von Daniel Bartetzko (22/3)
Das wohl eindringlichste Werk von Otto Herbert Hajek befindet sich in Berlin. Es ist der Kreuzweg der Kirche Maria Regina Martyrum. Sie wurde von 1961 bis 1963 nahe der Hinrichtungsstätte Plötzensee nach Entwurf von Hans Schädel errichtet als katholische Gedenkkirche an die Opfer des Nationalsozialismus. Im ummauerten Kirchhof stehen 15 abstrakte Bronzen vor einer Betonwand, allesamt ähnlich gestaltet wie hinterm Nebel einer einheitlichen starken Schraffur, aus der sich nur teilweise angedeutete Figuren und Gegenstände abheben, sich auch immer wieder das Kreuzsymbol erkennen lässt. Auf farbliche Nachbearbeitung verzichtete Hajek an diesem Ort der Beklemmung und der Eindeutigkeit. Doch die Farbe war eigentlich längst wichtiger Bestandteil der Arbeit des vielbeschäftigten Künstlers, der bis zur Jahrtausendwende deutschlandweit öffentlichen Raum zu expressiven Erlebniswelten gestaltete.
Berlin, Maria Regina Martyrum, Kreuzweg (Bild: Alexrk2, CC BY-SA 3.0)
Zunehmend abstrakt
Geboren wurde Otto Herbert Hajek 1927 im böhmischen Kaltenbach, nach seinem Schulabschluss in Erlangen studierte er von 1946 bis 1954 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart Bildhauerei. Waren die frühen Werke noch figürlich und am Expressionismus orientiert, arbeitete er ab Mitte der 1950er Jahre zunehmend abstrakt, wandte sich dem Informel zu. Seine Plastik “Durchbrochene Fläche im Raum” vor der Stuttgarter Liederhalle war 1955 die erste ihrer Art in Stuttgart und zugleich eine der ersten nicht gegenständlichen Außenplastiken in Deutschland. In den Folgejahren schuf er zahlreiche Ausstattungsgegenstände in Kirchen, darunter St. Aurelius in Hirsau und St. Bartholomäus in Heidelberg-Wieblingen. Altar, Kanzel, Taufbecken und Reliefwand der brutalistischen Pfingstbergkirche in Mannheim (1962/63, Carlfried Mutschler) stammen ebenfalls von Hajek, der nie selbst Gebäude entwarf, sondern stets das Werk anderer entweder mit baubezogener Kunst oder vollständig durchgestalteten Farbkonzepten veredelte.
Kassel, documenta III, “Frankfurter Frühling”, 1964 (Bild: SAAI des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT))
Von der documenta in den Stadtraum
1959 und 1964 war Hajek auf der documenta in Kassel vertreten. Seine 1964 dort ausgestellte begehbare Skulptur “Frankfurter Frühling”, eine Kombination aus bemalten Pflastersteinen und im Ton abgestimmten Betonskulpturen war der Aufbruch in die “Farbwege”, welche in den folgenden Jahrzehnten viele Städte bunter machten. Zunehmend wurde seine Kunst selbst zum öffentlichen Raum. Zugleich reduzierte er die Formensprache – statt vielgliedrigen Detailreichtums zogen geometrische Anordnungen ein. Die expressiv gestalteten Muster und Verflechtungen waren meist in Primärfarben gestaltet. Hajek griff in der Regel auf RAL-Farbtöne zurück, sodass Ausbesserungen bis heute mithilfe einer Farbkarte problemlos zu bewerkstelligen sind. Der “Frankfurter Frühling” wurde nach der documenta III vor der Heinrich-Kleyer-Schule in Frankfurt am Main aufgestellt. Seit einer Sanierung des Gebäudes um 2010 ist er verschwunden, mutmaßlich im Schuttcontainer entsorgt …
Das Bochumer “Maßzeichen” (1972) wurde hingegen in aller Öffentlichkeit abgerissen, nachdem zuvor schon die Schule, für die es errichtet wurde, dem Erdboden gleichgemacht war. Ähnlich erging es vielen Hajek-Wandgestaltungen, so den 140 Meter langen “Blühenden Stationen” (1971-83), die das Mannheimer Postgelände zierten und beim Abriss der Gebäude 2016 zerstört wurden. Die “Räumliche Wand” (1972) am ehemaligen Heidelberger Fernmeldeamt fiel 2019 dem Umbau des Gebäudes zum Hotel zum Opfer. In diesen Fällen war die Symbiose von Kunst und (öffentlichem) Bau so tief und kaum trennbar, dass sie sich Jahrzehnte später als Erhaltungsproblem erwies.
Bochum, Abriss “Maßzeichen” , April 2011 (Bild: Klaus Kuliga)
Kunstvoll und starkfarbig
Hajek, von 1972 bis 1979 Vorsitzender des Deutschen Künstlerbunds, lehrte ab 1980 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Er war ein durchaus blumiger Theoretiker: “In unserer Umgebung ist der Raum. Wir befinden uns in ihm, er wird durch bildnerisches Arbeiten erlebbar gemacht, als endlicher Raum, der den Menschen umgibt, greifbar für die Begegnung. […] Die Sinne müssen geschärft werden für die Wahrnehmung in allen Bereichen. Begreifen im wirklichen Sinne des Wortes als Denkraum und als Aufenthaltsraum.” Dementsprechend tragen auch einige seiner Skulpturen, die neben der baubezogenen Kunst weiter entstanden, schwungvolle Namen wie “Zeichen flügelt im Raum” – eine Version von 1992 befindet sich im Skulpturenpark Stuttgart, eine große, bunte Variante seit 1995 in Saarbrücken.
Die kunstvolle und zumeist starkfarbige Ausgestaltung von öffentlichen Gebäuden und Räumen entspricht Hajeks Theorie des erlebbaren und sinnesschärfenden Raums in Vollendung: Die Universität Saarbrücken ist ein Areal, das den Raum erlebbar macht: mit Skulpturen, Reliefs und Farbgestaltungen. Vor allem in der Mensa (1965) ist dies zur grandiosen Inszenierung gesteigert. Ein wahres Farbfeuerwerk ist die Stadthalle Lahnstein (1971–1973, Jürgen Jüchser und Peter Ressel), die Hajek konsequent bunt durchgestaltete. Der Betonbau weist im oberen Bereich eine farbige Ornamentfassade auf, deren Muster der Teppichboden im Inneren fortführt – kombiniert mit lila verkleideten Treppen, einer ornamentalen Deckengestaltung und einem ebenfalls von ihm entworfenen Obelisk im Foyer, dem “Lahnstein”. Hajek sagte seinerzeit zur expressiven Buntheit, er wolle auf die Struktur der gegenüberliegenden Stadtbefestigung mit Farbe antworten.
Lahnstein, Foyer der Stadthalle, Tag des offenen Denkmals 2019 (Bild: Marion Halft, CC BY-SA 4.0)
Zwischen Abriss, Vernachlässigung und Denkmalschutz
Ein weiteres komplett durch Hajek ausgestaltetes Gebäude ist das Kurbad Königstein (1977/89, Rudolf und Ingeborg Geier), das er in blau/orange tauchte und das 2013 aufgrund Sanierungsstau vom Abriss bedroht war, ehe es im gleichen Jahr unter Denkmalschutz gestellt wurde. Bereits sechs Jahre früher, 2007, erhielt die Stadthalle Lahnstein samt der weitgehend original erhaltenen Einrichtung den Denkmalstatus. Der durchaus schrille Teppichboden wurde 2010 von der einstigen Herstellerfirma nach Originalmuster neu gewebt und bei der anschließenden Sanierung des Baus neu verlegt. Hierdurch böte sich auch eine Möglichkeit, ein weiteres, derzeit in Agonie liegendes Werk Hajeks zumindest teilweise wieder herzustellen: sein eigenes Wohnhaus in Stuttgart. 1967 kaufte der Künstler die Villa Hasenbergsteige 65, 1921 in traditionalistischen Formen errichtet, und gestaltete sie nach seinen Leitsätzen um. Hinzu kam ein in den Hang gesetzter Atelierbau. Der Teppichboden im Erdgeschoss war der gleiche wie in der Stadthalle Lahnstein.
Stuttgart, Villa Hajek, 2022 (Bild: Stephan Trüby)
Gesprächsergebnisse
Otto Herbert Hajek ist am 29. April 2005 gestorben. Der unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz hoch dekorierte Bildhauer war zeitlebens streitbar, und Friede sollte auch nun nicht einkehren: Die Familie brauchte einige Zeit, um sich über das Erbe einig zu werden – jahrelang blieb das Hajek-Haus so verschlossen, stand schließlich zum Verkauf. Nach einer Besichtigung durchs Landesdenkmalamt wurde es 2009 als “Sachgesamtheit” unter Schutz gestellt. Die Stadt Stuttgart, der die Erbengemeinschaft das Gebäude, das nun Denkmal war, zum Kauf anbot, lehnte dankend ab. 2011 erwarb es schließlich der Unternehmer Markus Benz, Chef des Möbel-Herstellers Walter Knoll. Kurz darauf war der Altbau nahezu komplett entkernt – samt der Hajek-Gestaltung, dem Hauptgrund der Unterschutzstellung. Ob dies mit Duldung der Behörden oder eigenmächtig geschah, darüber herrscht bis heute Unklarheit.
Mittlerweile gibt es zumindest eine Verfügung, dass der Innenraum wieder rekonstruiert werden müsse. Doch seit Jahren herrscht Stillstand auf der Baustelle Hasenbergsteige. Die Villa Hajek verfällt, während Anwälte streiten, Gesprächsergebnisse im Sand verlaufen und Anfragen der Parteien des Stadtparlaments ergebnislos bleiben. Der Galerist Urban Hajek, der heute den künstlerischen Nachlass seines Vaters verwaltet, hat im Sommer 2022 einige Werke des öffentlichen Hajek-Skulpturenparks, der sich im Grünstreifen an der Hasenbergsteige befindet, aus Protest abbauen lassen. Auch er befindet sich in stark pflegebedürftigem Zustand. Die betreffenden Skulpturen sind nun über die Galerie Urban Hajek zu verkaufen. Hier ist jemandem die Situation einfach zu bunt geworden …
Stuttgart, Farbwege im Mineralbad Leuze, “Römische Erinnerung”, 1979–1983 (Bild: Kamahele, CC BY-SA 3.0)
Literatur und Quellen
Hajek, Otto Herbert/Baumstark, Brigitte, Raum – Farbe – Zeichen, Berlin 2007.
Hajek, Otto Herbert, Farbwege 1952–1974, Stuttgart 1974.
Heiligsprechung am Hasenberg, in: Kontext. Wochenzeitung, 244.
Das Hajek-Haus am Hasenberg in Stuttgart, auf: SWR 2, 20. Januar 2021.
Oben/Titelbild: Stadthalle Lahnstein, Waschraum, Tag des offenen Denkmals 2019 (Bild: Marion Halft, CC BY-SA 4.0)
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Bonusbeitrag
Inhalt
LEITARTIKEL: Farbe bekennen
Stefanie Wettstein und Marcella Wenger über das Erkennen, Rekonstruieren und Bewahren von Farbkonzepten.
FACHBEITRAG: StadtBauKunst
Julia Hausmann über zwei farbstarke Siedlungen der 1920er von Bruno Taut, die heute zum UNESCO-Welterbe zählen.
FACHBEITRAG: Grün ohne Hoffnung
Der Abriss der Stadthalle Mettmann, der “Laubfroschoper”, scheint kaum mehr abzuwenden. Elke Janßen-Schnabel beschreibt den Spätmoderne-Bau.
FACHBEITRAG: Bitte den Farbfilm nicht vergessen!
Verena Pfeiffer-Kloss über die Pop-Moderne-Bauten von Rainer G. Rümmler in West-Berlin.
PORTRÄT: Hajek im Farbrausch
Daniel Bartetzko über die Erkennungszeichen eines allgegenwärtigen Bildhauers.
INTERVIEW: “Die Moderne ist nicht grau”
Die Moderne als Farbraster: mR im Gespräch mit Paul Eis, der beigen Bauten am Computer Farbe und Leben einhaucht.
FOTOSTRECKE: Modernisierte Moderne
Martin Maleschka ist auf den Spuren gedämmter DDR-Plattenbauten – und ihren fragwürdigen Farbgestaltungen.