von Daniel Bartetzko (19/1)
Der Minol-Pirol zählt heute zu den großen Unbekannten. An den etwa gleichaltrigen „Tiger im Tank“ erinnern sich die meisten Automobilisten hingegen noch bestens. Das Maskottchen des Esso-Konzerns war mit Unterbrechungen bis Ende der 1990er Jahre als Werbeträger unterwegs und taucht immer noch gelegentlich auf. Der Pirol aber ist heute eher über 40-Jährigen mit sozialistisch geprägter Herkunft vertraut: Ab Anfang der 1960er war der seltene Vogel die Werbefigur des VEB Minol, dem zentralen Kraftstoff-Lieferanten in der DDR. Und auch, wenn er fast vergessen ist, fliegt der Pirol bis heute: Vier Minol-Tankstellen gibt es Anfang 2019 noch immer. In Leipzig, Zeitz, Heidenau und Wesenberg, mithin alle im Osten der Republik. 1989 waren es 1.250.
„Deutsches Benzin“
Frankfurt am Main, Leuna-Tankstelle (Bild: historische Abbildung)
Die Frühgeschichte der DDR-Marke ist noch gesamtdeutsch: Die in Frankfurt am Main ansässige I. G. Farben ließ ab 1927 Automobilkraftstoff im neuen sächsischen Leuna-Werk produzieren. Vertrieben wurde er bis 1945 von der konzerneigenen Berliner Gasolin-AG unter dem Markennamen Leuna (Untertitel: „Deutsches Benzin“). Nach Kriegsende entstand daraus in Westdeutschland – unter weitgehender Beibehaltung des bisherigen Markenauftritts – die Marke Gasolin mit Sitz in Hannover. In der Sowjetischen Besatzungszone wurde hingegen am 1. Januar 1949 die Deutsche Kraftstoff- und Mineralölzentrale (DKMZ) gegründet, die den Markennamen Minol einführte; ein Kunstwort aus Mineralöl und Oleum. 1956 entstand schließlich der Monopolist „VEB Kombinat Minol“. Wer in der DDR Kraftstoff kaufte, war bis 1989 automatisch Kunde bei den rot-gelb gestalteten Tankstellen. Produziert wurde das Benzin bis zum Ende der DDR weiterhin in den Leunawerken.
Farbenfroh
„Tankstellenkarte der DDR“ (Bild: historische Vorlage)
Anders als in der Bundesrepublik, wo konkurrierende, mehrheitlich internationale Mineralölkonzerne mittels Corporate Identity das eigene Profil zu etablierten suchten, war das Werben um Kunden in der DDR faktisch überflüssig. Dennoch war Minol natürlich um ein positives Image bemüht – und zumindest in den Grundzügen um einen Wiedererkennungseffekt. Das bewusst farbstarke Design von Schildern, Zapfsäulen sowie den firmeneigenen Tankwagen war ein wichtiger Indentitätsfaktor. Hinzu kamen nach westlichem Vorbild eine Kundenzeitschrift – der „Minol-Ratgeber“ – mit Tipps rund um Auto und Zweirad sowie Werbeutensilien wie Kinder-Malbücher, Mützen, Putztücher. Und eben der Minol-Pirol, der als Figur in diversen Größen und Ausführungen auch einige Kinder im Westen begeisterte. An den Intertank-Raststätten der Transitautobahnen konnte man ihn zeitweise gegen harte Westwährung kaufen …
Die meisten gelb-roten Minol-Tankstellen verschwanden nach 1989 schnell, der Kapitalismus hielt nach der Grenzöffnung mit Rasanz Einzug: Die westlichen Konzerne eröffneten im Goldgräberrausch moderne Großtankstellen heutiger Prägung. Anfang der 1990er waren die hell erleuchteten Benzintempel, oft noch von ruinösen Altbauten umgeben, die Botschafter der neuen, bunten Konsumwelt. Zunächst schwamm auch die im Osten noch immer klangvolle Marke Minol mit: Der volkseigene Betrieb wurde 1990 zur Aktiengesellschaft umstrukturiert, und innerhalb von drei Jahren entstanden rund 200 moderne Tankstellen. Alle in neuem Outfit, denn der Shell-Konzern hält die Rechte am gelb-roten Markenauftritt, sodass Minol seit 1990 postmodern lila-violett-gelb daherkommt. Im Januar 1993 übernahm (begleitet von einem Schmiergeld-Skandal) der französische Mineralölkonzern Elf Aquitaine die Minol AG und ließ die Marke in den Folgejahren allmählich verschwinden.
Auf Spurensuche
Gotha, Minol-Tankstelle vor dem ehemaligen Hotel “Thüringer Hof” (Bild: Felix Ol, CC BY SA 2.0, August 1989)
Doch was ist vom einstigen Riesen geblieben? Die Spurensuche gestaltet sich vielfältig und führt teils in die Frühzeit des Kraftverkehrs – inklusive Relikten mancher lange erloschener Marken. 1949 wurden in der DDR sämtliche noch betriebsbereiten Tankstellen vereinheitlicht. Die nun zu Minol gleichgeschalteten Stationen mussten abgesehen vom festgelegten Design der Zapfsäulen, Logos und Werbemittel baulich keinem vorgegebenen Konzept folgen. Neubauten waren leichter zu erkennen: Ihre Fassaden strahlten weiß, Sockel und Dachränder wurden ab den 1960ern rot-gelb gehalten. Nicht alle Altbauten konnten dem sanften Corporate Design angepasst werden, und so gab es noch in den 1980ern in manch städtischem Hinterhof oder vor ländlichen Fachwerkscheunen eine winzige Minol-Station.
Bis zum Minol-Verkauf 1993 kam das Tanken in den neuen Bundesländern so mitunter einer Zeitreise gleich. Wo im Westen selbst mittelgroße Zapfstationen der 1970er schon wieder verschwanden, waren in der Ex-DDR viele Gebäude aus den 1920ern kaum verändert in Betrieb. Einige haben bis heute überlebt, so etwa der 1925 fertiggestellte Rundbau an der Bautzner Straße in Dresden, der noch immer Tankstelle ist. Die überdachte Station in Mirow in Mecklenburg-Vorpommern (um 1930) kommt mit ihrem Satteldach eher dem NS-Autobahnprogramm oder dem Heimatschutzstil nahe. An der Berliner Sonnenallee verfällt seit Anfang der 1990er Jahre eine 1938 für die Marke „Standard“ (Esso) errichtete Tankstelle. Trivia: Von diesem Gebäude gibt es einen Papierbausatz, sodass der geneigte Bastler es zumindest in verkleinertem Maßstab retten kann … Besser steht es um die einstige „Naphta“-Tankstelle mit Autowerkstatt an der Glienicker Brücke in Berlin (1937/38, Otto von Estorff/Gerhard Winkler): Sie ist denkmalgerecht saniert und beherbergt heute ein Restaurant samt Oldtimer-Museum.
„Stets dienstbereit“
Die Minol-Pirol-Werbefiguren (Bild: Copyright DDR-Museum Berlin)
Die 1927 eröffnete erste Leuna-Tankstelle, Ausgangspunkt auch der Minol-Geschichte, existiert ebenfalls noch. Das 1920 zunächst als Werkstatt errichtete Gebäude steht nahe dem Haupttor des einstigen Werksgeländes. Nach Kriegsschäden wurde es um 1950 als Minol-Tankstelle wiedereröffnet, nach der Wiedervereinigung unter Elf- und später Total-Logo bis Oktober 2007 betrieben. Es folgten Zwischennutzungen und Leerstand. Mittlerweile ist der eher klassisch gehaltene Bau mit dem markanten Mäander oberhalb des Erdgeschosses saniert und um einen Anbau erweitert. Sprit gibt’s hier nicht mehr, stattdessen residieren nun eine Krankenkasse und eine Bäckerei-Filliale in den ehemaligen Werkstatträumen.
Seit 2000 ist der Elf-Aquitaine-Nachfolger Total S.A. Markenrechtsinhaber. Und damit jene Rechte nicht erlöschen, wurden ab 2003 wieder die eingangs erwähnten Tankstellen in Minol zurückbenannt. Gerade feierte die Marke in kleinem Kreise 70. Geburtstag und soll nach Aussage von Total auch in Zukunft als Teil des Konzernerbes bestand haben. Also heißt es auch in weiterhin zumindest an einigen ausgewählten Tankstellen: „Stets dienstbereit zu ihrem Wohl/ist immer der Minol-Pirol“.
Titelmotiv: Der Minol-Pirol (Bild: historische Vorlage)
Leuna-Tankstelle (Bild: Bundesarchiv Bild_111-098-075, 1936, CC BY SA 3.0)
Friedersdorf, ehemalige Tankstelle (Bild: Godwin T. Petermann)
Minol-Werbung, um 1960 (Bild: historische Vorlage)
Leuna, Tankstelle (Bild: Olaf Meister, CC BY SA 4.0)
Görlitz, Mino-Emblem bei ehemaliger Tankstelle (Bild: Oberlausitzerin64, CC BY SA 4.0, 2014)
Minol-Werbung, um 1960 (Bild: historische Vorlage, Neues Deutschland)
Chemnitz, ehemalige Minol-Tankstelle (Bild: Bigg(g)er, CC BY SA 3.0, 2012)
Dresden, Total-Tankstelle (Bild: Z-thomas, CC BY 3.0)
Vero-Tankstelle, um 1980 (Bild: Vero-Verpackung)
Berlin-Köpenick, Minol-Tankstelle in der Lindenstraße (Bild: Bundesarchiv B 145 Bild F089857-0006, Foto: Joachim Thurn, 23. Oktober 1991, CC BY SA 3.0)
Leipzig, Minol-Tankstelle (Bild Olaf Meister, CC BY SA 3.0, 2009)
Berlin-Sonnenallee, ehemalige Tankstelle (Bild: Godwin, CC BY SA 4.0, 2017)
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Inhalt
Insel mit Zapfsäule
LEITARTIKEL: Till Schauen über neue Treffpunkte.
Das Caltex-System
FACHBEITRAG: Ulrich Biene unter frei schwingenden Dächern.
Die Shell-ODK und -ODZ
FACHBEITRAG: Peter Huber über moderne Tankstellen-Typen.
Die Minol-Story
FACHBEITRAG: Daniel Bartetzko über eine ostdeutsche Kultmarke.
Die Autobahnkapelle
PORTRÄT: Karin Berkemann macht unterwegs kurz Pause.
„Dem Abriss geweiht“
INTERVIEW: Joachim Gies und sein Foto-Projekt „Abgetankt“.
Best of #schönetankstelle
FOTOSTRECKE: Unsere LeserInnen haben zur Kamera gegriffen.