Interview mit Paul Eis (23/1)

Stark in der Rasterung, trist im Erscheinungsbild: Unabhängig von ihrer Entwurfsqualität sprühen die beige/weißen Fassaden vieler Großbauten der Moderne nicht gerade vor Lebensfreude. Für Paul Eis sind sie willkommene Motive der Verfremdung. Im 2015 begonnenen Projekt „A colorful makeover of architecture“ haucht der gebürtige Berliner seinen Architekturfotografien Farbe und Leben ein. Mittlerweile sind sie mehrfach ausgestellt worden, unter anderem auf der Architekturbiennale 2021 in Venedig und 2022 auf dem Jakarta International Photo Festival. Die Redaktion von moderneREGIONAL, bekennende Fans von Spät- und Postmoderne, wollte wissen, wie er zu Architektur steht, die schon von Haus aus bunt ist – und wie er es mit der Klassischen Moderne hält.

“The coral” (Marco-Polo-Tower Hamburg, 2010), Paul Eis, 2016

moderneREGIONAL: Ihr bevorzugtes Feld sind Hochhaus-Rasterfassaden und Wohnblöcke. Sind sie nur durch ihre schiere Größe geeignete Objekte oder ist Ihnen die Moderne einfach zu weiß?

Paul Eis: Angefangen habe ich tatsächlich mit dem Fotografieren von Plattenbauten und Wohnhochhäusern. Zunächst, weil ich ihre Rasterfassaden interessant fand, sie auf mich wie abstrakte, geometrische und homogene Kunstwerke gewirkt haben. Die Farbe ist dann dazu gekommen, weil mir die Bilder einfach zu monoton waren, und ich so eine grafisch vielfältigere Serie schaffen wollte. Damals, noch bevor ich mich akademisch mit Architektur beschäftigt habe, habe ich dann reflektiert, warum ich so gehandelt habe und so das Projekt entwickelt, Bauwerke farblich neu zu interpretieren. Die Moderne selbst habe ich eigentlich nie zu weiß gefunden, da ich diese Architektur hauptsächlich über Gebäude von Bruno Taut und Le Corbusier in Berlin kennengelernt habe. Deren Farbgebung ist sehr expressiv, was mir sehr gefallen hat und für mich immer noch inspirierend ist. Zu weiß wird es mir eher ab etwa den 1960ern, wo die Architektur, ausgenommen die Postmoderne, ihre Farbe verloren hat.

mR: Ist Ihre Arbeit ein Plädoyer für mehr Mut beim Entwerfen, für mehr Hedonismus oder gar eine Moderne-Kritik?

PE: Ich möchte zeigen, dass es mehr gibt als die Variation der weißen Schachtel. In gewisser Weise ist es tatsächlich eine Kritik an der Moderne. Nicht am Stil selbst, der ja wie gesagt durchaus farbige Bauwerke hervorgebracht hat, sondern an dem Architekturverständnis, den gebauten Raum als Anordnung klar getrennter Funktionen mit möglichst neutralen Körpern zu sehen. Wenn es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Aufbruch in eine neue Lebensweise war, ist es mittlerweile einfach nicht mehr zeitgemäß und aus sozialer und psychologischer Sicht nicht mehr tragbar. Leider schaffen es auch die Mehrheit der Planer:innen heute immer noch, jeglichen Charakter und Individualität aus Orten wegzuentwerfen. Die Motivationen zu uniformen, hyperneutralen Bauprojekten sind sicher vielfältig, von wirtschaftlichen Zwängen, mangelnden Ideen der Entscheider:innen bis hin zu einem zu dogmatischen Idealbild moderner Gebäude. Aber sicher ist eine Kombination aus mangelndem Mut und dem Streben nach “seriöser” Architektur ein riesiges Problem gerade in Deutschland. Natürlich ist mehr Hedonismus in Zeiten von Krisen, Mangel und dem Versuch so (Energie-) sparsam wie möglich zu bauen, nicht die beliebteste Forderung. Aber ich bin davon überzeugt, dass lebensfrohe Räume und Gebäude ein Schlüssel für ein gutes und nachhaltiges Zusammenleben sind. Man schaue sich nur einmal an, wie schnell Häuser heutzutage abgerissen werden, nur weil sich niemand mit ihnen Identifiziert. Bauten, die von Ihrem Umfeld geliebt werden, weil sie einzigartig und persönlich sind, sind da dauerhafter.

“High-rise” (Wohnhausgruppe 910, Märkisches Viertel Berlin, 1971), Paul Eis, 2018

mR: In den 1980er/90er Jahren wurde unabhängig von der Farbgebung ja sehr expressiv gebaut: Mögen Sie die Postmoderne?

PE: Ich finde es zwar schwierig, eine ganze Stilrichtung zu beurteilen, aber die Ideen der Postmoderne sind ganz bestimmt ein wichtiger Teil meiner persönlichen Sicht auf die Architektur. Es war sicher die Ära, in der am tiefsten über die Architektur als soziales Medium und Medium der Kommunikation reflektiert wurde. Und sich gleichzeitig nicht – wie ich es zur Zeit in der akademischen Welt beobachte – hinter der Theorie versteckt wurde. Die Kombination aus starker Formen- und Farbsprache und gleichzeitig hohem Anspruch bezüglich sozialer und raumdramaturgischer Themen finde ich schon einzigartig. Auch, dass wieder Humor in die Architektur gebracht wurde, wirkt sehr befreiend, wo Bauen meist doch eine sehr ernste Angelegenheit ist. Es sind zwar sicherlich einige Gebäude an ihrer Experimentalität gescheitert, aber spätestens wenn wir über Städtebau reden, kann man sicher sagen, dass die Postmoderne zumindest Schäden an unseren Städten verhindert hat. Gerade in Berlin ist das sehr stark sichtbar, wenn man die devastierten Räume der im sogenannten Stadtumbau der 1950er/60er Jahre “aufgeräumten” Innenstadtteile vergleicht mit den vielfältigen Stadtteilen, in denen postmodern interveniert wurde. Es ist schon Interessant, dass eine wilde Mischung starker Bauten verschiedenster Epochen und Stile deutlich natürlicher und angenehmer wirkt als die klar strukturierten, homogenen Räume des modernistischen Städtebaus.

mR: Die 1970er waren schon einmal sehr bunt. Bauten wie das „Schwabylon“ München (1974), der Berliner „Bierpinsel“ (1976) oder das „Herkules“-Hochhaus in Köln (1972) werfen die Frage auf, ob man gestalterisch schon einmal weiter war. Oder fällt dies für Sie eher unter Mode?

PE: Natürlich fallen für mich diese Bauten unter Mode, aber ich sehe das als positive Eigenschaft. Und die 1970er Jahre waren weit, was das Modebewusstsein in der Architektur betrifft. In einigen Fällen bestimmt auch ihrer Zeit voraus. Ganz anders als heute, wo eher versucht wird, jede Mode zu umgehen. Modisch bauen ist für mich jedenfalls definitiv besser, als mit Gleichgültigkeit zu bauen. Freilich geht mit modischen Dingen einher, dass sie irgendwann nicht mehr modern sind – was im Übrigen auch sogenannten „zeitlosen“ Gebäuden mal passiert. Aber dass so viele Bauten aus dieser Zeit noch stehen und gewürdigt werden, zeigt, was es trotzdem ausmacht, wenn Architektur einen starken Charakter hat. Den Bierpinsel kenne ich ziemlich gut, da ich zu meiner Schulzeit jeden Tag in seinem Schatten auf den Bus gewartet habe. Ich habe mich schon damals gefragt, warum für eine doch recht banale Funktion wie die eines Restaurants so ein absurdes Gebäude errichtet wurde. Gleichzeitig ist er auch eine meiner tiefsten Kindheitserinnerungen an die Stadt und für viele andere Menschen ein orientierungs- und Identifikationspunkt. Sodass ein Abriss definitiv nicht in Frage kommt, obwohl der Bierpinsel nüchtern betrachtet weder wirtschaftlich noch nach irgendeiner funktionalistischen Logik „sinnvoll“ ist.

“The snake” (IULM 6, Mailand, 2015), Paul Eis, 2019

mR: Würden Sie in Realität gerne eines der grafisch bearbeiteten Gebäude farblich umgestalten oder ist Ihnen lieber, dass dieser Teil ihrer Arbeit ein Spiel bleibt?

PE: Für mich ist natürlich großartig zu sehen, wenn meine Ideen Anklang finden. Aber die Gefahr ist groß, dass meine Bilder für eins-zu-eins umsetzbar gehalten werden. Sie sind eher als Kommunikationsmedium für eine Idee gedacht, statt als konkrete Planung. Tatsächlich habe ich in der Realität zwei Hochhaus-Blöcke umgestalten dürfen, was mir auch eine große Freude war. Aber grundsätzlich denke ich, dass es gut ist, dass die Fotografie für sich selbst steht und dabei auch die Freiheit des Imaginären genießen darf. Denn das Gestalten einer realen Fassade ist wenig zu vergleichen mit dem Gestalten einer Fassade für ein kleines quadratisches Bild. Während ich beim Bild komplett frei und uneingeschränkt mit meinen eigenen Ideen spielen kann, kamen im “wahren Leben” verschiedene Faktoren, wie Kontext, technische Beschränkungen und natürlich die Meinung von in dem Fall über hundert verschiedenen Eigentümerparteien dazu. Sie darf man bei einem so emotionalen Thema wie Farbe nicht außen vor lassen. Grundsätzlich ist das Thema Farbe und generell expressive Baukörper schon etwas, das ich in Zukunft mehr vom Virtuellen in die Realität bringen möchte, was auch eine meiner Motivationen ist, Architektur und eben nicht etwa Fotografie zu studieren.

mR: Und gibt es ein reales Gebäude, das Sie farblich als besonders bearbeitungswürdig empfinden? Beziehungsweise gibt es eines, das sie als als besonders gelungen sehen?

PE: Eine schwierige Frage und mir fällt es schwer, mich da auf ein bestimmtes Gebäude festzulegen. Beim Bearbeiten geht es mir nicht unbedingt um die “Verbesserung” konkreter Häuser. Natürlich gibt es welche, die geometrisch spannender sind als andere, aber mir geht es dennoch hauptsächlich um die Architekturbranche als Ganze. Reizvoll wäre mal eine größere Serie über das Bauhaus in Dessau zu machen. Nicht weil ich es langweilig finde, es ist für mich auch in seiner „Weißheit“ großartig und ikonisch. Sondern eher, weil es oft als Vorbild und Symbol für unzählige fade graue Schachteln herangezogen wird, die unter dem Etikett der „Bauhausmoderne“ entworfen werden. Dabei muss man nur einmal die Meisterhäuser in Dessau betreten, um zu sehen, dass die Moderne eigentlich bunt ist und nicht grau!

Das Gespräch führte Daniel Bartetzko.

“Minimalism” (Hansaviertel Berlin, 1957), Paul Eis, 2018

Zur Person

Geboren 1998 in Berlin, studiert Paul Eis mittlerweile Architektur in Linz. 2016 zog er hierher. Seine (zunächst fotografische) Beschäftigung mit farbiger Architektur begann er bereits als Schüler, heute zählt sein Instagram-Profil, auf dem er seine Werke präsentiert, mehr als 40.000 Follower. Er ist Partner im MAIS kollektiv und freier Mitarbeiter im Büro Tp3 Architekten/Linz.

Bild: Nikolaus Schullerer-Seymair

Titelmotiv: “Sculptural stairs” (Bürohaus in St. Pölten, Baujahr unbekannt), Paul Eis, 2019


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Bonusbeitrag

Inhalt

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