von Polina Gundarina (23/3) – englische Textfassung
Die Zahl der sozialistischen Kulturhäuser in den Städten von Polen bis Fernostrussland ist bemerkenswert. Von Anfang an erlangte vor allem die Sowjetregierung Berühmtheit durch den Bau dieser Paläste für die Arbeiter, wobei die frühesten Beispiele heute als herausragende Denkmäler der sowjetischen Architekturavantgarde gewürdigt werden. Das „palastartige Reich“ sozialistischer Clubs bestand über mehr als 70 Jahre sowjetischer Geschichte und weitete seinen Einfluss nach dem Zweiten Weltkrieg auf andere sozialistische Staaten aus. Die Geschichte der Kulturhäuser und -paläste in der Sowjetunion und der DDR weist viele Gemeinsamkeiten auf. Beide Staaten unterstützten diese Institutionen im Rahmen ihrer Sozial- und Kulturpolitik mit dem Ziel, die sozialistische Lebensweise zu fördern. Obwohl diese Gebäude von ideologischen Botschaften durchdrungen waren, dienten sie doch auch als Orte der Gemeinschaft für Unterhaltung und Freizeitaktivitäten. Die Paläste in größeren Städten funktionierten als prestigeträchtige Schaufenster sozialistischer Errungenschaften. Trotz der negativen Assoziationen, die heute aufgrund der unruhigen Vergangenheit des Sozialismus mit ihnen verbunden sind, spielten Kulturpaläste eine wichtige Rolle im täglichen Leben und blieben auch nach den politischen Umbrüchen der 1990er Jahre bedeutsam. Wie vollzog sich ihre postsozialistische Transformation in Deutschland und Russland – und wie trennten sich dabei ihre Wege?
Jekaterinburg, Kulturpalast UZTM Uralmasch (Bild: Vyacheslaw Bukharov Wikipedia.ru, CC BY-SA 4.0)
“Wir werden Ihnen beibringen, die neue Architektur zu verstehen!” Nachkriegs-Kulturpasäste in Sowjetrussland
Die Suche nach einer architektonischen Sprache, um die revolutionäre Romantik des bolschewistischen Reiches in den 1920er Jahren zum Ausdruck zu bringen, führte zu den schönsten Beispielen sowjetischer Architekturavantgarde. Der Rusakov Club (entworfen vom Architekten Konstantin Melnikov) und der Zuev Workers‘ Club (entworfen vom Architekten Ilya Golosov) zeichneten sich durch ihre Größe und beeindruckende Kapazität aus und verkörperten wirklich das Konzept der „Werkstätten des Neuen Menschen“, wie El Lissitzky es sich vorgestellt hatte. Fast 40 Jahre später erlebte das architektonische Paradigma einen dramatischen Wandel. Der anhaltende Einfluss des internationalen Modernismus, gepaart mit Chruschtschows massivem Wohnungsbauprogramm, führte in Tausenden sowjetischen Städten zu einer neuen städtischen Einheit: den Mikrobezirken (Mikrorajon) mit Plattenbauten. Diese Mikrobezirke sind zur gebräuchlichsten städtischen Typologie geworden und prägen auch heute noch die erkennbaren Landschaften ehemaliger sowjetischer Städte. Seitdem wurden Kulturhäuser strategisch so geplant, dass sie sich in unmittelbarer Nähe zu den Wohnblöcken befinden, um ihre nahtlose Integration in das umgebende Stadtgefüge zu gewährleisten. Im Jahr 1959 wurden Vorschriften erlassen, die vorsahen, dass Clubs nicht weiter als zehn Gehminuten von Wohngebieten entfernt liegen sollten. Dieser stark rationalisierte Ansatz bedeutete tatsächlich eine buchstäbliche Bereitstellung von Kultur: 5,5 Quadratmeter Kulturraum pro Einwohner im Mikrorajon.
Moskau, Sujew-Arbeiterklub 1931 (Bild: Branson DeCou via Wikipedia.de, CC0)
Die Ästhetik der Kulturhäuser der Nachkriegszeit wurde stark von den Reformen Chruschtschows beeinflusst. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der Pionierpalast in Moskau (1958-1962), der vom renommierten sowjetischen Architekten der Moderne, Felix Novikov, mitentworfen wurde. Als Novikov und seine Kollegen den Entwurf dem Moskauer Komitee vorstellten, stieß er zunächst auf heftige Kritik. Novikov erinnert sich: „Jemand von der Partei fragte sarkastisch: ,Ist das wirklich ein Palast? Wissen wir nicht, wie Paläste aussehen?“ Der Architekt Lovyeko antwortete mutig: „Anhand dieses Beispiels werden wir Ihnen beibringen, die neue Architektur zu verstehen!“ Dies markierte den Beginn einer neuen Ära im sowjetischen öffentlichen Gebäudedesign. In den 1960er Jahren ließen sich die Entwürfe für Kulturhäuser von der westlichen Architektur der Aufbaujahre inspirieren und versuchten, den Geist der sowjetischen Avantgarde der 1920er Jahre wiederzubeleben, der während der Herrschaft Stalins unterdrückt worden war. Ein weit verbreitetes standardisiertes Projekt, bekannt als „Yubileyniy“ (Jubiläum der Revolution), veranschaulicht diesen Wandel: Es zeichnete sich durch offenere, geräumigere Bereiche, breite Korridore und reichlichen Einsatz von Glas zur Verbesserung des natürlichen Lichts aus. Dieses Design fand in der gesamten UdSSR weite Verbreitung, von Barnaul bis Jekaterinburg, von Nowopolock (Weißrussland) bis Nowomoskowsk (Ukraine). Die fortschreitende Industrialisierung samt großer Arbeitersiedlungen führte zu einem erheblichen Anstieg der Zahl der Kulturhäuser: 1975 vermeldeten die staatlichen Statistikämter die beachtliche Zahl von über 90.000 Kulturhäusern im ganzen Land.
Barnaul, Kulturhaus der Chemiearbeiter DK Khimikov), Russland (historische Postkarte)
Allerdings kam es in den Nachkriegsjahren nur selten vor, dass individuelle Gestaltungen von Kulturpalästen verwirklicht wurden. Dies geschah, wenn sie von staatlich anerkannten Unternehmen in Auftrag gegeben wurden, oder wenn sie eine wichtige Rolle in neu entwickelten städtischen Gebieten spielten. Ein Beispiel hierfür sind die inzwischen abgerissenen Kulturpaläste Svetlana in Sankt Petersburg, die im Auftrag der Elektronikunternehmen Svetlana und Pozitron errichtet wurden. Die den Arbeitern dieser wichtigen Fabriken zur Verfügung gestellten Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten waren für das örtliche Parteibüro von großer Bedeutung, insbesondere in Verbindung mit ehrgeizigen Plänen für die damalige Erweiterung Leningrads und die Schaffung neuer Mikrobezirke. Die geplante Gestaltung dieses Kulturpalastes war kolossal: Sie-Torso umfasste zwei Gebäude, einen Teich, ein Schwimmbad und zahlreiche Räume für Aufführungen und Freizeitaktivitäten. Der Bau blieb während der Sowjet-Ära unvollendet und nach 1991 verfiel das Gebäude. Schließlich kauften private Bauträger das Areal und 2007 wurde der verfallene Kulturpalast-Torso abgerissen.
DDR Kulturhäuser: Nach sowjetischem Vorbild mit besonderer Note
Das Konzept der Volkshäuser, das im späten 19. Jahrhundert sowohl im Deutschen als auch im Russischen Reich an Popularität gewonnen hatte, spielte eine bedeutende Rolle bei der Gestaltung sowjetischer Vereine sowie der in Deutschland während der Weimarer Republik gegründeten Vereine. Mit dem Wachsen des Sozialismus erlangte das Ziel der Gestaltung von Freizeitaktivitäten eine neue Bedeutung. Nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) unter kommunistischer Herrschaft entstand in ganz Ostdeutschland eine Welle neuer „Arbeiterpaläste“. Diese Bauten lehnten sich an das Konzept der Kulturhäuser der Sowjetunion an und wurden zunächst größtenteils durch die Initiative von aus der Sowjetunion umgesiedelten Kultur-Bürokraten umgesetzt.
Krumpa, Kulturhaus Ernst Thälmann 2004 (Bild: Jörg Blobelt, CC BY-SA 4.0)
In den 1950er Jahren entstanden die ersten Gebäude im neoklassizistischen Stil, in dem auch die monumentalen stalinistische Architektur gebaut wurde. Sie verfügten über großzügige Innenräume, wie beispielsweise die Paläste in Unterwellenborn, Schkopau und Suhl. Als sich der Schwerpunkt ab Mitte des Jahrzehnts auf den Wohnungsbau verlagerte, wurden auch die neuen Kulturpaläste schlichter. Die Architekt:innen und Stadtplaner:innen suchten nach alternativen architektonischen Formen für diese Gebäude und lösten sich vom bisherigen historistischen Stil. Ab den 1960er Jahren wurden die Kulturhäuser klar modern gestaltet, wie beispielsweise der Palast der Republik in Berlin, der Kulturpalast in Dresden, das Haus der Kultur in Neubrandenburg und das Klubhaus der Zementwerker in Karsdorf. Diese Gebäude wurden typischerweise von Gewerkschaften oder Fabriken in Auftrag gegeben, während die Paläste in den großen Städten direkt von der Partei oder der Regierung in Auftrag gegeben wurden. Vor allem die Großbauten in Berlin und Dresden dienten als Veranstaltungsorte für offizielle Delegationstreffen, Aufführungen, Konzerte und Übertragungen nationaler oder internationaler Veranstaltungen. Allerdings erreichte der Umfang des Baus von Kulturhäusern in Ostdeutschland nie das gleiche Maß an Quantität und Standardisierung wie in der Sowjetunion, wo in fast jedem Mikrobezirk ein Palast nach überwiegend standardisierten Entwürfen errichtet wurde.
Nach- und Weiternutzung der deutschen und russischen Kulturhäuser
In Russland hat die Erfahrung gezeigt, dass die Umnutzung großer Gebäude mit ausgedehnten Flächen für gewerbliche Zwecke eine große Herausforderung darstellt. In Jekaterinburg erhielt der Kulturpalast UZTM der Uralmasch-Fabrik jedoch den Status eines regionalen Zentrums und fungierte ab Anfang der 2000er Jahre weiterhin als Ort der Kindererholung und als Konzertsaal. Doch viele andere moderne Paläste überlebten die 1990er Jahre gerade so – indem sie Räume für Konzerte und Veranstaltungen vermieteten und im Wesentlichen ihre Funktion fortsetzten, den Anwohnern nach besten Kräften Freizeitaktivitäten zu bieten. Dennoch verloren im Zuge der chaotischen Privatisierung und der Krise der Marktreformen viele Kulturpaläste ihre Bedeutung: Sie wurden privatisiert, abgerissen oder in Kleinbetriebe umgewandelt. Ihre einzigartige städtebauliche Lage – das Zentrum von Wohngebieten mit reichlich öffentlichem Raum in der Umgebung – wird jedoch von den Stadtbewohner:innen immer noch geschätzt. So zu sehen beim Khimmash-Kulturpalast in Jekaterinburg. Die Bürger:innen, hauptsächlich Eltern von Kindern, die im einstigen Palast betreut wurden, protestierten 2018 erfolgreich gegen seinen Abriss. Funktionalität statt Ästhetik bleibt das Hauptargument für die Rettung von Kulturpalästen und ihrer Funktion für die Generation der nach 1991 geborenen Russen.
Jekaterinburg, Khimmash Kulturpalast im April 2023 (Bild: Vyacheslav Bukharov, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)
In der Ex-DDR gibt es bei weitem nicht so viele Kulturpaläste der Nachkriegszeit wie in Sowjetrussland, doch im „Nachleben“ stoßen sie auf ähnliche Schwierigkeiten. Hier wurden sie vor allem nach dem Prinzip „für eine große Fabrik eien Kulturpalast“ errichtet, statt in jedem(Mikro-) Viertel ein derartiges Gebäude zu haben. Nach 1990 gingen diese Bauten entweder in kommunales Eigentum über oder waren auf private Investoren angewiesen. In Kleinstädten funktionieren nur noch wenige Kulturpaläste wie vorgesehen, lange etwa das Klubhaus Wolfen in Bitterfeld und das Klubhaus in Hettstadt. Nur eine Handvoll Kulturpaläste der Nachkriegszeit in beiden Ländern wurden umgebaut und für neue Zwecke genutzt, während der Rest weiterhin oft mit begrenzten Mitteln betrieben wird und für den Rest der Stadtbewohner unsichtbar bleibt. Die Versuche, das Erbe der Kulturhäuser symbolisch neu zu denken, sind in Deutschland stärker sichtbar. Die denkmalgerechte Sanierung des 1969 errichteten Kulturpalasts in Dresden war 2008 ein gelungenes Beispiel, doch bei den meisten anderen als Denkmal anerkannten sozialistischen Kulturhäusern handelt es sich um Gebäude, die in den 1950er Jahren und davor errichtet wurden. Allerdings scheint das Feld eher positiv: Die aktuelle Forschung und Ausstellung zur Vergangenheit des Palastes der Republik in Berlin gibt neue Impulse, die gesamte Typologie dieser Gebäude neu zu überdenken. Der 2022 verstorbene Privatinvestor des Bitterfelder Kulturpalastes, Matthias Gossler, und sein Vermächtnis können ein Beispiel für eine gelungene Revitalisierung eines Gebietes unter Wahrung der Geschichte werden. So, wie es in Potsdam auch mit dem als Kunstmuseum wiedereröffneten sozialistischen Café Minsk (1971–1977) geschah.
Bitterfeld, Kulturpalast (Bild: Joeb7, CC BY 3.0)
Unterdessen beruht der Schutz der Architektur der Nachkriegsmoderne in Russland ausschließlich auf Bottom-up-Initiativen. Doch die derzeitige Verschärfung der täglichen Überwachung und der kreativen Freiheit sowie die neuesten Nachrichten über die Zerstörung des modernistischen Ratshauses in Kaliningrad, eines Gebäudes, für das DOCOMOMO gekämpft hat, senden entmutigende Signale. Interessanterweise hat die russische Regierung in diesem Jahr Interesse am Konzept der Kulturhäuser gezeigt und unter ihrem Namen eine große Ausstellung sowjetischer Kunst organisiert. Doch es gibt keinen Raum für ein Umdenken oder eine Diskussion über die Vergangenheit, sondern vielmehr klare Zeichen dafür, dass das Narrativ vom „sowjetischen Staat des universellen Wohlstands“ gefeiert wird, in dem Kultur für die Erziehung des wahren sowjetischen Menschen für jedermann zugänglich war. Dies ist das erste Mal, dass ein solches Allagserbe in die Darstellung der gemeinsamen sowjetischen Vergangenheit und des sowjetischen Erbes einbezogen wird, das stark mit der heutigen Innen- und Außenpolitik der Russischen Föderation übereinstimmt.
Damit steht die Zukunft der sozialistischen Kulturpaläste auf dem Spiel, ihr Schicksal ist ungewiss. Während des russischen Krieges in der Ukraine, wo Nachkriegskulturhäuser, das Erbe der ukrainischen Moderne, zerstört wurden, wie es beim Lozovaya-Kulturpalast in der Region Charkiw geschah, wird deutlich, dass ein gemeinsamer Ansatz für den Umgang mit den gebauten Hinterlassenschaften des Ära des Sozialismus ist nicht möglich. Kürzlich wurden mit der neuen Kraft die Versuche einer Entsowjetisierung des städtischen Raums ans Licht gebracht. Aber hinter der großen Ideologie des Sozialismus bewahrt jedes lokale Kulturhaus seine eigene, einzigartige lokale Geschichte, die mit den Erinnerungen der Einheimischen verwoben ist. Kann diese Erinnerung an die Gemeinschaft dieses Erbe von den negativen Assoziationen einer bedrückenden Vergangenheit befreien und den Weg für eine größere Wertschätzung und Anerkennung historischer Kulturhäuser ebnen?
Übersetzung nach dem englischen Originalbeitrag durch Daniel Bartetzko
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Bonusbeitrag
Inhalt
LEITARTIKEL: Kultur als Vermächtnis
Till Schauen über seine Tante, eine ganz bestimmte Stadthalle – und darüber, wieso beide stellvertretend für eine ganze Epoche stehen.
FACHBEITRAG: Avantgarde, volkstümlich
Zwischen Totaltheater und Totalsanierung: Daniel Bartetzko über die denkmalgeschützte Stadthalle Hattersheim.
FACHBEITRAG: Die Akropolis von Rüdersdorf
Danuta Schmidt über eine neo-neoklassizistische Zeitkapsel – das Kulturhaus Rüdersdorf.
FACHBEITRAG: Eine Vergangenheit, eine Zukunft?
Polina Gundarina über die Geschichte russischer Kulturhäuser und ihrer DDR-Pendants nach 1990/91.
PORTRÄT: Feste Feiern in Freiburgs Festhalle
Maximilian Kraemer über die gesperrte Stadthalle Freiburg.
FOTOSTRECKE: Die Topmodels unter den Kulturhäusern
Wir zeigen unsere liebsten Stadthallen – in einer natürlich völlig objektiven Auswahl!
INTERVIEW: „Denkmalwürdig, aber nicht denkmalgeschützt“
Inga Soll, Heiko Sasse und Matthias Kraemer im Gespräch über die Sanierung der 1964 eröffneten Stadthalle Göttingen.