von Raffael Dörig, mit Fotografien von Beat Jost (20/4)

Das Objekt meiner Begierde war eine bunte Kugel mit Kulleraugen: eine Sparbüchse, ausgestellt in einer Bankvitrine im Dorf meiner Kindheit. Um sie zu bekommen, nahm ich all meinen Mut zusammen und betrat zum ersten Mal allein die Filiale. Der bunten Kugel begegnete ich wieder – in Schwarz-Weiß – beim Sichten von rund 60.000 Negativen des Berner Sach- und Werbefotografen Beat Jost. Wir bereiteten 2019 die Publikation und Ausstellung “Dinge, Häuser, Menschen” im Kunsthaus Langenthal vor.

Gewerbebank Baden, 1972 (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Milkakuh und Banktresore

Stets der sachlichen Tradition verpflichtet, war Jost mit seinen handwerklich brillanten Bildern von den 1960er bis 1990er Jahren ein gefragter Mann. Er fotografierte die allererste Milkakuh-Kampagne und erlangte Meisterschaft in der hohen Kunst des Speiseeis-Porträts. Einer seiner wichtigsten und langjährigsten Auftraggeber war jedoch die Wiedemar AG (ab 1932: Vidmar), die in Köniz bei Bern seit 1862 Tresore, Registraturanlagen und Stahlmöbel herstellte. Von 1963 bis zum Ende der Produktion in Köniz 1989 fotografierte Jost nicht nur einzelne Möbel in seinem Studio, sondern auch von Wiedemar ausgestattete Räume in Industriebetrieben und Banken. So findet sich in seinem Archiv ein ganzes Panorama der nachkriegsmodernen Schalterhallen-Architektur.

Ersparniskasse Biel, 1974 (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Werbung vs. Sicherheit

Sicherheitsvorgaben wurden damals auf ganz unterschiedliche Weise umgesetzt: Demonstratives Zeigen (Hier ist Ihr Geld sicher!) trifft auf eine architektonische Rhetorik von Transparenz und Offenheit. Für die Kunden (und für potenzielle Bankräuber) sollen die technisch ausgeklügelten, mechanischen Sicherheitsfeatures unsichtbar bleiben. Diese gehörten jedoch zur Spezialität des Auftraggebers, entsprechend hat sie Beat Jost oft in Szene gesetzt. Im science-fiction-artigen Schalter der Ersparniskasse Biel (1974) beispielsweise steht – angesichts der fehlenden Panzerglasscheibe geradezu unschweizerisch riskant – die Bargeldkasse mit Bündeln von Tausendernoten offen. Auch die Fotografie mit der Sparbüchse meiner Kindheit soll eigentlich für die Schaltermechanik werben.

Kreditkasse Lyss, 1979 (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Transparenz vs. Diskretion

Ein weiteres Spannungsfeld, das an den Interieurs ablesbar ist, betrifft die Diskretion. In manchen Jost-Fotografien stehen klare Linien und durchgehende Glasfronten für Transparenz. Andernorts betonen Kleinteiligkeit und Sichtschutz deutlich den Respekt vor der Privatsphäre. Auf besonders freundliche, orange, abgerundete Weise ist dies etwa in der Bank in St. Moritz (1976) der Fall. Die Kreditkasse Lyss (1979) wiederum präsentiert mit ihrem Kopfsteinpflaster den Kundenbereich als quasi öffentlichen Raum – und sorgt sogleich mit integrierten Pflanzentöpfen, markanten Rahmungen und hochgezogenen Schalterablagen für diskrete Vereinzelung.

Bank Langenthal, 1976, Trix und Robert Haussmann (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Nischen und Vitrinen

Die diskrete Unterteilung schaft Raum für allerlei Nischen und Vitrinen, obwohl Bankprodukte nicht nach Schaufenstern verlangen. Besonders prominent begegnen sie etwa in der Bank Langenthal (1976): Glasvitrinen sind mit historischen Fotografien der umliegenden Gebäude bestückt. Die Innenarchitektur der imposanten Schalter-Insel stammt übrigens vom Designerpaar Trix und Robert Haussmann, auf deren Sesseln man auch beim Beratungsgespräch Platz nahm. Haussmann-Sitzmöbel sieht man ebenso auf weiteren Bildern von Beat Jost. Zudem fotografierte er in der Gewerbebank Baden (1972), wo die Haussmanns u. a. markant verspiegelte Innenräume schufen. Doch Jost wurde hier von seinem Auftraggeber Wiedemar in den Tresorraum geschickt.

Gewerbebank Baden, 1972 (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Makellose Neuheit

“Der total rote Raum erzeugt die Ambiance einer utopischen technischen Welt”, schrieb die Zeitschrift „Werk“ damals über den Tresorraum der Gewerbebank Baden. Leider sind die Fotos schwarz-weiß – und die rote Utopie ist längst ersetzt, so wie wohl die meisten der hier gezeigten Räume. In der reichen Schweiz, zumal in der finanzstarken Bankenbranche, sind die Halbwertszeiten von Inneneinrichtungen ausgesprochen kurz. Umso wertvoller sind die Fotografien von Beat Jost, die uns die Räume im Zustand der makellosen Neuheit und Zukunftsfreude bewahren.

Die Publikation “Dinge, Häuser, Menschen – Beat Josts Atelier für Werbefotografie 1962-2002” kann direkt beim Kunsthaus Langenthal bestellt werden.

Bankschalter-Prototyp, Wiedemar AG, 1971 (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Schweizerischer Bankverein, Thun, 1974 (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Ort unbekannt, ca. 1972, mit Haussmann-Sesseln (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

(Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Bank in St. Moritz, 1976 (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Ersparniskasse Biel, 1974 (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Spar- und Leihkasse Gstaad, 1976 (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Schweizerischer Bankverein, Thun, 1974 (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Bank in St. Moritz, 1976 (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)

Titelmotiv: Bank in St. Moritz, 1976 (Foto: Beat Jost, Copyright: Staatsarchiv des Kantons Bern)



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