von Elke Janßen-Schnabel (23/1)

Der eigentliche Name lautet “Stadthalle und Stadtbibliothek – Bürgerzentrum und Begegnungsstätte Mettmann” beziehungsweise “Neandertalhalle”. Bekannt ist dieses Gebäude dank seiner grünen Fassade auch als “Laubfroschoper”. Die Grundsteinlegung war 1979, die Eröffnung 1982. Architekt war Wolfgang Rathke (1922-2012) aus Wuppertal, die Bauleitung oblag Jürgen Kemper. Die Laubfroschoper liegt am Rand des historischen Ortskerns von Mettmann, eingepasst in den etwa sechs Meter steil ansteigenden Hang. Der Entwurf nimmt den Höhensprung auf, gleicht ihn gestalterisch aus und lässt einen architektonisch ausdrucksstarken Baukörper entstehen, der in Bauaufgabe und Formensprache zeittypisch und in der Substanz weitgehend original erhalten ist. Der Bau ist als Stadthalle und Stadtbibliothek, Bürgerzentrum und Begegnungsstätte eine Mehrzweckhalle, insgesamt mit einer grünen Kunststoffhaut verkleidet und am westlichen Ende durch zwei Schornsteine akzentuiert. Das Ensemble ist in Massivbauweise aus Ortbeton errichtet, über dem großen Saal mit Holzleimbindern überspannt, während im Bühnenturm Stahlfachwerkbinder die Dachhaut tragen. Die Knotenpunkte der Binder geben als auskragende Köpfe in abgeschrägter Form dem Außenbau die Form als geometrischen Kubus vor. Im Inneren ist die Konstruktion zusammen mit der technischen Ausstattung offen sichtbar und Teil der technik- und zweckbestimmten Raumkonzeption. Die wandfeste und die mobile Ausstattung sind weitgehend erhalten, die Ausstattungsdetails auf die Gesamtgestalt abgestimmt. Der Raum um das Gebäude besteht aus einem Eingangsplatz, aus gemauerten Sitznischen und Pflanzbecken und aus einer Treppe als Teil der fußläufigen Verbindung zwischen den beiden Erschließungsstraßen und leitet so als kleinteilige Manschette in die umgebende Stadt.

Stadthalle Mettmann, 2022 (Bild: Elke Janßen-Schnabel)

Mettmann, Stadthalle, 2018 (Bild: Elke Janßen-Schnabel)

Stimmige, qualitätvolle Architektur

Die Mettmanner Mehrzweckhalle ist eine typische Bauaufgabe der späten 1970er Jahre, umgesetzt in eine aus den örtlichen Gegebenheiten entwickelte besondere, in sich stimmige und sowohl im Entwurf als auch in der baulichen Gestalt qualitätvolle Architektur. Als Dokument für die geschichtliche Identität von Mettmann steht das Objekt in einem zeitgeschichtlichen Zusammenhang. Der Bau fängt die gesellschaftliche Stimmung des Diskutierens, der Mitsprache, des Einübens von demokratischen Regeln geradezu plakativ ein und bildet diese in seiner Konzeption ab, indem er in vielfältiger Form Räume zur Verfügung stellt, zumal Konzept und Baukörper in einem schöpferischen Prozess entstanden: inhaltlich im Zwiegespräch mit Verwaltung und Stadtrat und baulich im Wechselbezug zum umgebenden städtischen Raum.

In dieser Zeit wurde sowohl das Selbstverständnis der Städte als auch die Rolle der Kultur als sozialer Auftrag neu definiert. Kulturpolitik war jetzt auf ein Publikum ohne Klassengrenzen ausgerichtet. Breite gesellschaftliche Kreise sollten Zugang zum Kulturangebot haben, an Kultur und an Konsum partizipieren. Kultur war nicht mehr exklusiv für wenige Privilegierte, vielmehr ein gemeinsames Erlebnis. Die breit gefächerten und neu bestimmtem kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft, die zunehmend auch über ein Mehr an Freizeit verfügte, erforderten neue Räumlichkeiten und ganz neue Bauwerke. Stadthallen und Stadtbibliotheken gaben Unterhaltung und Bildung einen Ort und sammelten die unterschiedlichen Funktionen ein. Diesen zeitgebundenen Zusammenhang drückt die Mettmanner Stadthalle sehr gut aus. Sie ist als öffentlicher Bau Ergebnis der politischen Entscheidung im Bereich von Planung und Kultur und bautypologisch ein Treffpunkt, umgesetzt in Architektur und im Entwurf, in Konstruktion, Material und Technik auf der Höhe der Zeit. Sie nimmt die genannten Funktionen auf, führt die Stadtgemeinschaft zusammen, ist gesellschaftlicher Mittelpunkt, Ort von Veranstaltungen und stiftet unter dem wohlwollenden Spitznamen “Laubfroschoper” auch städtische Identität.

Stadthalle Mettmann, 2022 (Bild: Elke Janßen-Schnabel)

Mettmann, Stadthalle, 2018 (Bild: Elke Janßen-Schnabel)

Spezifische Gegensätze

Die städtebaulichen Gegensätze spiegeln die spezifische Mettmanner Ortsgeschichte vom Kirchort zur Kreisstadt mit explosionsartiger gewerblich-industrieller Entwicklung, entsprechendem Bevölkerungszuwachs und enormer flächenhafter Ausdehnung, einhergehend mit der Übernahme von öffentlichen Aufgaben und der Konzentration entsprechender Bauten in der Ortsmitte. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert stehen im Umkreis des Kirchhügels Großbauten mit versorgenden Funktionen. Die Stadthalle ersetzt den alten und zu dieser Zeit in seiner Funktion überholten Milchhof. Der Milchhof war Ausdruck der Versorgung der städtischen Bevölkerung in dem bislang stark agrarisch geprägten Bergischen Land. Die neue Bauaufgabe ist im Zusammenführen von Funktionen zeitgemäßer Ausdruck einer durch die kommunale Neugliederung bestimmten Gesellschaft im städtischen Aufschwung.

Die Stadthalle setzt 1982 als prägnanter Bau stadtbaugeschichtlich einen deutlichen inhaltlichen Akzent, ist im städtebaulichen Kontrast ganz typisch für Mettmann und zählt als Solitär zu den Großbauten am Rand des kleinteiligen historischen Kerns. Vor allem aber weist der Baukörper als individuelle Neuschöpfung eine architektonisch-künstlerische Qualität auf, zeigt Erfindungsreichtum und lässt eine eigenständige Gestaltung erkennen. Wolfgang Rathke schuf einen ungewöhnlichen Bau, der eine Facette der Architekturströmung um 1980 sehr anschaulich ausdrückt: Denn die Laubfroschoper setzt architektonisch und städtebaulich ein deutliches Zeichen. Funktion und Konstruktion bestimmen die Form, die in der äußeren zier- und schmucklosen Gestalt einen inhaltlich rein technischen Bau assoziiert, am überzeugendsten an der Westseite (Anlieferung, Bühne). Dennoch ordnet sich das Objekt in den Stadtkörper ein: durch die Einpassung in das Gelände und durch das Grün mit Bezug auf das Bergische Grün, so Rathke, und auf das Grün im Logo der Kreisstadt Mettmann – angebracht ebenfalls an der Westseite.

Mettmann, Stadthalle, Saal, 2021 (Bild: Klaus Englert)

Kultur für alle

Die Stadthalle ist aber auch ein Objekt der 1970er Jahre, das den Zwischenton zwischen Brutalismus und Postmoderne zwischen 1975 und 1982 spezifiziert. Stadt- und Kongresshallen erlebten bis zum Ende der 1970er Jahre, ergänzt durch die Variante Mehrzweckhalle, eine Hochkonjunktur: Technik und Gestaltung griffen ineinander, beflügelten sich gegenseitig; Akustik und Lichtführung entwickelten sich zu eigenen Fachbereichen. Untermauert von theoretischen Auseinandersetzungen, die Ausdruck fanden in Funktionsschemata für polyvalente Nutzungen, wurden auf allen Gebieten Neuerungen gesucht: im Tragwerk, in den Materialien, Raumfolgen, Raumdimensionen, Raumempfinden, in Leitsystemen, in der funktional bestimmten Farbwahl, in der technischen Ausstattung, in der Möblierung, kombiniert mit dem Wunsch nach Flexibilität, hoher Anpassungsfähigkeit und nach dem Einsatz von Technik. In der Folge entstanden unkonventionelle Bauwerke, die voller Schwung und Begeisterung das Gefühl vermittelten, in der Zukunft angekommen zu sein. Die Zeitphase der 1970er Jahre bis etwa 1982 setzt diese Anstöße um, die Architektur ist fortschrittlich, mutig, technikorientiert. Konstruktion und Technik werden salonfähig und bestimmen den künstlerischen Ausdruck. Die zukunftsorientierte technologische Haltung zeigt sich in der sichtbar geführten Konstruktion der Holzleimbinder zum Überspannen der großen Raumweite und in der mutigen Gesamtverkleidung in leuchtendem Grün.

Mettmann, Stadthalle, Foyer, 2021 (Bild: Klaus Englert)

Schließlich

Zusammenfassend nimmt der Entwurf die spezifischen Bedingungen vor Ort auf, entwickelt sich aus der Geländeneigung und vermittelt im Stadtraum. Es entsteht eine in sich gestufte architektonische Großform, die sich als Teil des städtischen Gesamtgefüges in die Gegebenheiten einpasst und gleichzeitig einen deutlichen baulichen und städtebaulichen Akzent setzt. In der zeittypischen, ortsspezifischen und ausdrucksstarken Architektur steht der Bau souverän individualistisch für Eigenwilligkeit und im Entwurf couragiert für die Experimentierfreude seiner Zeit. Auch wenn die Laubfroschoper ein einzigartiges, bedeutendes und erhaltenswertes Werk der Architekturgeschichte ist, so wird sie trotz langjähriger Bemühungen und Diskussionen vermutlich doch wohl fallen: Derzeit läuft das denkmalrechtliche Erlaubnisverfahren zum Abbruch.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist eine gekürzte, aktualisierte Fassung des Beitrags “Die Laubfroschoper in Mettmann” (Denkmalpflege im Rheinland, Heft 1/2018, S. 22-30), in welchem das Gebäude anlässlich seiner beabsichtigten Unterschutzstellung präsentiert wurde.

Anmerkung der Redaktion: Der Journalist und Dozent Dr. Klaus Englert hat eine Petition für den Erhalt der Stadthalle Mettmann ins Leben gerufen, zu finden auf Openpetition.

Mettmann, Stadthalle, 2022 (Bild: Elke Janßen-Schnabel)

Mettmann, Stadthalle, 2018 (Bild: Elke Janßen-Schnabel)

Mettmann, Stadthalle, 2022 (Bild: Elke Janßen-Schnabel)

Mettmann, Stadthalle, 2018 (Bild: Elke Janßen-Schnabel)

Literatur/Quellen (Auswahl)

Gisbertz, Olaf (Hg.), Bauen für die Massenkultur. Stadt- und Kongresshallen der 1960er und 1970er Jahre, Berlin 2015 (hier Texte von Dominik Schrage, S. 64–72; Alexander von Kienlien, S. 73–91; Kerstin Wittmann-Englert, S. 250–261).

Rethfeld, Stefan, achtung: junges erbe. Erkundungen zur Architektur der 1960er und 1970er Jahre, in: Klötze und Plätze. Wege zu einem neuen Bewusstsein für Großbauten der 1960er und 1970er Jahre, Bonn 2012, S. 28–32.

Rodenstein, Marianne, Eine Skizze der gesellschaftlichen Situation, in: Klötze und Plätze. Wege zu einem neuen Bewusstsein für Großbauten der 1960er und 1970er Jahre, Bonn 2012, S. 35–37.

Deutsche Bauzeitung 1959, Heft 11, S. 1309: Fassade aus Leichtmetall am Neubau der Fa. Veerbeck in Wuppertal-Elberfeld, Wolfgang Rathke, Wuppertal (zu Wolfgang Rathke).

Bauwelt 1984, Heft 5, S. 1100: Wolfgang Rathke: Rezension zu Pneumatischen Konstruktionen, Thomas Herzog, Bauten aus Membranen und Luft, Stuttgart 1983.

Schaufenster-Sonderausgabe Stadthalle Medamana vom 7. Mai 1982 (Stadtarchiv Mettmann).

Hölscher, Lucian, Die Entdeckung der Zukunft. Schichten der Stadt, Vortrag am 17. Oktober 2017 im Rahmen der Jahrestagung der Städtebaulichen Denkmalpflege, Universität Dortmund.

Mettmann, Stadthalle, 2022 (Bild: Elke Janßen-Schnabel)

Oben/Titelmotiv: Mettmann, Stadthalle, 2018 (Bild: Elke Janßen-Schnabel)


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