von Peter Liptau (22/1)

Zwei Männer lehrten die westdeutsche Gesellschaft ab den späten 1960ern das Konsumieren wie auch das Sparen: Hugo Mann, Gründer der Ketten Wertkauf und MannMobilia, sowie sein Chefdesigner Jürgen Döhmann, der den Unternehmen zur optischen Unverwechselbarkeit verhalf. Mann, der Schwabe, der in Baden erfolgreich wurde, erblickte 1913 in Laupheim bei Ulm als Sohn eines Schreiners das Licht der Welt, der Vater bildete ihn ebenfalls zum Schreiner aus. In den 1930ern gründete er in der Karlsruher Innenstadt ein Möbelhaus, welches im Zweiten Weltkrieg zerstört, aber sehr bald wieder aufgebaut wurde. Die Person, über die das „Manager-Magazin“ einmal schreiben würde, er hätte „über eine Schrifttype für den Werbeprospekt ebenso entschieden wie über die nächste Millioneninvestition“ und der mit der Tochter des Fotoversandhändlers Hannsheinz Porst verheiratet war, war in der Nachkriegszeit fasziniert von neuen Entwicklungen im Einzelhandel, vor allem nach US-amerikanischen Vorbild. Mitte der 1960er traf Mann auf den 1928 in Köln geborenen Jürgen Döhmann, genannt „Dö“. Dessen Karriere begann 1948 mit einem Architekturstudium an der TH Karlsruhe (heute KIT). Eine seiner Studienarbeiten wurde gar mit dem renommierten „Weinbrennerpreis“ der Hochschule ausgezeichnet. Einzig der damals hier tätige Egon Eiermann fand keinen Gefallen an der Arbeit und sorgte nachträglich dafür, dass der prämierte Entwurf nicht als Diplomarbeit anerkannt wurde, da er selbst während der Auswahl des Preisgerichts nicht anwesend gewesen sei. Das Diplom absolvierte Döhmann 1953 bei Heinrich Müller, in dessen Büro er im Anschluss auch tätig wurde, und für den er einige architektonische Projekte betreute. Darunter Wohnhäuser, das Sportzentrum der TH Karlsruhe sowie der Wettbewerb fürs BASF-Hochhaus in Mannheim. 1961 wechselte Dö als Gründungs-Chefredakteur des Magazins „Schöner Wohnen“ nach Hamburg. Hier berichtete er auch mehrfach über Projekte Egon Eiermanns – jenes Professors, der seine Arbeit nicht wertschätzte.

Wertkauf, um 1980 (Prospektscan: Peter Liptau)

Die Wertkauf-Story

1958 eröffnete Hugo Mann in Karlsruhe einen ersten Wertkauf. Dieser befand sich in einem eingeschossigen, etwa 3.500 Quadratmeter großen Hallengebäude und bot lediglich Non-Food-Produkte an. Dies war der erste Versuch, das US-Vorbild eines Einkaufsmarkts in Deutschland zu etablieren. Es gab noch keine Corporate Identity (CI), geschweige denn eine Marketingstrategie. Auf dem Karlsruher Gelände, auf dem später auch das Möbelhaus „MannMobilia“ gebaut werden sollte, ließ das Unternehmen 1961 ein Verwaltungshochhaus errichten. Und Jürgen Döhmann wechselte 1966 von Hamburg zurück nach Karlsruhe – und ins Unternehmen Mann. Hier entwickelte er das Designkonzept der kommenden, konsequent durchgestalteten Wertkauf-Center. Das erste dieser Planung folgende Haus eröffnete 1968 direkt an der Autobahnabfahrt Karlsruhe. Nach nur einem Jahr wurde es durch einen Großbrand zerstört und innerhalb von nur drei Monaten wieder aufgebaut. Ein Vorteil, dass Döhmann als studierter Architekt auch gleich die Hallenbauten der Märkte mitplante.

Die Wertkauf-Center begründeten eine völlig neue Vertriebsform von Waren des täglichen Bedarfs. In einer eigenen Broschüre nannte man es noch „Hartwaren in Selbstbedienung“, heute würde man „SB-Warenhaus“ oder „Vollsortimenter“ sagen. Innerhalb kurzer Zeit wurden weitere Märkte unter anderem in Freiburg (1966 eröffnet und nun umgestaltet) und München eröffnet, stets am Stadtrand und in Autobahnnähe gelegen. Ein nahezu endloser Warenvorrat wartete auf die Kundschaft, doch es gab noch weitaus mehr zu erleben und zu sehen: ein Restaurant in der Mitte des Marktes, eine „Plaza“ unter dem Oberlicht mit bequemen und poppig designten Sitzgelegenheiten – und nicht nur das Warenangebot eines modernen Supermarktes, sondern auch ein breites Sortiment von Artikeln, welche sonst nur der Fachhandel bot. Weitere Highlights waren eine Campingschau, Sofortreinigung, Tierbedarf samt Haustieren selbst, Friseur, Bank, eine Kinder-Eisenbahn sowie ein eigener Trimm-Dich-Pfad. Im Umfeld fanden sich Tankstelle, Autowaschanlage sowie oft eine Werkstatt mit Reifenservice. Für die nicht motorisierte Kundschaft installierte man den „Wertkauf-Bus“, der die Einkaufswilligen an der nächsten Straßenbahnhaltestelle abholte und bis vor den Eingang fuhr. Und all das unterm Stern bzw. unter einem großen „W“ mit Stern.

Wertkauf Karlsruhe, um 1972 (Scan: Peter Liptau)

Blau mit Sternchen

Maßgebend waren im Design eben diese zwei Dinge: Das Wertkauf-Blau und das “W” mit Sternchen. Dieses Sternchen tauchte bei Döhmann wohl bereits während des Studiums und seiner Tätigkeit im Büro Heinrich Müller als Markenzeichen seiner Pläne auf. Nun konnte er diese Eigenheit zum prägenden Symbol eines Konzerns adeln. Bald war das blaue “W” auf weißem Grund (oder in Farbumkehrung ein weißes “W” auf blauem Grund) allgegenwärtig: Verließ man die Autobahn Richtung Karlsruhe, fuhr man entlang einer Fassadenabwicklung, die das Logo stakkatoartig wiederholte. Begleitet wurde es von blauen Fahnen, die sich entlang des Wertkauf-Areals staffelten. Alles unterlag der CI, eigens fürs Unternehmen wurden Piktogramme entwickelt: Pfeile, Wegweiser bis hin zu den Symbolen an den Toilettentüren. Über die Zeit hinweg wurde dieses Design verfeinert und sukzessive modernisiert. Eine Neuerung, die über die Jahre auffällt, ist, dass das große “W” nicht mehr immer in gerader Kontur, sondern in ausgefranster Stempelform erschien. So, als hätte man einen Buchstaben einer manuellen Schreibmaschine größer skaliert. Die Schreibmaschinentypo war zuvor für alle Schriften, beispielsweise auf Beschilderungen und Preisschildern (von deren Schrift aus den Auszeichnungsgeräten stammte womöglich auch die Idee) genutzt worden, jedoch nicht fürs Logo selbst.

Für die Innenraumgestaltung entwickelte Döhmann ebenfalls ein Gesamtkonzept. Die funktionale Ausstattung bildeten im Markt Industrieregale, die oberhalb der Griffhöhe auch als Warenlager genutzt wurden. Das hatte zwei Vorteile: Man sparte sich größere Lagerflächen und Zeit beim Nachfüllen der Waren. Außerdem wurde der Kundschaft hier der Vorrat präsentiert.

Der Werbeslogan „Berge von Waren“ war nicht so abwegig. Um die industrielle Optik der vor allem auch weitläufigen Hallenbauten optisch aufzuwerten, aber auch zu gliedern und ein Orientierungssystem zu schaffen, wurden die verschiedenen Bereiche durch Leitfarben voneinander geteilt. Dies geschah zum einen durch von den Decken hängende Farbbanner, die den Raum weniger hoch erscheinen ließen, als auch durch poppige Dekorationen, die in den jeweiligen Leitfarben an der Decke montiert wurden. Im Restaurant konnten die Farbbanner auch etwas tiefer hängen, um Intimität zu schaffen. In der zentralen Plaza unterm Oberlicht entfielen sie, um den Raum nach oben zu öffnen. Über Brot-, Fisch- und Fleischtheken wurden großformatige Fotos der jeweiligen Waren mit entsprechenden Aufschriften angebracht.

Wertkauf, Innenraum, um 1975 (Scan: Peter Liptau)

Rosa Schweine gegen die 68er

Auch die vielfältigen Werbemaßnahmen folgten dem Wertkaufdesign. Meist großformatig in der Zeitung abgedruckt, in der prägnanten Schreibmaschinentypo, die derart ins Auge fiel, dass es kaum noch des “W*” bedurfte, um zu wissen, wer hier warb. Man konnte sogar kostenfrei und über ein eigenes Wertkauf-Postamt Ansichtskarten mit Wertkaufmotiv und Sonderstempel an Freunde und Familie schicken, um vom Shoppingerlebnis zu berichten. In einem Werbevideo sang die Soulkünstlerin Joy Fleming 1981 in ihrem abgewandelten Hit “Neckarbrückenblues” von ihrer Reise “Iwwer die Brick zum Monnemer Wertkauf hi”. An den Kassen standen zeitweilig überdimensionale Schütten, in denen sich Einweg-Plastiksparschweine zur Mitnahme anboten. „Wertkauf hilft sparen“ war neben dem Geldschlitz aufgedruckt. Ein Zeitzeuge, ehemaliger Schüler eines Gymnasiums gegenüber der Universität, berichtet, dass diese Schweine ob ihrer schier endlosen Verfügbarkeit von den Schüler:innen gern genutzt wurden: Mit Wasser gefüllt, gaben sie erstklassige Wasserbomben ab, die man um 1968 aus dem Fenster auf die protestierenden Student:innen warf …

Wertkauf-Sparschwein, ca. 1972–1988 (Bild: Daniel Bartetzko)

MannMobilia

Wertkauf wuchs: Nach und nach wurden weitere 20 Center eröffnet, beispielsweise in Siegen, Bremen und Wiesbaden. Das Konzept beinhaltete neben dem Discounter bald auch einen MannMobilia-Möbelmarkt in direkter Nachbarschaft. Nachdem Hugo Mann noch vor seiner Wertkauf-Idee das Möbelhaus in der Karlsruher Innenstadt 1950 wieder eröffnet hatte, expandierte es bereits, unter anderem nach Pforzheim und Hamburg. Damals prägte die Firma noch ein schlichter roter Schriftzug in Großbuchstaben: “MÖBEL MANN”. Doch auch hier entstand bald die Idee, das Möbelgeschäft in größere Dimensionen zu überführen. Ab etwa 1970 entstand so in Nachbarschaft zum Karlsruher Wertkauf-Center neben dem Scheibenhochhaus der Konzernverwaltung ein neuer Baukörper: MannMobilia war geboren. Für den optischen Auftritt sorgte wiederum Jürgen Döhmanns CI-Abteilung. Ein Logo wurde entwickelt: Ein Quadrat, das an arabische Fliesen und an Byzanz erinnert – und bis heute die Marke MannMobilia, jetzt Teil des XXXLutz-Konzerns, repräsentiert. Dieses Motiv wurde gleichzeitig zum Fassadendesign. Ähnlich des Prinzips der Hortenkacheln wurde das Logo als Raster über die gesamte Fassade gereiht. Im Gegensatz zu Horten, bei dem die vorgehängten Einzelelemente lichtdurchlässig und aus Keramik- oder Aluminiumbausteinen waren, wurde das MannMobilia-Raster jedoch schlicht per Schablone auf die Fassade aufgemalt.

Mann Mobilia (historische Postkarte, ca. 1972)

Das Möbelhaus kam innen vollständig ohne Tageslicht aus. Als Blackbox wurde es ausschließlich künstlich belichtet. Dunkle, verhältnismäßig niedrige Deckenabhängungen ließen die Möbel wie im eigenen Heim erscheinen. Ein Lichthof im Zentrum der Gebäude, deren Vorbilder in der klassischen Kaufhausarchitektur zu suchen sind, war Werbefläche für saisonale Dekoration und wechselnde Produktinszenierungen. Neu waren auch die langen Öffnungszeiten sowie eine nie dagewesene Sonntagsöffnung – ohne Verkauf, aber mit gastronomischem Angebot. Der Familienausflug, der unter der Woche oder am Samstag in den Wertkauf führte, konnte sonntags zum Möbelanschauen verlängert werden. Alle weiteren Standorte von Wertkauf wurden von nun an mit einem MannMobilia kombiniert.

Wertkauf-Center Sprendlingen, ca. 1977 (Bild: Postkarte)

Was wurde aus …

1989 geriet zum doppelten Wendejahr: Hugo Mann gab offiziell die Federführung des Unternehmens an seinen ältesten Sohn ab. Inoffiziell war es aber immer noch der Patriarch selbst, der die Entscheidungen traf. Im selben Jahr fiel der Eiserne Vorhang, und spätestens mit dem Ende der DDR begann bei westdeutschen Unternehmen die Goldgräberstimmung. So auch bei Wertkauf/MannMobilia. Der Plan sah vor, in der Partnerstadt des Unternehmenssitzes Karlsruhe, Halle an der Saale, ein Einkaufszentrum nach bisherigem Vorbild zu errichten. Hierzu kam es allerdings nicht, da Bürger:innenproteste dafür sorgten, dass das favorisierte Grundstück, auf dem sich bis heute der botanische Garten befindet, nicht verkauft wurde. Damit war die Erweiterung in die neuen Bundesländer für Mann passé. 1991 wurde noch an einer Idee gearbeitet: ein hochpreisiges Edelshoppingcenter nach Vorbild der Breunigercenter um Stuttgart. Aber auch hier blieb es bei den Planungen. 1997 verkaufte Hugo Mann den Wertkaufkonzern für 750 Millionen Mark an die amerikanische Kette Wal Mart, die die Großsupermärkte übernahm. Hinsichtlich der Gestaltung wurden zunächst nur die Firmenlogos getauscht, das sonstige Design sowie die Strukturen im Innern blieben unverändert. Das Konzept wurde allerdings nicht weiterentwickelt. So kam es, dass in den Centern bis etwa 2006 noch der etwas abgenutzte „Wertkaufgeist“ zu spüren war. Als Walmart sich in jenem Jahr aus Deutschland zurückzog, wurden die an die Metro-Gruppe verkauften Märkte in ihrer Fläche deutlich verkleinert und unterteilt. Bislang waren sie meist als “real,-” in Betrieb, derzeit erfolgt die Umflaggung in Kaufland. “Mr. Wertkauf” Hugo Mann ist 2008 im Alter von 95 Jahren gestorben. Jürgen Döhmann starb 2011, sein Nachlass befindet sich heute im Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai) in Karlsruhe.

Wertkauf/MannMobilia Wiesbaden-Schierstein 1970er Jahre (Prospektsca

Titelmotiv: Wertkauf/MannMobilia Wiesbaden-Schierstein 1970er Jahre (Prospektscan: Peter Liptau)

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Bonus-Beitrag

Inhalt

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