von Peter Huber (19/1)

Die Schwarzwälder Firma Faller legt aktuell in ihrer Klassik-Serie das Modell B-217 neu auf: eine Shell-Tankstation Typ ODZ 1, die erstmals 1958 erschien. Damit kam der Bausatz nur fünf Jahre nach seinem großen Vorbild, der Shell-Typentankstelle, auf den Markt. Die Wiederauflage dieses seit rund 20 Jahren nicht mehr produzierten Faller-Modells ist wohl seinem 60-jährigen Jubiläum geschuldet, zeigt aber auch die neue Wertschätzung von Systemtankstellen der Nachkriegszeit.

Die Muschel als Marke

Shell-Zapfsäulen (Bild: Mikes Photos, via pexels.com)

Shell-Zapfsäulen (Bild: Mikes Photos, via pexels.com)

Das westdeutsche Wirtschaftswunder und die damit einhergehende Massenmobilität erforderten eine flächendeckende Treibstoffversorgung. Als die Alliierten den Treibstoffverkauf 1951 freigaben, konnten die erstarkenden Mineralölkonzerne ein engmaschiges Netz von Kleintankstellen aufbauen. Dafür entwickelten sie standardisierte Typen-Bauten, die einfach zu errichten und problemlos zu erweitern waren. Bei dieser Bauweise wurden Einzelmodule frei miteinander kombiniert.

Die Standorte der neuen Tankstellen wurden häufig per öffentlichem Beschluss an Ortsrändern oder Ausfallstraßen festgelegt. In diesen Bereichen kam es daher schnell zu einer Ansammlung von Stationen verschiedenster Mineralölanbieter. Um sich von den Mitbewerbern abzusetzen, entwickelten die einzelnen Konzerne ein auffälliges Corporate Design. Sie entwarfen weithin sichtbare Logos mit prägnanten Schriftzügen, Unternehmensfarben und Firmensymbolen. Seit dem späten 19. Jahrhundert nutzte Shell die Kammmuschel als Markenzeichen. Das gelb-rote Logo wurde seit  den 1930er Jahren verwendet, später weiter angepasst und bis heute beibehalten. 1958 zeigte Shell eine gelbe Muschel mit rotem Firmenschriftzug – als weithin sichtbare Leuchtreklame auf dem Dach des Kassenhauses.

“Vollkommene Bauformen”

Shell-Tankstelle Typ Kiosk, Schaubild von 1953 (Bild: Shell AG)

Shell-Tankstelle Typ Kiosk, Schaubild von 1953 (Bild: Shell AG)

Die Deutsche Shell-Aktiengesellschaft präsentierte im Mai 1953 ihre Tankstellen-Entwürfe in einer Broschüre. Im Vorwort betonte der Konzern seinen hohen architektonischen Anspruch. Man wollte “vollkommene Bauformen” erschaffen, “die sich harmonisch in das Bild unserer Städte und Landschaften einordnen”. Shell entwarf in dieser Zeit zwei Kiosk-Typen und eine Produktlinie für Tankstationen. Die Kiosk-Typen waren für Standorte gedacht, an denen Werkstatt und Pflegehalle in bestehende Gebäude intergiert werden sollten und der Kiosk mit Tankinsel frei platziert werden konnte. Die größeren Stationen der Typen ODK und ODZ waren eigenständige Tankstellen mit Tankinsel, Verkaufsraum und daran ansetzbaren Pflegehallen. Als mittelgroße Station mit Verkaufsraum und Pflegehalle sollte die ODZ vollständig in einem Zug fertiggestellt werden. Die ODK hingegen wollte man sukzessive nach einem vorgegebenen Baukastensystem weiterentwickeln und in verschiedenen Varianten sowie Größen ausbauen.

Die Shell-ODK

Shell-Tankstelle Typ ODK, Schaubild von 1953 (Bild: Shell AG)

Shell-Tankstelle Typ ODK, Schaubild von 1953 (Bild: Shell AG)

Die Grundausstattung einer ODK-Station enthielt nur alle unbedingt erforderlichen Räume. Im vorderen Bereich befand sich der umseitig verglaste Verkaufs- und Kundenraum. Der Bau wurde auf einem trapezförmigen, nach vorne schmäler werdenden Grundriss errichtet und besaß abgerundete Ecken. An den Verkaufsraum wurde nach hinten ein massiver Anbau angesetzt, der einen Magazin- und Lagerbereich sowie eine von außen zugängliche WC-Anlage enthielt. Die Heizung und der Kompressor konnten entweder im Magazinraum oder aber auch in einem optionalen Keller unter dem Anbau untergebracht werden.

Die Varianten ODK I und II

Shell-Tankstelle Typ ODK I und I, Schaubilder von 1953 (Bilder: Shell AG)

Shell-Tankstelle Typ ODK I und I, Schaubilder von 1953 (Bilder: Shell AG)

Die ODK-Grundform konnte durch eine Pflegehalle mit Wagenhebestand, Geräteschrank und Personalumkleiden zum Typ ODK I erweitert werden. In folgenden Ausbauschritten ließ sich die Tankstelle zur ODK II in verschiedenen Varianten fertig ausbauen. Dabei wurde eine zweite Pflegehalle ergänzt und in die bestehende Pflegehalle ein Ölraum, ein Akku-Laderaum sowie ein Personal-WC einbezogen. Der Magazinbau erhielt zusätzlich einen Kundenwaschraum sowie eine Lagererweiterung. Nachdem die Erweiterungsbauten ausschließlich am rückwärtigen Magazinbau angesetzt wurden, blieb der dreiseitig verglaste Verkaufsraum bei allen Varianten immer freistehend.

Bei den Tankstellentwürfen der frühen 1950er Jahre wollten die Konzerne aus Kostengründen auf eine Überdachung der Tankinsel verzichten, so auch auf den Shell-Schaubildern. Aufgrund des nachdrücklichen Einspruchs von Tankwarten und Kunden widmeten sich die Ölfirmen aber fortan mit größter Sorgfalt der Gestaltung der Schutzdächer. Viele Tankstellen erhielten nachträglich Schutzdächer, häufig freistehende Schwingendächer.

Vom Vorbild der Faller “ODZ 1”

Faller-Modell B-217 “Shell ODZ 1”, Bauanleitung (Bild: Faller)

Faller-Modell B-217 “Shell ODZ 1”, Bauanleitung (Bilder: Faller)

Die Pflegehallen aller Shell-Tankstellentypen wurden innen und außen mit leicht zu reinigenden Fliesen verkleidet, weil die Konzerne hier die Sauberkeit und Sterilität von Laborgebäuden anstrebten. Auch auf den Schaubildern von 1953 sind Magazinanbau und Pflegehalle mit Außenfliesen ausgestattet. Die Glasfassaden der Kundenräume wurden 1953 als senkrecht stehende Scheiben mit abgerundeten Eckscheiben dargestellt. Wohl ab 1958 etablierte man ein neues Fassadensystem mit einer sich nach oben aufweitenden Verglasung. Anstelle der rundbogigen Eckgläser wurden fortan die polygonalen Ecken mit stumpf gestoßenen, trapezförmigen Glasscheiben geschlossen.

Das Faller-Modell trägt den Namen “Tankstelle Shell ODZ 1”. Dieser Typ einer mittleren Station besitzt in etwa den Ausbaustand einer ODK I. Laut dem Plan, der dem Bausatz beigelegt ist, wird die Tankstelle von der Straße durch einen Grünstreifen abgesetzt. Auf dem dadurch entstehenden Vorplatz befindet sich eine beidseitig anfahrbare Tankinsel. Es folgt die Tankstelle mit einem zur Insel orientierten, verglasten Kundenraum, einem daran anschließenden Massivbau mit Toiletten und Dienstraum sowie einer Pflegehalle mit Waschraum. Damit entspricht das Modell im Wesentlichen dem Schaubild der ODK I der Shell-Broschüre von 1953: Magazinanbau und die Pflegehalle erhielten geflieste Außenwände. Beim Verkaufsraum wurde eine senkrecht stehende Glasfassade mit abgerundeten Ecken verwendet. Allerdings hat die Glasfassade an ihrer Frontseite nur drei und nicht, wie von Shell geplant, vier Fensterachsen. Auch der Grundriss des Verkaufsraums entspricht nicht dem Vorschlag von Shell: Während sich der trapezförmige Grundriss bei Shell nach vorne hin verjüngt, weitet er sich im Faller-Modell auf.

Das Ende der Kleintankstelle?

Ingelfingen, ehemalige Shell-ODZ (BIld: Peter Huber)

Ingelfingen, ehemalige Shell-ODZ (BIld: Peter Huber)

Mit den Ölkrisen zwischen 1969 und 1979 brach der Automobilabsatz ein, und der Treibstoffpreis erreichte ein spürbar höheres Niveau. Um konkurrenzfähig zu bleiben, setzten die Konzerne auf weniger Großtankstellen mit deutlich mehr Zapfanlagen, Selbstbedienung und großen Verkaufsläden. Zudem machten höhere Umweltauflagen die kleineren Stationen immer unrentabler. Viele der nachkriegszeitlichen Typentankstellen sind dadurch von Leerstand, Abbruch und Umnutzung bedroht. In der Bevölkerung nimmt jedoch die Wertschätzung für die Nachkriegsmoderne stetig zu. Besonders die eleganten Kleintankstellen mit ihren expressiven Flugdächern und ihrem modernen Erscheinungsbild werden als ästhetisch empfunden, wie u. a. die Neuauflage des Faller-Modells B-217 zeigt. Die Tankstationen der Nachkriegszeit werden inzwischen auch verkehrs- und sozialgeschichtlich erforscht, die Systemtankstellen immer öfter zum Gegenstand der Denkmalpflege. In Baden-Württemberg erfolgte bisher zwar noch keine flächendeckende Erfassung dieser Baugattung, aber inzwischen stehen neun Typen-Tankstellen unter Denkmalschutz. Die instandgesetzte Esso-System-Tankstelle 50-1 in Tettnang wurde 2016 mit dem Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet und kann Vorbild für weitere Sanierungen sein.

Literatur und Quellen

Kleinmanns, Joachim, Super, voll! Kleine Kulturgeschichte der Tankstelle, Marburg 2002.

Kleinmanns, Joachim, Bauen im Umfeld des Autos. Ein Jahrhundert Tankstellen, in: Jahrbuch für Hausforschung 46, 1999, S. 315-340.

Rossner, Christiane, Eine kleine Kulturgeschichte der Tankstelle, in: Monumente 2018.

Shell Stationen. Schaubilder und Grundrisse, hg. von der Shell AG, Hamburg 1953.

Vahlefeld, Rolf/Jacques, Friedrich, Garagen- und Tankstellenbauten, München 1953.

Faller-Modell B-217 "Tankstelle" (Bild: Faller)

Titelmotiv: Faller-Modell B-217 “Tankstelle” (Bild: Faller)



Download

Inhalt

Insel mit Zapfsäule

Insel mit Zapfsäule

LEITARTIKEL: Till Schauen über neue Treffpunkte.

Das Caltex-System

Das Caltex-System

FACHBEITRAG: Ulrich Biene unter frei schwingenden Dächern.

Die Shell-ODK und -ODZ

Die Shell-ODK und -ODZ

FACHBEITRAG: Peter Huber über moderne Tankstellen-Typen.

Die Minol-Story

Die Minol-Story

FACHBEITRAG: Daniel Bartetzko über eine ostdeutsche Kultmarke.

Die Autobahnkapelle

Die Autobahnkapelle

PORTRÄT: Karin Berkemann macht unterwegs kurz Pause.

"Dem Abriss geweiht"

“Dem Abriss geweiht”

INTERVIEW: Joachim Gies und sein Foto-Projekt “Abgetankt”.

Best of #schönetankstelle

Best of #schönetankstelle

FOTOSTRECKE: Unsere LeserInnen haben zur Kamera gegriffen.

Anmelden

Registrieren

Passwort zurücksetzen

Bitte gib deinen Benutzernamen oder deine E-Mail-Adresse an. Du erhältst anschließend einen Link zur Erstellung eines neuen Passworts per E-Mail.