von Daniel Bartetzko (22/1)
Die Geschichte des VW Käfer ist auch die Geschichte einer erfolgreichen Entnazifizierung. Denn dieses Auto war in seiner Jugend ein Nazi und hieß „KdF-Wagen“, ehe sich der Name Volkswagen etablierte. Das von Adolf Hitler selbst mit hoher Priorität belegte Projekt zur motorisierten Mobilität startete 1934: Für 990 Mark Kaufpreis sollte ein 100 Stundenkilometer schnelles Automobil mit Platz für vier entwickelt werden. Der leitende Konstrukteur war Ferdinand Porsche, die Finanzierung über ein Sparbuch ebenso wie die Vermarktung sollte die NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ (KDF) organisieren. 1938 legte man nahe dem niedersächsischen Schloss Wolfsburg den Grundstein für ein neues Automobilwerk, um das herum zudem eine Stadt für 100.000 Einwohner entstehen sollte: die „Stadt des KdF-Wagens“. Parallel zu den Werksbauten entlang des Mittellandkanals entstanden bis 1942 die ersten Gebäude des Stadtteils Steimker Berg (Architekt Peter Koller). Während des Kriegs produzierte man in den bis dato fertiggestellten Werkshallen mithilfe von Zwangsarbeiter:innen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen auf dem Chassis des KdF-Wagens Wehrmachts-Kübel und Schwimmwagen. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs lagen die ambitionierten Volksauto-Pläne ebenso wie Teile der Fabrik in Schutt und Asche.
Wolfsburg, VW-Werk, 1945 (Bild: Volkswagen AG)
Dem britischen Major Ivan Hirst (1916-2000) ist es zu verdanken, dass das Werk nach 1945 nicht abgewickelt wurde. Es zählte zu den zahlreichen Betrieben, die nach dem Ende des Deutschen Reichs gemäß „Kontrollratsgesetz Nr. 52“ zunächst in alliierte Treuhänderschaft übergingen. Der 29-jährige Hirst wurde im August 1945 „Senior Resident Officer“, und statt die Lichter zu löschen, erkannte er das Potenzial des sorgsam konstruierten Volkswagens, der auch ohne ideologischen Überbau das Zeug zum Massenmobil hatte. Als Hirsts Job 1949 endete, war VW bereits der größte Automobilproduzent in Deutschland. Und Wolfsburg, wie die „Stadt des KdF-Wagens“ seit 25. Mai 1945 heißt, wuchs rasant. Der Rest ist Automobil-, Wirtschafts- und Weltgeschichte …
Kontinuität siegt
Die optische Identität von VW hat dabei noch bis heute etliche Merkmale aus den Anfangstagen behalten: Logos, Prospekte, die Corporate-Identity (CI) der Autohäuser werden stets abgewandelt und verfeinert, doch nie so umgestellt, dass der etablierte Markenauftritt nicht mehr wiederzuerkennen wäre. Dazu passt auch die lange Karriere des VW Käfers. Bis 1985 ist er in Deutschland lieferbar. Das letzte modernisierte Modell, der VW 1303, erscheint 1972 und sieht in Pop-Farben wie Rallyegelb oder Leuchtorange noch immer recht modern aus. Und erst im Juli 2003 rollt im mexikanischen Puebla der endgültig letzte Käfer vom Band. Der VW-Konzern ist da längst Global-Player und entwickelt modernste Automobile.
Wolfsburg, VW-Werk, 1978 (Bild: Volkswagen AG)
Das Stammwerk liegt dabei noch immer in Wolfsburg, und noch immer produziert man unter dem ikonischen Logo, in dem sich in einem Kreis V und W ineinander verschränken. Die ersten Versionen dieses Markenzeichens von 1938 bis 1945 sind politisch beeinflusst: Anfangs ist der Kreis in Anlehnung ans Symbol der Deutschen Arbeitsfront ein Zahnrad, in Strahlenanordnung umgeben von vier stilisierten Flaggen, die bei naher Betrachtung auch Elemente eines Sonnenrads oder eines Hakenkreuzes sein können. Das nächste Logo gerät martialischer: keine Flaggen mehr, das so deutlicher herausgestellte Zahnrad auch als Antrieb eines Kettenfahrzeugs zu interpretieren, die Buchstaben massiver. Im Sommer 1945 erhält das VW-Zeichen auf Geheiß der Alliierten schließlich die Gestalt, die es im Grunde bis heute hat: Das NS-belastete Zahnrad wird zum Kreis, die verschränkten Buchstaben bleiben. Der Ursprungsentwurf des Logos stammt im Übrigen nicht von einem Werbegrafiker, sondern vom Motorenkonstrukteur Franz Xaver Reimspieß (1900-1979), der dafür eine einmalige Prämienzahlung von 100 Reichsmark erhält.
VW-Logo-Vorgabe, um 1960 (Scan: Händlerprospekt)
So ikonisch wie das Logo ist auch das Werk: Der Klinkerbau in Wolfsburg ist ein Entwurf des Industriearchitekten Emil Rudolf Mewes in Gemeinschaft mit Karl Kohlbecker und dem Duo Fritz Schupp/Martin Kremmer (Zeche Zollverein XII). Die Grundsteinlegung findet am 26. Mai 1938 in Anwesenheit von Adolf Hitler, Ferdinand Porsche und den Architekten Schupp, Kremmer und Mewes statt. In seiner Rede zum Baubeginn nennt Hitler das künftige VW-Werk ein „Symbol des nationalsozialistischen Deutschen Staates, der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft“. Und während die Nationalsozialist:innen das moderne Bauen offiziell verfemen, ist es für die Industriearchitektur willkommen: Die langgezogenen Hallen mit den kammartigen Bürogebäuden folgen einer klassisch-modernen Formensprache. In den mit Klinker verkleideten Querbauten befinden sich überwiegend Büroräume und feinmechanische Einrichtungen.
Die Betonskelett-Werkshallen werden mit Shed- oder Flachdächern ausgeführt. Industriell vorgefertigt im System Dywidag und MAN, können sie innerhalb kurzer Zeit errichtet werden, sodass bis 1940 der südliche Teil des Werks entlang des Mittellandkanals sowie das Kraftwerk fertiggestellt sind. Seine vier imposanten Kamine erhält das Kraftwerk erst in den 1950ern. Auch das von Anfang an vorgesehene Verwaltungshochhaus wird erst von 1957 bis 1959 errichtet – nach Plänen der werkseigenen Hochbauabteilung. Das seinerzeit knapp 20 Jahre alte Werk gab die Gestaltung der jüngeren Bauteile vor: Curtain-Wall-Fassaden waren auf dem Siegeszug, doch das Hochhaus ist in Anlehnung an die Chicago-Moderne noch massiv in Beton und Klinker ausgeführt, die Fensterbänder durch Lisenen gegliedert. Es bildet das optische Gegengewicht zum Kraftwerk am gegenüberliegenden Ende des Areals. Heute steht das von 2013 bis 2016 komplett sanierte Hochhaus ebenso wie das Kraftwerk und die meisten vor 1960 errichteten Anlagen unter Denkmalschutz. Einzig das 7,5 Tonnen schwere VW-Logo auf der Stirnseite zum Mittellandkanal ist neu: Hier wird stets die aktuelle Version montiert.
VW-Käfer-Prospekt, 1951 (Scan: Archiv OLDTIMER MARKT)
Auch in Sachen Vermarktung und Corporate Identity der Autohäuser und Werkstätten ist eine Kontinuität erkennbar, die ihren Ursprung vor 1945 hat: Die Prospekte der VW-Fahrzeuge gestaltet ab 1951 der Grafiker Bernd Reuters. Dessen Art-Déco-Gestaltungen veredelten ab den späten 1920er Jahren unter anderem bereits die Prospekte von Opel, Adler oder der untergegangenen Marke Brennabor. Die schwunghaft-idealisierenden Zeichnungen kontrastieren bereits mit dem deutlich nüchterner gestalteten VW-Logo jener Jahre. Fast zeitgleich mit Reuters beginnt 1952 der Schweizer Künstler und Werbegrafiker Hans Looser seine Arbeit für VW, er gestaltet überwiegend Plakate und Werbeanzeigen und pflegt einen moderneren Pinselstrich. Nach Reuters frühem Tod 1958 sind es zunächst seine Gestaltungen, mit denen VW medial in die 1960er startet.
Der erste Schritt zur architektonischen CI
Die blau-weiße Farbgebung des Logos, der Ersatzteilekartons und der Werbeartikel kleidete auch die Autohäuser und Werkstätten. Wo Bestandsbauten übernommen werden, bleibt sie zunächst auf Schaufenster, Neon-Schriftzüge und Emaille-Schilder beschränkt. Neubauten folgen hingegen einer konsequent modernen Formensprache, haben fast immer weiße Fassaden und markante blaue Bauteile – mal Fenster, mal Werkstatttore, mal Regenrinnen. Wie alle anderen Hersteller auch gibt Volkswagen Broschüren an seine Vertragspartner heraus, in denen Tipps, Anregungen und auch zwingende Gestaltungsvorgaben aufgeführt sind. Einen ersten großen Schritt in Richtung architektonischer CI markiert dann das Jahr 1978, als VW zusammen mit der 1964 bzw. 1969 übernommenen Audi NSU Auto Union AG seine Autohäuser unter das Label VAG stellt: Alle Hauptgebäude erhalten einen umlaufenden mittelblauen Streifen, meist aus Kunststoff, teils auch aufgemalt. Hinzu kommen die Logos von V.A.G, VW und Audi. Geschaffen beziehungsweise überarbeitet hat sie die Markenberatung Wolff Olins, London. Die genaue Bedeutung des Kürzels VAG – wohl „VW-Audi-Gruppe“ – wird übrigens nie endgültig aufgelöst, dass es nur zwei (hochgestellte) Punkte trägt, ist lediglich der Symmetrie geschuldet.
VAG-Gestaltung, um 1981 (Bild: Bernd Klenk)
Die imageprägenden Einschnitte
Zwei tiefgreifende Veränderungen prägen die CI-Historie von VW. Zunächst betrifft dies die Werbung, die ab 1959 in Zusammenarbeit mit der New Yorker Werbeagentur Doyle Dane Bernbach Inc. (DDB) erstellt wird. Sie ist schon nach wenigen Jahren legendär, denn der Konzern entdeckt – mit Hilfestellung der Werber – die Eigenironie. In Anzeigen stehen unterm Foto des Autos nicht mehr die üblichen Lobpreisungen, sondern humorvolle Bemerkungen oder Anspielungen auf die Unterschiede des jeweiligen VW-Modells zur Konkurrenz (und läuft … und läuft … und läuft …). Vor allem der Käfer ist stets der clevere David unter den schwerfälligen Goliaths der automobilen Konkurrenz: „Think small“ fordert die erste Anzeige der Serie die Kunden in den USA auf, wo die Wolfsburger seit 1955 eine Vertretung haben. 1962 startet die Kampagne in Deutschland – zeitgleich mit der Gründung der deutschen DDB in Düsseldorf. Bis heute arbeitet die Volkswagen AG mit DDB beziehungsweise den Nachfolge-Agenturen zusammen.
VW-Werbung um 1963 (Bild: Volkswagen AG)
Der zweite tiefe Einschnitt in der Selbstdarstellung ist architektonischer Art: Schon ab den 1980ern wird seitens des Konzerns verstärkt auf den optischen Auftritt der Autohäuser geachtet, die Mechaniker erhalten Arbeitskleidung mit VAG-Bedruckung, Verkaufspavillons werden bereits in CI-Typenarchitektur mit einem blauen umlaufenden Dachband errichtet. Das Jahr 1992 markiert dann zunächst den Abschied vom Konstrukt VAG, sodass Volkswagen und Audi wieder als eigenständige Marken präsentiert werden. In den Folgejahren sorgt der Konzern dafür, dass die Autohäuser in einem einheitlichen architektonischen Erscheinungsbild daherkommen: Zentrum ist nun ein „Marktplatz“, ein mehrgeschossiger Stahl-Glas-Bau, der zugleich der Haupteingang ist. Durch Fertigbauteile kann er in gewissem Umfang auch in Bestandsbauten eingefügt werden.
Das architektonische Gesamtkonzept beruht dabei auf einem klassischen Handelsort, einen eng von Häusern umgebenen Marktplatz. Fast kurios ist der steinerne Kragen, der die Eingangstüren der ansonsten Hightech-orientierten Glaskästen umgibt. Eine auffallende Ähnlichkeit haben diese „Autohaus-Landmarks“ mit dem 1994 eingeweihten Kunstmuseum Wolfsburg (Schweger und Partner) – getragen wird dieses Haus von der Kunststiftung Volkswagen … Etwa zur gleichen Zeit starten die Planungen für die „Gläserne Manufaktur“ in Dresden, seit 2003 Produktionsstandort von VW. Der Bau nach Plänen von Gunter Henn variiert Merkmale der Autohäuser, weist aber vor allem hin auf das größte Projekt der VW-Architekturoffensive der 1990er: die Autostadt. Eingeweiht am 31. Mai 2000, ist das unmittelbar neben dem Wolfsburger Stammwerk am Mittellandkanal gelegene Ensemble aus Markenpavillons, Neuwagenauslieferung, Museum und Freizeitpark seither der Hauptimageträger des VW-Konzerns. Verantwortlich für die Planung waren wiederum Henn Architekten. Doch die 1990er mit ihrer Opulenz aus Stahl und Glas, aus Hightech- und Spät-PoMo-Architektur sind bei VW schon lange wieder vorbei: Um 2010 erleben die Autohäuser den nächsten Relaunch: Neubauten sind nun streng kubisch. Das Freizeit-, Shop- und Museumsangebot der Autostadt wurde mit der ersten Renovierung verkleinert. Und irgendwie passt dazu auch das gnadenlos schlanke Logo, das VW sich 2019 schaffen lässt. Sind die fetten Jahre vorbei?
Moers, Autohaus in später 1990er-CI (Bild: Autohaus Minrath, CC BY-SA 3.0)
Wolfsburg, Autostadt (Bild: Charles01, CC BY-SA 4.0)
VW-Logo-Historie (Bild: Marta Fernandes Mondo, CC0)
Titelmotiv: Wolfsburg, VW-Markenhochhaus (Bild: Vanellus, CC BY-SA 4.0)
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Bonus-Beitrag
Inhalt
LEITARTIKEL: Der Hang zum Gesamtkunstwerk
Till Schauen über die Kunst der Selbstdarstellung.
FACHBEITRAG: Was läuft bei VW?
Daniel Bartetzko über die Selbstdarstellung eines Weltkonzerns.
FACHBEITRAG: „Wertkauf hilft sparen!“
Peter Liptau über eine Discounter-Idee der 1960er Jahre.
FACHBEITRAG: Die Warenhäuser der DDR
Tobias M. Wolf über eine ostmoderne Bautypologie als CI.
PORTRÄT: System Kirche
Karin Berkemann über ein Betonzelt in Serie.
INTERVIEW: „Wir würden selbst einziehen!“
Das Quelle-Fertighaus im Freilichtmuseum am Kiekeberg – Zofia Durda, Theda Pahl und Stefan Zimmermann im Gespräch.
FOTOSTRECKE: Im siebten Kartoffelhimmel …
Ein Bilder-Rundgang durch die gelb-rote Welt von Maggi.