ausgewählt und erläutert von Elissa Rosenberg (22/4)
Ebenso wie der Kibbuz in der Architekturmoderne als herausragendes Experimentierfeld diente, so war er auch ein Laboratorium der modernistischen Landschaft. Für Shmuel Bickels, von 1951 bis 1975 Chefarchitekt des Technischen Büros der Vereinigten Kibbuz-Bewegung, verlangte die klassenlose Gesellschaft auch eine neue Form der Landschaft: “Der Garten […] ist kein ‘Schaugarten und kein öffentlicher Park oder eine Kulturlandschaft am Rande der Stadt, sondern ein Garten, in dem der Mensch lebt, arbeitet und sich erholt. Es ist ein Garten für den ganzen Tag.“ Details aus seinen Landschaftsskizzen – heute verwahrt im Yad Tabenkin Archive in Ramat Gan – machen sichtbar, wie er Ästhetik und Gemeinschaft zusammen dachte.
Um die harmonische Beziehung zwischen Architektur und Landschaft herauszuarbeiten, kombinierte Bickels gerne zwei Ansichten: Mit dem Grundriss erforschte er das Verhältnis der Häuser zu Straßen, Freiflächen, Topografie und Ansichten der umgebenden Landschaft. Die perspektivischen Skizzen hingegen betonen die sicht- und erfahrbare Dimension der Landschaft.
In drei Diagrammskizzen, 1960 in der Gartenbauzeitschrift “Hasadeh Le-Gan Ve-lanof” veröffentlicht, veranschaulichte Bickels die Entwicklung des Kibbuz: 1) Zunächst wurden alle Nutzungen deutlich voneinander getrennt. 2) Später verband man den zentralen Freiraum stärker mit den Gärten der Bewohner:innen. 3) Schließlich durchdrangen sich Gebäude und Freiflächen.
Um die verschachtelte Beziehung von Kibbuz und Region darzustellen, legte Bickels konzentrische Ringe über eine Vogelperspektive. Auch bei anderen Zeichnungen wählte er die Draufsicht, um das Miteinander von ästhetischen und sozialen Belangen zu unterstreichen.
Bickels betonte, der Kibbuz-Garten sei “nicht nur zweckmäßig […] er muss als unverwechselbarer formaler Rahmen dienen, visuell und erfahrungsmäßig.”
Gebäude und Landschaft integrierte Bickels in ein einheitliches Konzept. Nicht mehr Parzelle oder Grundstücksgrenze sollten die Planung bestimmen, sondern eine neue Beziehung zwischen öffentlichem und privatem Raum.
Den Kibbuz verortete Bickels in seiner regionalen Landschaft. Ähnlich hatte schon der kanadische Landschaftsplaner Christopher Tunnard gefordert, dass der “Garten in die Landschaft gebracht werden muss”.
Alle Zeichnungen: Shmuel Bickels, Tintenzeichnungen, Bilder: Yad Tabenkin Archive, Ramat Gan, Israel. Das Zitat in der Einleitung ist entnommen aus: Bickels, Shmuel, Halacha le’Ma’aseh, Kibbutz Meuchad Planning Division, Tel Aviv, 1976.
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FOTOSTRECKE: “Ein Garten für den ganzen Tag”
Elissa Rosenberg über den Kibbuz-Garten, der Mensch und Landschaft zu einer neuen Gemeinschaft formen sollte.