von Danuta Schmidt (23/3)
“Das Brandenburger Tor: 700 Kubikmeter Kalkstein, das Berliner Schloss, die Terrassen von Sanssouci und das Olympiastadion. Rüdersdorf. Baustoffmuseumspark. Rüdersdorfer Öfen. Die Kathedrale des Kalks. Erlebniszementwerk. Die Zeit hat den Tempel des Zements eingeholt. Kampf um die Existenz“, schreibt Stephan Stroux 1995 im Buch „Die Salons der Sozialisten“. „Die Verantwortliche der Stadt ist in das Kulturhaus eingezogen mit ihrem Büro. Vor Ort Koalitionen bilden. Lokalpolitiker, die sich engagieren. Verwirrung nach der Vereinigung. Das Kulturhaus der Zementwerker – brauchen Arbeiter im Kapitalismus Kultur?“ Das Kulturhaus von Rüdersdorf hat die vergangenen 33 Jahre seit dem flächendeckenden Abriss von DDR-Architektur unbeschadet überstanden. Andere Häuser sind abgerissen, verfallen nach wie vor wie das Vorzeige-Projekt Unterwellenborn, sind umgebaut wie in Suhl oder einfach nur funktionslos. Aufgrund seiner Lage im Schatten der Hauptstadt, am östlichen Stadtrand von Berlin, konnte das Kulturhaus Rüdersdorf samt Einrichtung nahezu vollständig konserviert werden. Im nächsten Jahr steht dem fast 70-jährigen Koloss eine denkmalgerechte Sanierung bevor.
Rüdersdorf, Kuturhaus zur Zeit der Fertigstellung (Bild: Archiv Museums- und Kultur GmbH Rüdersdorf)
Der Burgberg einer mediterranen Stadt?
„Manchmal möchte man sich die Augen reiben: Ein südländisches Flair, die Kontur einer Konifere, das milde Licht der Abendsonne wecken Urlaubserinnerungen. Erst auf den zweiten Blick wird der Trugschluss offenkundig. Das ist nicht der Burgberg einer mediterranen Stadt, sondern das Kulturhaus von Chemnitz oder Unterwellenborn (oder Rüdersdorf), die Häuser mit der sozialistischen Brigadekultur, den Arbeitertheatern und Eisenbahnchören“, schreibt die Kunsthistorikerin Simone Hain, geboren im Jahr 1956, der Fertigstellung des Rüdersdorfer Kulturhauses. Wenige Jahre nach der Wende machte sie sich mit dem Fotografen Michael Schroedter, bis 1991 Fotograf bei der Akademie der Wissenschaften, auf den Weg, die ehemaligen Kulturpaläste der DDR aufzusuchen. Das Buch „Die Salons der Sozialisten“ ist nur noch (recht teuer) antiquarisch zu erhalten.
Mehr als 2000 Kultur- und Volkshäuser baute die DDR in unterschiedlichen Architektur-Stilen. Die Idee kam aus England, später baute die Sowjetunion ab Ende der 1940er Jahre gewaltige Kulturpaläste für das Volk. Besonders aufwändig wurden die Häuser im Stil des sozialistischen Klassizismus mit Anlehnung an die griechische Antike, meist als Teil des Aufbauprogrammes der 1950er Jahre. Doch Zurück zu Rüdersdorf und seinem Tempel. Der Akropolis. Wer vom Berliner Ring Richtung Prenzlau fährt, erblickt den Prachtbau „Martin Andersen Nexö“, benannt nach dem dänischen Schriftsteller, bereits von der Autobahn oben auf dem Hasenberg. Manche nennen ihn auch „Kreml“. Doch beide Bilder stimmen architekturstilistisch nicht, wie der Architekt Prof. Wolf Eisentraut erklärt: „Die Akropolis ist in Athen ja der Berg und der Parthenon ist der Tempel auf diesem Berg.“ Warum an dieser Stelle? „Man musste überhaupt einen Bauplatz finden, der solche Dimensionen ermöglicht. Und es ist die höchste Stelle.“
Rüdersdorf, Kulturhaus 2023 (Bild: Stephen Ruebsam)
Das Gesamtkunstwerk aus einem Guss
Mit einer Nutzfläche von 2.500 Quadratmetern zählt das Rüdersdorfer Kulturhaus zu den größten Kulturhäusern der DDR. Pilaster, Säulen, Kapitelle und Friese: „ein gebautes Denkmal, dessen historische und baukünstlerische Bedeutung für die DDR-Architektur der 1950er Jahre ebenso unumstritten ist wie seine städtebaulich dominante Wirkung“ schrieb das Neue Deutschland 2006. Und Eisentraut sagt dazu: “Dieses Haus ist ein Zeugnis der Kulturpolitik der DDR. Obwohl Wohnungsbau viel wichtiger war, hat man doch viel Zeit und Geld investiert, um solche Häuser zu bauen. Heute wundern wir uns über die Standort der Häuser, auch auf dem Lande. Man wollte den Werktätigen, aber auch den Bauern den Zugang zu Hochkultur ermöglichen.“ 2006 feierte es 50. Geburtstag. Im Spannungsfeld der Marktwirtschaft hängt das Haus allerdings seit 16 Jahren am finanziellen Tropf und nur Dank des Fördervereins und vieler Sponsor:innen konnte im großen Saal pünktlich zum Jubiläum neues Parkett gelegt werden.
Oft waren die Kulturhäuser auch Bühnen für die eigene künstlerische Arbeit, ob Theaterlaienspiel, Keramikzirkel oder der Schachverein. Hier in Rüdersdorf hält sich diese Vereinskultur bis heute. Die Jugendtheaterspiel-Gruppe „Pelle“, benannt nach dem Kinderbuch von Nexö „Pele, der Eroberer“ probt hier seit vielen Jahren und führt dann ihre Stücke auch hier auf. An diesem Gebäude haben die Arbeiter selbst mit Hand angelegt. Der Architekt Emil Leipold baute das Haus, das Walter Ulbricht den Arbeitern versprochen hatte. Wolf Eisentraut konstatiert: „Leibold hat mit diesem Kulturhaus gezeigt, wie man sich von der stalinistisch verordneten Tradition ein wenig im Detail lösen kann, nicht im Ganzen. Emil Leipold war schon ein erfahrener Architekt, der sich hier verwirklichen konnte. Bevor er den Kulturpalast baute, arbeitete er im Team von Hermann Henselmann am Hochhaus an der Weberwiese. Und er entwarf am Ende dann mit dem Bischöflichen Ordinariat in Berlin hinter der Hedwigskirche absolute Moderne in einer sehr differenzierten Form. Man kann an diesen Bauten auch die Wandlungen und Entwicklungen eines Architekten ablesen.“
Rüdersdorf, Kulturhaus 2023 (Bild: Danuta Schmidt)
Eindrücke des Nutzens und Benutzens
Hier ist, wie so oft in der DDR, ein Gesamtkunstwerk erschaffen worden aus Außen und Innen, bis zur Abstimmung im Detail. Die Innenräume haben ihre originale Ausstattung weitgehend bewahrt. Wer das Gebäude über eine der drei hohen Glastüren betritt, gelangt in eine Empfangshalle, rechts heute die wiederbelebte Theaterkasse. An der mittleren Tür ist im Boden eine Blüte aus Metall in den Stein eingelassen. Der berühmteste Metallbildhauer der DDR, Fritz Kühn, entwarf dieses Detail der „Kunst am Bau“, auch hier und erst recht groß geschrieben: in einem Kulturhaus. Durch das tausendfache Betreten dieser Blüte hat sich das Metall vom Steinboden abgesetzt – viele dieser Eindrücke des Nutzens und Benutzens gibt es im ganzen Haus. Über Schwingtüren empfängt den Besucher nun ein in stimmungsvolles (Tages-)Licht getauchtes Vestibül. Auch in antiken Tempeln gab es diesen Vorraum. In der eingebauten Garderobe, die sich durch Vorhänge verschließen lässt, erinnern handgeschriebene Nummerierungen an den Haken an die vergangene Zeit, an das geplante und das ausgelassene Feiern. Betriebsfeiern, Karneval, Jugendweihen, Tanzpartys. Bis heute. „Der Karneval, das sich Verkleiden, Fasching, das zwischen den Zeilen Erzählen und Verstehen bei der Büttenrede spielte in der DDR ja eine sehr große Rolle“, sagt Stephen Ruebsam, seit einem Jahr der neue Chef des Museumsparkes und Kulturhauses. „Bis heute haben die Narren und ihr Verein die meisten Räume hier bei uns im Haus belegt.“ Eine Bar war von Anfang an dabei, in mintfarbenem Anstrich der 1950er Jahre.
Rüdersdorf, Bodenblume von Fritz Kühn 2023 (Bild: Martin Maleschka)
Der 500 Zuschauer:innen fassende Hauptsaal wird feierlich von einem Kronleuchter illuminiert, hier befindet sich eine Theaterbühne mit absenkbarer Orchesterbühne. Dazu kommt die Seiltechnik der Vorhangkonstruktionen, die man von Hand in Bewegung bringen kann. Hinter der Bühne liegen Künstlergarderoben, die sich seit den 1950ern in ihrer Puristik nicht verändert haben: Stühle, Tische, Spiegel und eine Lautsprecherbox an der Wand. Eine weitere Besonderheit sind die noch vorhandenen Einbauschränke, sämtliche Möbel wurden für das Haus gefertigt. In den weiteren zwei Etagen befinden sich die Gemeindebibliothek, Versammlungs- und Zirkelräume sowie der kleine Saal mit 100 Plätzen. Kurt Groll leitete das Kulturhaus von 1956 bis 1959 für ein monatliches Bruttogehalt von 600 Mark. 1963 erinnerte er sich an die Eröffnung: „Es war ein feierlicher, historischer Augenblick, als das Werkorchester „Weihe des Hauses” von Beethoven spielte. Der bekannte Schriftsteller Willi Bredel hielt die Festrede und sein Wunsch, das Kulturhaus möge ein echtes Volkshaus werden, ging in Erfüllung.” Bis zu 80.000 Besucher:innen kamen jährlich bis 1989, Anfang der 1990er waren es nur noch 10.000. Nach der Wende übernahm die Readymix Zement GmbH alle Immobilien der VEB Zementwerke Rüdersdorf und damit auch das Kulturhaus. Gewinn war aber mit dem Kulturtempel nicht zu machen, so dass er am 20. September 1994 als „Schenkung“ ins Eigentum der Gemeinde überging.
Rüderesdorf, großer Saal 2023 (Bild: Sahra Damus)
Lernen, mit Kultur Geld zu verdienen
Das Geschenk musste (und muss) sich die Gemeinde in kapitalistischen Zeiten auch für die Kultur erst erarbeiten. Und wie man mit Kultur Geld verdient, hat niemand gelernt in Zeiten, in denen Mieten unter 100 Mark kosteten, ein Studienplatz bezahlt war und regelmäßig verordnete kostenfreie Konzerte in Kulturhäusern für Schüler:innen stattfanden. Eine tragende Säule des Rüderdorfer Prachtbaus sind noch immer die Vereine, vom Posaunenquintett bis zum Schachverein, weil sie sich liebevoll um ihr Haus kümmern. Sie haben das Herz des Hauses über viele Jahre am Pulsieren gehalten. Wie es auch so vielen Kleinstädten und ihren aristokratischen Schlössererbschaften geht, wo Betriebskosten Unsummen verschlingen. Es gilt, schöne Geschenke unserer Vorfahren mit neuem Leben zu füllen und so ist die Aufgabe in Rüdersdorf auch eine sehr hohe: das Haus mit Kultur zu füllen und von dieser Kultur auch zu leben. Im Jahr 2023 ist der Rüdersdorfer Salon der Sozialisten, das einzig noch so vielseitig bespielte Kulturhaus dieser Bauart im Osten Deutschlands. Der Brandenburgische Landeskonservator Thomas Drachenberg begutachtete das Haus 2021 und stellte es unter Denkmalschutz.
Das Haus ist ein Gesamtkunstwerk, alles ist aufeinander abgestimmt. Farben, Formen, Proportionen, Möbelstücke, Wege- und Blickbeziehungen, ein Gesamtkunstwerk aus den 1950er Jahren. Fast alles ist gut gepflegt und erhalten: die Treppengeländer von Metallbildhauer Fritz Kühn, die Künstlergarderoben, die schon allerhand Buntes erlebt haben oder mundgeblasene Lampen, die gerade restauriert wurden. Der Leiter Stephen Ruebsam ist als Impulsgeber und Macher gefragt. Er entwickelt neue, tragfähige Stützen für das Haus und ist auch offen für andere Kulturarbeiterinnen: Seit Anfang 2023 wird das Vestibül für ein neues Veranstaltungsformat aus Berlin, die „SonntagsLese“ genutzt. Regelmäßig ist das Format Bühne für Themen, die die Menschen berühren. Dazu lädt sich die Autorin dieses Textes spannende Gäste ein, Buchautor:innen, Musiker:innen, Künstler:innen, Journalist:innen. Und der Kulturhaus- und Museumspark-Chef gewährt immer nach der Veranstaltung einen Blick hinter die Kulissen des Hauses. Zum Tag des offenen Denkmals am 2. September berichtet er um 11 Uhr über die Herausforderungen für eine Gemeinde mit etwa 15.000 Einwohner:innen, diesen Kulturtempel der Ostmoderne mit einem Saal für 500 Personen und zig Vereinsräumen immer wieder zu füllen. Außerdem ist das Haus am Denkmaltag den ganzen Tag geöffnet. Das Kulturhaus in Rüdersdorf, die Krone auf dem Hasenberg neben dem berühmten Kalksteinbruch aus dem 19. Jahrhundert, der heute vom mexikanischen Unternehmen CEMEX betrieben wird, soll im nächsten Jahr grundlegend saniert werden. Das Haus scheint das perfekte Timing zu haben: für seine Vergangenheit. Das Hier und Heute. Und eine vielversprechende Zukunft.
Rüdersdorf, Kulturhaus, Bar 2023 (Bild: Danuta Schmidt)
Rüdersdorf, Hofansicht 2023 (Bild: Danuta Schmidt)
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Bonusbeitrag
Inhalt
LEITARTIKEL: Kultur als Vermächtnis
Till Schauen über seine Tante, eine ganz bestimmte Stadthalle – und darüber, wieso beide stellvertretend für eine ganze Epoche stehen.
FACHBEITRAG: Avantgarde, volkstümlich
Zwischen Totaltheater und Totalsanierung: Daniel Bartetzko über die denkmalgeschützte Stadthalle Hattersheim.
FACHBEITRAG: Die Akropolis von Rüdersdorf
Danuta Schmidt über eine neo-neoklassizistische Zeitkapsel – das Kulturhaus Rüdersdorf.
FACHBEITRAG: Eine Vergangenheit, eine Zukunft?
Polina Gundarina über die Geschichte russischer Kulturhäuser und ihrer DDR-Pendants nach 1990/91.
PORTRÄT: Feste Feiern in Freiburgs Festhalle
Maximilian Kraemer über die gesperrte Stadthalle Freiburg.
FOTOSTRECKE: Die Topmodels unter den Kulturhäusern
Wir zeigen unsere liebsten Stadthallen – in einer natürlich völlig objektiven Auswahl!
INTERVIEW: “Denkmalwürdig, aber nicht denkmalgeschützt”
Inga Soll, Heiko Sasse und Matthias Kraemer im Gespräch über die Sanierung der 1964 eröffneten Stadthalle Göttingen.