Text von Klaus Jan Philipp mit Fotografien von Thomas Fütterer (20/4)
Die Kreissparkasse Ludwigsburg gehört zu den größten Sparkassen Deutschlands. Dies erweist sich auch an ihrem Hauptgebäude am zentral gelegenen Schillerplatz der ehemaligen, auf Schachbrettraster errichteten Garnisonsstadt. Drei Gebäude sind zu einem – fast die gesamte Platzkante belegenden – Komplex zusammengefasst: Der 1953 eingeweihte (ursprünglich) mit Muschelkalkplatten bekleidete Rasterbau und der 1974 fertiggestellte Erweiterungsbau mit rotem Backsteinsockel, brutalistischen Sichtbetonstützen, Natursteinplatten und vorgesetzter Aluminiumkonstruktion für die Rollladen markieren den Beginn. 1997 folgte der die beiden Altbauten verbindende Glasbau nach dem Entwurf des Architekturbüros Rümelin/Schoch/Zabel.
Ludwigsburg, Kreissparkasse (Bild: Kreissparkasse Ludwigsburg, Zustand, bevor die Fassade des links zu sehenden 1950er-Jahre-Baus gestrichen wurde)
Stilgeschichte auf dichtem Raum
Idealtypisch lässt sich hier die Geschichte des Sparkassenbaus auf dichtem Raum nachvollziehen. Der erste Bau und seine späteren Erweiterungen folgen jeweils dem typischen Zeitstil in Konstruktion, Formensprache und Materialität: die Rasterfassade der 1950er Jahre, die für die 1970er Jahre charakteristische, feingliedrige, vor die Fassade gesetzte Verschattung und die ebenso typischen Abkantungen im 45-Grad-Winkel. Für die 1990er Jahre steht der Glasbau mit seinen mit Argon gefüllten Isoliergläsern für die beheizte Stahlfassaden-Konstruktion, der auf die verschärfte Wärmeschutzverordnung von 1994 reagiert. Die Bauten sind jedoch nicht nur Kinder ihrer jeweiligen Zeit, sondern präsentieren auch das sich wandelnde Selbstverständnis, wie eine Bank aussehen müsse.
Grundsätzlich soll eine Bank Solidität vermitteln. Wem man sein Geld aushändigt oder von wem man sich Geld leiht, der muss vertrauenswürdig, eher konservativ sein. Dies sollte sich auch in der Architektur ausdrücken: Das Bankgebäude will selbst einen Wert darstellen, wie es die Muschelkalkfassade des 1950er-Jahre-Baus tat, der für Haltung der Adenauer-Ära steht – „Keine Experimente“. Vergleichbare Solidität, vielleicht ein wenig frischer, zeigt auch der Bau aus den 1970er Jahren. Der konservative Naturstein und das moderne Material Aluminium belegen eine gewisse Offenheit gegenüber neuen Ideen. Hier zeigt sich die einer Bank wie ihrem Gebäude inne liegende Dialektik. Sie soll ebenso Sicherheit vermitteln wie Offenheit für neue, gewinnbringende Finanzprodukte zum Wohle des Kunden und der Bank! Dieses sowohl vertrauenswürdige als auch risikofreudige Agieren ist freilich nicht einfach zu finden, wenn das Gebäude und seine Architektur einen gewissen Anspruch erfüllen, also auch gute Architektur sein will.
Ludwigsburg, Kreissparkasse (Bild: Thomas Fütterer, 2020)
Verantwortlich für den Glasbau der Kreissparkasse war Klaus-Jürgen Zabel (* 1928). Er verteidigte sein Werk am 26. März 1998 vor dem ersten Ludwigsburger Architekturquartett, das sich schonungslos den zu besprechenden Bauten zuwandte. Von 1946 bis 1951 studierte er Architektur an der Technischen Hochschule Stuttgart und arbeitete eng zusammen mit Prof. Hans Volkart, einem Schüler von Paul Bonatz. 1959 wurde Zabel mit einer Arbeit über Bibliotheksbau zum Dr.-Ing. promoviert. Dies steht in Zusammenhang mit seiner Beteiligung an der Universitätsbibliothek Stuttgart, deren Projektleiter er unter Volkart war.
Der Schöpfer des Glasbaus
1972 wurde Zabel zum Professor für Baukonstruktion und Entwerfen an die Hochschule für Technik Stuttgart berufen, deren Rektor er von 1985 bis 1993 war. Neben der Lehre und seinem Büro engagierte er sich auch berufspolitisch und leitete den BDA Baden-Württemberg von 1986 bis 1990 als Landesvorsitzender. Recht erfolgreich arbeitete auch sein Architekturbüro, das er ab den 1980er Jahren mit Rolf Rümelin und weiteren Partnern führte.
Der Erweiterungsbau der Kreissparkasse Ludwigsburg ist ohne Zweifel Zabels auffälligstes Werk: Der Glasbau besteht über einem eher konventionellen, ebenfalls gläsernen Erdgeschoss mit zentral angeordneter Drehtür, die durch das auskragende Vordach als metallener Zylinder durchgesteckt ist, aus einer großen ein- und ausschwingenden Glasfront. Diese ondulierte Wand, durch die drei Geschossdecken hindurch scheinen, verleiht dem Gebäude eine offene einladende Bewegung. Die Bank soll keine Festung sein, sondern ist ein transparenter Ort der Kommunikation.
Ludwigsburg, Kreissparkasse (Bild: Thomas Fütterer, 2020)
Außen: dynamisch
Die in der Ludwigsburger Glasfront vorbereitete Dynamik wird verstärkt und zugleich konterkariert durch Röhren, die schon im Eingangsmotiv angedeutet sind. Aggressiv wie ein Fremdkörper schiebt sich eine horizontale zum gegenüberliegenden Bau verlaufende Röhre vor die Fassade. Zwei weitere Röhren stehen als verglaste Fahrstühle vertikal vor der tiefen Seite der Fassade, die dann nach einem weiteren Richtungswechsel in die gerasterte und klare Aluminium-Fassade des Baus zur Schulgasse mündet. Die horizontale Röhre dockt auf dem Niveau des ersten Obergeschosses an die Fassade an, schiebt sich jedoch noch ein undefiniertes Stück weiter nach vorn. So erscheint sie wie ein zufällig abgeschnittenes Element, das dann auf der anderen Seite gleichsam brutal in die Fassade des Altbaus der 1970er Jahre eingeschnitten ist.
Die beiden Fahrstuhlröhren sind demgegenüber disziplinierter, da funktional begründet. Dennoch erhalten sie durch ihre Doppelung eine enorme Kraft und Bedeutung, die diese Nebenfassade gleichsam als geometrisch gebändigte Hauptfassade erscheinen lassen. Der Übergang des Glasbaus in die von Aluminiumraster und -paneelen bestimmten Seitenfassade ist abrupt – fast so, als hätten beide Bereiche nichts miteinander zu tun. Allerdings scheint hier die elegante Wendeltreppe aus dem Inneren hindurch und verweist geradezu didaktisch auf die Einheit beider Bereiche. Die Dynamik des Glasbaus ist wirksam sowohl aus der Fernsicht als auch auf Erdgeschossniveau. Hier drängt die auskragende, nur von einer äußerst schlanken Stütze getragene Ecke vor den Fahrstuhlröhren, frei und kraftvoll in den Raum. Alles gerät in Bewegung, die keinen Anfang hat und kein Ende findet, sondern über alle Achsen rotierend und sich brechend an den Röhren immer wieder von vorn beginnt.
Ludwigsburg, Kreissparkasse (Bild: Thomas Fütterer, 2020)
Innen: geradezu brav
Im Innern ist es ruhiger, geradezu brav! Das Foyer ist nicht besonders hoch – den über alle Geschosse reichenden Luftraum zwischen Glasfassade und Geschossdecken muss man suchen, weil er zu schmal, eigentlich nur eine Fuge ist. Im Gegensatz zur aufgeregten Fassade herrscht hier wieder Ordnung, es ist aufgeräumt und klar. Die stählerne Wendeltreppe nimmt vielleicht noch den Schwung des Äußeren auf, ansonsten wird es gediegen. Weißer Verputz, edle Hölzer und leicht spiegelnder, grau-blauer Krastaler Marmor vermitteln wieder die Solidität, die man in einer Bank erwarten darf. Die oben definierte Dialektik ist erfüllt: Innovation und Tradition kommen ins Gleichgewicht. Der Kunde wird durch die transparente Architektur vielleicht aktiviert, doch mehr zu wagen, als er eigentlich wollte. Architektur wird zum Verkaufsaktivator.
Ludwigsburg, Kreissparkasse (Bild: Thomas Fütterer, 2020)
Aufbruch und Regelverletzung
Es wäre wohlfeil, die Ludwigsburger Kreissparkasse als modisches Patchwork eines schwäbischen Provinzarchitekten abzutun, der sich an Motiven wie der ondulierten Eingangswand der Stuttgarter Staatsgalerie von James Stirling und den Röhren des Centre Pompidou in Paris von Renzo Piano bedient und diese frei kombiniert. Betrachtet man jedoch den Glasbau im Kontext der disziplinierten Rasterstadt Ludwigsburg, so steht dessen dramatischer Auftritt für Aufbruch und Regelverletzung. Er macht auf die Bank durch seine unkonventionellen, irritierenden Formen aufmerksam, ist jedoch zugleich gediegen, vor allem in der Präzision der Konstruktion sowie durch die wertigen Materialien und ihre sinnvolle Fügung. Der Bau ist kein Meisterwerk, aber er vermittelt auf besondere Weise das Selbstverständnis der Bank: solide, modern und innovativ.
Ludwigsburg, Kreissparkasse (Bild: Thomas Fütterer, 2020)
Ludwigsburg, Kreissparkasse (Bild: Thomas Fütterer, 2020)
Ludwigsburg, Kreissparkasse (Bild: Thomas Fütterer, 2020)
Ludwigsburg, Kreissparkasse (Bild: Thomas Fütterer, 2020)
Ludwigsburg, Kreissparkasse (Bild: Thomas Fütterer, 2020)
Ludwigsburg, Kreissparkasse (Bild: Thomas Fütterer, 2020)
Titelmotiv: Ludwigsburg, Kreissparkasse (Bild: Thomas Fütterer, 2020)
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Inhalt
LEITARTIKEL: Mit leichtem Schaudern
Kirsten Angermann über spätmoderne „Sparkassenarchitektur“ – mit Fotografien der mR-Leser.
FACHBEITRAG: Rotierende Röhren
Klaus Jan Philipp über den dramatischen Auftritt der Kreissparkasse Ludwigsburg.
FOTOESSAY: Monetäre Interieurs
Raffael Dörig über die Bank-Innenaufnahmen des Fotografen Beat Jost.
FACHBEITRAG: Strifflers Banken
Eva Seemann über bislang übersehene Bauten des Architekten Helmut Striffler.
FOTOESSAY: Bodenständige Extravaganz
Jiří Hönes porträtiert Sparkassen im Raum Stuttgart.
FACHBEITRAG: Die Geldmaschine
Eva Dietrich über ein besonderes Relief in Dortmund-Sölde.
FACHBEITRAG: Kleinstädtisch urban
Johann Gallis und Albert Kirchengast über die brutalistische Sparkasse von Mattersburg.
FACHBEITRAG: Subtiler Wechsel
Christoph Klanten über seine Kindheitserinnerungen an die Sparkasse Bottrop.
SPOILER: Best of 1990s
moderneREGIONAL startet 2021 ein Online-Projekt zur Architektur der 1990er Jahre.