von Julia Hausmann (23/1)

“Da alles seine Farbe hat, so muss auch alles, was Menschen tun, farbig gestaltet sein” – dieses Zitat stammt von dem Architekten Bruno Taut (1880-1938) und ist ein Auszug aus seinem Vortrag, den er 1925 auf dem ersten Deutschen Farbentag in Hamburg hielt, und bei dem es um die Suche nach einer zeitgemäßen Architektursprache ging. Für Taut war Farbe gebaute Lebensfreude und ein kostengünstiges Gestaltungsmittel. Um dem grauen Alltag der 1920er Jahre einen Mehrwert hinzuzufügen, setzte er bei seinen Projekten eine fein nuancierte Farbpalette ein. Im 1919 in der Zeitschrift “Bauwelt” veröffentlichten Manifest “Aufruf zum farbigen Bauen” verdeutlichte Taut seine Sicht, dass die Farbe für ihn neben der Form das wesentlichste Ausdrucksmittel im Bauen ist. Ursprünglich wollte der 1880 in Königsberg geborene Bruno Taut Maler werden, entschied sich jedoch für den damals sichereren Broterwerb Architektur. In seiner Freizeit malte er weiter intensiv an Bildern, die die Natur thematisierten und die entsprechenden Farbräume aufwiesen. Diese wurden für ihn zu einer wichtigen Basis seiner architektonischen Farbkompositionen. Eine neu gegründete Baugenossenschaft beauftragte 1911 im Rahmen der Gartenstadtbewegung den jungen und reformfreudigen Architekten Bruno Taut, eine Siedlung in Berlin-Grünau zu errichten. Die zwischen 1913 und 1916 entstandene Gartenstadt Falkenberg ist sein erstes gebautes, farbiges Gesamtensemble. Hierfür wurden sich wiederholende Häusertypen mit Nutzgärten zunächst um einen Hof gruppiert und, in einem zweiten Bauabschnitt, um weitere Ein- und Mehrfamilienhäuser mit entsprechenden Gärten ergänzt. Die Zusammenarbeit mit dem Gartenarchitekten Ludwig Lesser ließ ein harmonisches Gesamtgefüge von Wohnbauten und Außenraum entstehen und war damals ein absolutes Novum.

Berlin, Gartenstadt Falkenberg/Tuschkastensiedlung (Bild: Julia Hausmann)

Kontrastreich wohnen im Grünen

Die Farbgebung der Siedlung beschrieb Taut als “äußerst lebhaft und intensiv”. Erstmalig verwendete er in der Gartenstadt Farbe als elementares Gestaltungsmittel und erprobte hier Farbkombinationen und ihre Wirkung. So schuf er analog zu städtebaulichen Raumbildungen abgestimmte Farbräume, wie sie auch in den späteren Berliner Siedlungen wieder zu finden sind. Der kostensparenden Typenbauweise wurde größtmögliche Individualität durch die Farbgestaltung von Türen, Fenstern, Klappläden, Balkonen und Gesimsen verliehen, welche mit den Fassadenflächen kontrastieren. An einzelnen Mehrfamilienhäusern setzte Taut zusätzlich Farbe im Sinne einer abstrakten Fassadenmalerei ein. Sein Farbkonzept war im Städtebau neu und wurde von einigen als provokant empfunden, sodass die Gartenstadt im Volksmund bald “Kolonie Tuschkasten” genannt wurde. Die Bewohner hingegen identifizierten sich mit der Farbgebung und schätzten das damit verbundene Gemeinschaftsgefühl. 1921 wurde sogar ein “Tuschkastenball” mit entsprechend farbiger Kleidung gefeiert und später eine entsprechende Taut-Fahne für Umzüge innerhalb der Kolonie genäht.

Berlin, Tuschkastensiedlung, Haus Gartenstadtweg 28 (Bild: Julia Hausmann)

Farbenfrohe Großsiedlung mit „Außenwohnraum“

Die zwischen 1925 und 1931 in Berlin-Britz in mehreren Bauabschnitten errichtete Hufeisensiedlung ist eines der ersten Projekte des sozialen Wohnungsbaus. Ihre ikonografische Struktur entwickelte Bruno Taut gemeinsam mit dem Stadtbaurat Martin Wagner und dem Gartenbauer Leberecht Migge. Im Mittelpunkt des damals visionären städtebaulichen Konzeptes standen “Luft, Licht und Sonne” für alle. Herzstück der Siedlung ist der von dem hufeisenförmigen Wohnriegel umschlossene zentrale Außenraum mit Teich und umlaufenden Wiesen als Treffpunkt für die Bewohner:innen. Die Wohnräume der Etagenwohnungen sind mit Loggien zum Inneren des Hufeisens ausgerichtet; davor gibt es zu jeder Wohnung einen Mietergarten, was als sogenannter Außenwohnraum einen wichtigen sozialen Aspekt der Siedlung verdeutlicht. Um die im Wesentlichen mit einem blau-weißen Anstrich versehenen Wohneinheiten des Hufeisens schmiegen sich neben einem dörflichem Anger grün gesäumte Wohnstraßen mit Einfamilienhäusern, deren Reihung durch Vor- und Rücksprünge belebt wird und die Farbe als eigenständiges, architektonisches Element einbinden. Zwei dreigeschossige rote Wohnzeilen mit einer durch Treppentürme rhythmisierten Fassade fassen das Quartier beinahe provokant wehrartig zur Fritz-Reuter-Allee ein. Diese wurden auch als die “Rote Front” oder die “Chinesische Mauer” betitelt. Zur Gartenseite akzentuiert Taut die Balkone mit einem Weißton und lässt die Gebäude somit deutlich freundlicher wirken als straßenseitig.

Um möglichst schnell und kostengünstig zu bauen, wurden in der Siedlung serielle Bauteile und Haustypen verwendet. Mit dem fein abgestimmten Farbkonzept im Innen- wie im Außenraum vermied Taut eine monotone Gesamterscheinung der Bauten und erzeugte ein lebendiges Straßenbild. Die Atmosphäre der jeweiligen Straßenzüge wurde durch eine abwechslungsreiche und stimmige Bepflanzung unterstrichen. Ein besonderes Merkmal der Fassadengestaltung sind die farbig gestalteten Eingangstüren. Es gibt in der Hufeisensiedlung acht Konstruktionstypen von Türen, wovon jede fünf bis acht unterschiedliche Farbstellungen zeigt, sodass eine wunderbare Vielfalt an Eingängen innerhalb des Stadtgefüges entstehen konnte. Auch in den Innenräumen setzte Taut eine kräftige und kontrastreiche Farbgebung ein: Die Farbe sollte nicht nur Tapeten, sondern auch Bilder und Vorhänge ersetzen. So entstand im Inneren eine klare, von Farbe geprägte, puristische Atmosphäre. In dem zur Siedlung gehörenden, aufwändig restaurierten und mietbaren Museum “Tautes Heim” ist der Charakter ganzheitlich gestalteter Wohnräume unmittelbar zu erleben: Die Wand-, Decken und Bodenfarben des Hauses wurden wissenschaftlich analysiert und gemäß den Empfehlungen der Restauratoren originalgetreu erneuert. Eine authentische Einrichtung und Ausstattung vervollständigte das Wohngefühl im “Taut’schen Sinne”.

Berlin, Fritz-Reuter-Allee, Gartenseite (Bild: Julia Hausmann)

Baumaterial Farbe

Die Architekten Helge Pitz und Winfried Brenne erkannten in den 1980er Jahren die Bedeutung der Architektur Bruno Tauts im zeitgeschichtlichen Kontext der 1920er Jahre und begannen mit einer sensiblen Bestandsaufnahme verschiedener Siedlungen. Während der Sanierungsarbeiten an der Hufeisensiedlung wurden von den Architekten zwischen 1982 und 1987 Putzproben zur Dokumentation der Farbstellung und Oberflächenqualitäten entnommen und später den Laboren der Fachhochschule Potsdam zur Verfügung gestellt. Brenne bezeichnet diesen Prozess als Archäologie der Fassade und initiierte damit eine neue Wahrnehmung hinsichtlich der Originalfarbgebung. Im Laufe der Sanierung wurde die Denkmalpflege immer intensiver eingebunden und die differenzierten Farbräume sukzessive wieder hergestellt. Da die meisten Wohnungen der Geschossbauten und die Einfamilienhäuser inzwischen Wohneigentum geworden sind, ist eine ganzheitliche Sanierungsstrategie schwieriger geworden. Für geplante Baumaßnahmen ist auf der Website der Hufeisensiedlung für jede Einheit eine sorgfältig erstellte Liste mit Angaben zu vorgegebenen Details, Materialien und Farbqualitäten zu finden. Zukünftig soll diese Liste um eine Bestandsaufnahme der bauzeitlichen Putze und entsprechenden Sanierungsempfehlungen ergänzt werden.

Links durchgefärbter Putz mit Kieselzuschlag, rechts Putzfläche mit Anstrich (Bild: Julia Hausmann)

Bewegte Oberflächen

Dazu hat die Restauratorin Anke Hirsch mit ihrem Team anhand von Farbbefunduntersuchungen die Originalrezepturen der durchgefärbten Edelputze rekonstruiert. Diese werden den Handwerkern nach Anleitung zur Verarbeitung vor Ort als Sackware zur Verfügung gestellt, um die entsprechende, von Taut intendierte Farbwirkung wiederherzustellen. Für seine Farbräume verwendete er an den Fassaden gleichmäßig durchgefärbte mineralische Edelputze, die als sogenannte Madenputze eine stark strukturierte, furchige Oberfläche zeigen und somit eine schöne Farbtiefe erzeugen. Zuschlag sind bunte Flusskiesel, die im Prozess der Verwitterung immer stärker zum Vorschein kommen. Im Gegensatz zu einem Anstrich entsteht so keine monochrome Fläche, sondern ein bewegtes Oberflächenbild. Um die Forschung zu Tauts Werk und anderen wichtigen Vertretern der Moderne vertiefen zu können, geht das umfangreiche Materialprobenarchiv des Büros Brenne Architekten mit besonderen Artefakten im kommenden Jahr (2023) an das Archiv der Akademie der Künste in Berlin. Die wertvolle Sammlung wird fortan über die Datenbank des Archivs öffentlich zugänglich sein. 2008 wurde die Hufeisensiedlung ebenso wie die Gartenstadt Falkenberg zum UNESCO-Welterbe erklärt. Diese Auszeichnung zeigt den Stellenwert der Farbe als identitätsstiftendes Element in der architektonischen Planung und lässt hoffen, dass dieser bei zukünftig entwickelten Projekten wieder stärker in den Fokus rückt.

Berlin, Hufeisensiedlung, Zentralbau, Detail (Bild: Julia Hausmann)

Berlin, Hufeisensiedlung, Zentralanlage (Bild: Sebastian Trommer, CC BY-SA 3.0)

Berlin, Tautes Heim (Bild: Ben Buschfeld, CC BY 3.0, www,tautes-heim.de)

Berlin, “Tautes Heim” (Bild: Ben Buschfeld, CC BY 3.0)

Literatur

Brenne, Winfried Bruno Taut. Meister des farbigen Bauens in Berlin”, hg. vom Deutscher Werkbund Berlin, Berlin 2005.

Bruno Taut. De fantasie voorbij, Ausstellungskatalog, Museum Het Schip, Amsterdam, 2020.

Berlin, Taut-Siedlung (Bild: Julia Hausmann)

Titelmotiv: Berlin, Gartenstadt Falkenberg/Tuschkastensiedlung (Bild: Julia Hausmann)


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Bonusbeitrag

Inhalt

LEITARTIKEL: Farbe bekennen

LEITARTIKEL: Farbe bekennen

Stefanie Wettstein und Marcella Wenger über das Erkennen, Rekonstruieren und Bewahren von Farbkonzepten.

FACHBEITRAG: StadtBauKunst

FACHBEITRAG: StadtBauKunst

Julia Hausmann über zwei farbstarke Siedlungen der 1920er von Bruno Taut, die heute zum UNESCO-Welterbe zählen.

FACHBEITRAG: Grün ohne Hoffnung

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Der Abriss der Stadthalle Mettmann, der “Laubfroschoper”, scheint kaum mehr abzuwenden. Elke Janßen-Schnabel beschreibt den Spätmoderne-Bau.

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