Interview mit Daniela Spiegel (22/4)

Manchmal liegen die besten Ideen auf der Hand, man muss sie nur sehen. Als die Architekturhistorikerin und Denkmalpflegerin Daniela Spiegel nach einem guten Thema für die Habilitation suchte, kam ihr die Idee ausgerechnet im Urlaub auf Rügen. Umgeben von einer Mischung aus Feriensiedlung und Datschen, die der gebürtigen West-Berlinerin fremd war, dachte sie: Warum gibt es dazu eigentlich noch kein gutes Fachbuch? Das hat sie dann selbst geschrieben – und fand es nicht unangenehm, dass die Recherche oft an Orten stattfand, wo ein See gleich nebenan wartete. moderneREGIONAL sprach mit Daniela Spiegel, welches Konzept von Gemeinschaft hinter der Ferienarchitektur der DDR steckt. Denn, so ihre These, „das war viel mehr als Platte am Meer oder auf dem Berg“.

Rostock-Warnemünde, Hotel Neptum (Bild: historische Postkarte)

Rostock-Warnemünde, Hotel „Neptun“ (1971) (Bild/Titelmotiv: Postkarte, 1980er Jahre)

moderneREGIONAL: Frau Spiegel, machten die Menschen in der DDR anders Urlaub als im Westen?

Daniela Spiegel: In der BRD entschied oft der eigene Geldbeutel darüber, welcher Urlaub erschwinglich war. In der DDR formulierte dagegen der Staat die Rahmenbedingungen – und Reisen in andere Länder waren nur bedingt möglich. Während man im Westen von der exotischen Flucht aus dem gewohnten Umfeld träumte, hatte die DDR-Regierung ein anderes Ziel: Die Menschen sollten sich im eigenen Land erholen – der Urlaub galt nicht als Flucht vor dem Alltag, sondern als dessen Ergänzung. Immerhin war das Recht auf Urlaub von Anfang an in der DDR-Verfassung verankert, da folgte man dem Vorbild der andren sozialistischen Staaten. Im Westen hatten die Werktätigen erst ab den 1960er Jahren einen gesetzlichen Urlaubsanspruch.

mR: Gab es auch Gemeinsamkeiten?

DS: Sicher, wir kennen bestimmte, in der Natur des Menschen angelegte Urlaubstypen. Die einen wollen sich in der freien Zeit am liebsten um gar nichts kümmern. Sie entspannen sich, wenn sie immer wieder an denselben Ort fahren können – mit Vollpension. Für andere ist das die Horrorvorstellung. Sie brauchen unterwegs die Freiheit, das Abenteuer. Und zwischen diesen beiden Polen gibt es noch viele Varianten.

Die DDR hat soziologisch untersuchen lassen, ob sich ein bestimmter Urlaubstyp auch einer bestimmten Gesellschaftsklasse zuweisen lässt. Doch die damalige Tendenz – je mehr Akademiker, desto mehr Suche nach Freiheit – lässt sich natürlich nicht verallgemeinern. Es gibt bis heute das Klischee: Jeder staatstreue DDR-Bürger verreiste mit dem FDGB, alle anderen waren Dissidenten. Aber das ist natürlich Quatsch.

Friedrichsroda, FDGB-Heim "Walter Ulbricht" (Bild: historische Postkarte)

Friedrichsroda, FDGB-Heim „Walter Ulbricht“ (1954) (Bild: Postkarte, wohl Mitte der 1950er Jahre)

mR: Welche Rolle kam dem Feriendienst des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) zu?

DS: Der FDGB-Feriendienst war der größte staatliche Reiseveranstalter, der nicht kommerziell arbeitete, sondern sich als soziales Dienstleistungsunternehmen verstand. Mitglieder des FDGB konnten einen Ferienscheck beantragen, der durch die Gewerkschaftsleitungen der Betriebe vergeben wurde. Nur ein Drittel der Reisekosten musste selbst getragen werden. So zahlte man für zwei Wochen Vollpension in den 1960er Jahren gerade einmal 100 Mark.

Typologisch waren die ersten FDGB-Ferienheime eine Art Mischung aus Hotel und Sanatorium, realisiert zumeist im zeittypischen Stil der Nationalen Traditionen, durchaus mit repräsentativem Anspruch. Dass der Urlaub zuallererst der Erhaltung der Arbeitskraft diente, zeigte sich in den Liegebalkonen, die viele der frühen Bauten prägen. Da saß man nicht im geräumigen Familienzimmer, sondern oft im Zweibettzimmer mit seinem Kollegen. Dafür fielen die Gemeinschaftsräume äußerst großzügig aus: Lesezimmer, Musikzimmer, Gesellschaftszimmer, Kultursaal … Dahinter stand die Idee der Gemeinschaft auf Zeit, die einen eigenen Urlauberrat bilden und regelmäßig Veranstaltungen besuchen sollte. Der Staat sah hier ein probates Instrument, um direkten Zugriff auf seine Arbeiterschaft zu haben.

mR: Das sollte sich rasch ändern, …

DS: … als immer mehr Frauen erwerbstätig wurden. Ein arbeitendes Elternpaar wollte zumindest im Urlaub Zeit mit den Kindern verbringen. Die hätte der FDGB lieber separat im Kinderferienlager gesehen. Doch als sich die Eingaben mehrten, in der Familie gemeinsam in die Ferien zu fahren, begann der FDGB damit, Urlaubersiedlungen zu bauen. Darin bildet sich immer noch ein Gemeinschaftsmodell ab, allerdings ein anderes. Jede Familie hatte jetzt ihren eigenen Bungalow, treffen konnte man sich im Gemeinschaftshaus.

Klink, FDGB-Urlaubersiedlung "Völkerfreundschaft" (1962), Bungalows und Kultur-/Klubhaus (Bild: Postkarte, Detail, 1965)

Klink, FDGB-Urlaubersiedlung „Völkerfreundschaft“ (1962), Bungalows und Kultur-/Klubhaus (Bild: Postkarte, 1965)

mR: Wer baute was, und wer hatte darauf dann Zugriff?

DS: FDGB-Ferienheime wurden weiterhin gebaut und entwickelten sich stilistisch kongruent zum allgemeinen Trend der DDR-Architektur in den 1960er und 1970er Jahren. Für die Urlaubssiedlungen hingegen kooperierte der FDGB mit großen Betrieben. Der FDGB kaufte das Grundstück, die Betriebe erstellten die oft konstruktiv einfach gehaltenen Bungalows vielfach in Eigenleistung. Dafür wurde ihnen dann ein festes Budget an Urlaubsplätzen zugesagt.

Das klingt nach einer Win-win-Situation. Aber tatsächlich wollten die meisten Betriebe sich nicht vom FDGB-Feriendienst vereinnahmen lassen und errichteten lieber eigene Ferieneinrichtungen. Zudem untersagt Walter Ulbricht dem FDGB bald den Bau von Bungalowsiedlungen und propagierte große Lösungen. Die Vorbilder lagen nun in Bulgarien und Rumänien, wo in den 1960er Jahren groß dimensionierte Ferienanlagen entstanden. Ab sofort errichtete der FDGB auch in der DDR eher großmaßstäbliche Bauten. Selbst die Geografen und Naturschützer begrüßten diese Entwicklung, damit die Urlaubslandschaften nicht weiter zersiedelt wurden.

Arendsee, Campingplatz (Bild: historische Postkarte)

Arendsee, Campingplatz (Bild: Postkarte, 1970er/80er Jahre)

mR: Wie sahen die Urlaubsräume jenseits des FDGB aus?

DS: Viele Arbeitgeber – von den Universitäten bis zu den Kirchen – bildeten eigene Strukturen aus. Allgemein war auch Camping in der DDR sehr erfolgreich, denn es war leicht zu organisieren. Und dann gab es vor allem die privaten Netzwerke – der eine hatte Verwandtschaft an der Ostsee, die andere eine Datsche in Thüringen und man tauschte untereinander. Aber architektonisch drückte sich das nicht weiter aus.

mR: Hat sich die Urlaubskultur in der DDR mit der Machtübergabe an Erich Honecker nochmals gewandelt?

DS: Honecker sah die Kapazitätsprobleme im Bausektor, die sich auch im Tourismus niederschlugen. Daher wurden utopische Planungen wie die einer riesigen Ferienanlage auf der Schaabe in Rügen nicht weiterverfolgt. Stattdessen verfolgte er das Konzept, bestehende Strukturen zu erweitern oder zu ergänzen, was wesentlich einfacher zu realisieren war. Und als erste öffentlichkeitswirksame Maßnahme gleich nach dem Machtwechsel bestimmte das Politbüro im September 1971: 80 Prozent der Kapazitäten von drei Valuta-Hotels, darunter auch das HO-Hotel „Neptun“ in Warnemünde, seien für den Feriendienst des FDGB bereitzustellen.

Finsterbergen, FDGB-Ferienheim „Wilhelm Pieck“ (1976) (Bild: Postkarte, 1982)

Finsterbergen, FDGB-Ferienheim „Wilhelm Pieck“ (1976) (Bild: Postkarte, 1982)

moderneREGIONAL: Wenn die Reiseziele in der DDR eingeschränkt waren, bildeten die Urlauber:innen stattdessen untereinander eine intensivere Gemeinschaft aus?

DS: Das lässt sich schwer beantworten. Aber es ist zu beobachten, dass die Ferienheime in den 1970er und 1980er Jahren immer mehr zu Hotels wurden. Die politische Parole lautete nun: „Lasst den Arbeiter schlafen!“ Die immer individuelleren Freizeitangebote – vom Pool bis zur Minigolfanlage – ähnelten sich in Ost und West, ebenso die Tendenzen in der Ferienarchitektur.

mR: Was hat Sie bei Ihrer Untersuchung der DDR-Ferienarchitektur am meisten überrascht?

DS: Dass der interne Schriftverkehr belegt, wie hartnäckig die Planer in ihrer Nische darum kämpften, eine ansprechende Ferienarchitektur umzusetzen, die sich im europäischen Vergleich behaupten konnte.

Das Gespräch führte Karin Berkemann.

Suhl, VdgB/FDGB-Ferienheim „Ringberhaus“ (1979), Ansicht von Süd (Bild: Postkarte, 1986)

Suhl, VdgB-/FDGB-Ferienheim „Ringberhaus“ (1979), Ansicht von Süd (Bild: Postkarte, 1986)

Zur Person

Prof. Dr. Daniela Spiegel studierte Kunstwissenschaft, Klassische Archäologie und Italienische Literaturwissenschaft sowie Denkmalpflege. In ihrer Promotion konzentrierte sie sich auf die Neubesiedlung der pontinischen Sümpfe im faschistischen Italien, ihre Habilitation erforschte sie die Urlaubsarchitektur der DDR. Seit 2019 lehrt sie als Professorin für Baugeschichte und Denkmalpflege an der Hochschule Anhalt.

Zum Weiterlesen

Spiegel, Daniela, Urlaubs(t)räume des Sozialismus. Zur Geschichte der Ferienarchitektur in der DDR, Berlin 2020, Wasmuth Verlag, 28 x 22 cm, 320 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ISBN 978 3 8030 2105 2.

Titelmotiv: Rostock-Warnemünde, Hotel „Neptun“ (1971) (Bild: Postkarte, 1980er Jahre)


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