgarter SUVs, die auf Bürgersteige hochrampen, und hartnäckige Bürger, die auch schon mal direkt beim OB anrufen, um ihren täglichen Weg zu Fuß sicherer zu machen. Und Menschen, die all das durch Etikettierung mit einer selbstgemachten Widmungsplakette mit Heinz-Erhardt-Zitat zum Kunst-Happening erklären (Bilder: Pablo von Frankenberg)

Zum Weiterlesen

Armbrost, Tobias u. a. (Hg.), The arsenal of exclusion & inclusion, New York/Barcelona 2017.

Hahn, Hazel, Scenes of Parisian Modernity: Culture and Consumption in the Nineteenth Century, New York 2009.

Höge, Helmut, Pollerforschung, Hamburg 2018.

Magnago Lampugnani, Vittorio, Bedeutsame Belanglosigkeiten. Kleine Dinge im Stadtraum, Berlin 2019.

Wortwörtliche Stadtmöblierung: diskursive Aneignungstaktiken unter der Brücke (Bild: © Stadtlücken e. V. - Österreichischer Platz, Stuttgart)

Titelmotiv: Wortwörtliche Stadtmöblierung: diskursive Aneignungstaktiken unter der Brücke (Bild: © Stadtlücken e. V. – Österreichischer Platz, Stuttgart)



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Inhalt

LEITARTIKEL: Stilblüten der Stadtgestaltung

LEITARTIKEL: Stilblüten der Stadtgestaltung

Pablo von Frankenberg über die dadaistisch-lyrische Seite der Stadtmöblierung.

FACHBEITRAG: Berlin im Gaslicht

FACHBEITRAG: Berlin im Gaslicht

Nikolaus Bernau über eine verschwindende Leuchtenlandschaft.

FACHBEITRAG: Sinus in der Kurve

FACHBEITRAG: Sinus in der Kurve

Christiane Wachsmann über Ulmer Designschätze der Stadtmöblierung von Walter Zeischegg.

FACHBEITRAG: Die Höhle des Tidyman

FACHBEITRAG: Die Höhle des Tidyman

Daniel Bartetzko über die Kunst des Wegwerfens.

PORTRÄT: Von Pilzen und Chinesenhüten

PORTRÄT: Von Pilzen und Chinesenhüten

Matthias Ludwig über die Vielfalt der modernen Lichtspender.

INTERVIEW: "Vor unserer Haustür"

INTERVIEW: “Vor unserer Haustür”

Julia Novak und Thomas Beutelschmidt – beide haben die “Baudenkmalstiftung Nachkriegsmoderne” (DSD) initiiert – im Gespräch über eine besondere Wasserpumpe.

FOTOSTRECKE: Immer im Kreis

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Turit Fröbe und Daniel Bartetzko auf Fotosafari in Absurdistan.

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