von Haiko Hebig (24/1)

Naturzugkühler prägen das Ruhrgebiet seit den 1970er Jahren, schon allein durch ihre schiere Größe. Um den gewünschten Kamineffekt zu erzeugen, erreichen die als Rotationshyperboloide konstruierten, dünnwandigen Betonschalen eine Höhe von bis zu 180 Metern. Diee Form dieser Kühltürme kam nie aus der Mode, ihr Symbolwert aber verschob sich deutlich: Aus einem schlank in den Himmel ragenden Fortschrittszeichen wurde die scheinbar rückwärtsgewandte Erinnerung an das fossile Zeitalter, das mit Dampfschwaden ganze Ortsbilder beherrschte. Seit dem Ende des Steinkohlenbergbaus, als die meisten Fördertürme und -gerüste verschwanden, sind die Kühltürme (in Anspielung auf den Titel des 1999 erschienenen Luftbildbuchs von Corneel Voigt) die letzten „Dominanten im Revier“.

Im Vordergrund der 128 Meter hohe Kaminkühler von Block C des in Abriss befindlichen Kraftwerks Knepper in Dortmund (363 MW, 1971 in Betrieb genommen, 2014 stillgelegt, 2019 gesprengt), im Hintergrund der Kühlturm des 1989 in Betrieb genommenen Block 4 des Gruppenkraftwerks Herne (500 MW) (Bild: Haiko Hebig, 2019)

Im Vordergrund der 128 Meter hohe Kaminkühler von Block C des im Abriss befindlichen Kraftwerks Knepper in Dortmund (363 MW, 1971 in Betrieb genommen, 2014 stillgelegt, 2019 gesprengt), im Hintergrund der Kühlturm des 1989 in Betrieb genommenen Block 4 des Gruppenkraftwerks Herne (500 MW) (Bild: Haiko Hebig, 2019)

Vom Stahlturm zur Betonschale

Bis weit in die 1970er Jahre war der typische Ruhrgebiets-Kühlturm blockartig oder polygonal gestaltet. Je nach Einsatzzweck entstanden unterschiedlich geformte, mit Holz oder später mit Faserzementplatten verkleidete Stahlkonstruktionen, welche die anderen Bauwerke des Betriebs nicht deutlich überragten. Das änderte sich grundlegend erst um 1969: Als die meisten Bergwerksunternehmen in der Einheitsgesellschaft Ruhrkohle zusammengefasst wurden, brachten sie ihre Kraftwerke in die STEAG ein. Damit ebneten sie den Weg zu einer Einigung zwischen den Bergwerken und den öffentlichen Elektrizitätswerken, wer die Region mit Energie versorgt. Endlich konnten größerer Einheiten errichtet und Dutzende kleiner, zumeist sehr alter Anlagen stillgelegt werden.

Für 1969 sind im Revier über 500 Holzkühler auf Kraftwerken, Bergwerken und Industrieanlagen bekannt – etwa ein Zehntel davon existiert heute noch in der ursprünglichen oder modernisierten Form. Gleichzeitig waren zu diesem Zeitpunkt erst drei große Naturzugkühler in Betrieb (Castrop-Rauxel ab 1967, Scholven ab 1968/69) und vier weitere in Bau oder frisch fertiggestellt (Knepper, Kellermann und Scholven). Verbunden wurden sie durch ihre einheitliche Grundform: dünnwandige, auf Stelzen errichtete, rotationssymmetrische Betonschalen in der Form eines Hyperboloids. Hinzu kam ihre erhebliche Größe zwischen anfangs 87 und zuletzt 180 Metern, die nur noch von den zugehörigen Kaminen übertroffen wurde.

Als Zwischenschritt waren bei einigen großen Kraftwerksneubauten im Nachkriegsruhrgebiet Ventilatorkühler aus Beton verbreitet. Wegen ihrer geringen Höhe prägten sie das Landschaftsbild weniger als die später vorherrschenden Naturzugkühler. Runde Ventilatorkühler wurden auf den Kraftwerken Herne (sieben Stück), Knepper (fünf Stück), Springorum (vier Stück) und Westfalen (zwei Stück) errichtet.

Kraftwerk Scholven (Bild: Regionalverband Ruhr 1977, Datenlizenz Deutschland dl-de/by-2-0)

Mit sieben, in Reihe angeordneten Naturzugkühlern stellt das ursprünglich von der Bergwerksgesellschaft Hibernia geplante Gelsenkirchener Kraftwerk Scholven den Höhepunkt des Kraftwerksbaus der Nachkriegszeit im Ruhrgebiet dar. Von 1968 bis 1979 wurden sieben Kraftwerksblöcke mit über 3.300 MW Gesamt-Nettoleistung und damit auch sieben Kühltürme in Betrieb genommen. Zwei der Blöcke sind bis 2024/25 als systemrelevant eingestuft, fünf der sieben Kühler existieren noch (Bild: Regionalverband Ruhr, 1977, Datenlizenz Deutschland dl-de/by-2-0)

Nah am Wohnen

Der Standort der meisten Kraftwerke folgte im Ruhrgebiet der Infrastruktur der Bergwerksgesellschaften, auch nach dem Ende der Steinkohlenförderung. Daher lagen zahlreiche Kraftwerksanlagen nah an den Wohnbauten, so auch beim Klöckner-Kraftwerk Castrop-Rauxel: Der 1967 in Betrieb genommene, 87 Meter hohe Turm war der erste große Naturzugkühler im Revier. Abgesehen vom 1948 auf der Gelsenkirchener Zeche Wilhelmine Victoria errichteten Kühler, der bereits Anfang der 1960er Jahre wieder abgerissen wurde.

Mit bis zu 300 Meter hohen Kaminen wurde in dieser Zeit versucht, die Schadstoff-Einwirkung auf das direkte Umfeld zu reduzieren. Auch beim zuletzt in Betrieb genommenen Steinkohlekraftwerk an der Ruhr spielte der Abstand zur Wohnbebauung eine wichtige Rolle: Deshalb gab es spürbaren Widerstand gegen die Errichtung des Kraftwerks Datteln 4. Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Dezember 2023 gilt der Bebauungsplan vorerst als zulässig. Die einen besonders hohen Wirkungsgrad von 45 Prozent aufweisende Anlage soll bis 2038 u. a. Bahnstrom produzieren. Sein 180 Meter hoher Kühlturm ist einer der höchsten jemals gebauten. In ihn werden auch die gereinigten Rauchgase eingeleitet, sodass kein separater Kamin erforderlich ist.

Datteln 4 (Foto: Christof Sonderegger, 1977; Bild: ETH-Bibliothek Zürich, CC BY-SA 4.0)

Das Klöckner-Kraftwerk Castrop-Rauxel wurde 1967 in Betrieb genommen – als erster großer Naturzugkühler im Ruhrgebiet (Foto: Christof Sonderegger, 1977; Bild: ETH-Bibliothek Zürich, CC BY-SA 4.0)

Vom Ende einer Ära

Seit die Kohleverstromung in Deutschland per Gesetz beendet worden ist, sinkt die Zahl der in Betrieb befindlichen Kohlekraftwerke im Ruhrgebiet. Eine Reihe älterer Anlagen wurde bereits abgerissen oder ist im Abriss begriffen: jeweils ein großer Kühler auf den Kraftwerken Knepper, Kellermann, Castrop-Rauxel, Voerde und Westfalen, außerdem zwei der sieben Kühler auf Scholven. Da im Ruhrgebiet in den 2010er Jahren fünf neue Steinkohleblöcke und damit auch fünf sehr große Kaminkühler neu errichtet wurden, hat sich das regionale Landschaftsbild noch nicht signifikant gewandelt. Eher nahm die prägende Wirkung der Kühltürme zu, da neue Gesamthöhen erreicht wurden (Hamm 165 Meter, Datteln 180 Meter, Walsum 181 Meter) und deren Durchschnitt sogar gestiegen ist.

Bei der Doppelanlage von Hamm bilden die beiden (dicht nebeneinander errichteten) Kühltürme und die zugehörigen Kesselhäuser – aus der Ferne betrachtet – sogar eine einheitliche Baumasse von signifikantem Volumen. Aber es ist davon auszugehen, dass keine neuen Kohlekraftwerke mehr errichtet werden. Die nun gefragten Gas-und-Dampf-Kraftwerke kommen ohne große Naturzugkühler aus. Und es werden wohl, Stand heute, auch kein Kühlturm oder gar komplette Kraftwerksanlagen unter Denkmalschutz gestellt oder musealisiert. Damit hat nun die letzte Phase dieser Dominanten im Revier begonnen: Ausphasung und Rückgang der Zahl an Kühltürmen – bis zum Verschwinden dieses letzten großen Symbols des fossilen Zeitalters nach dem Jahr 2038.

Zuletzt gesprengt: Der Anfang der 1980er errichtete 165 Meter hohe Kühler des Gemeinschaftskraftwerks Voerde wurde am 3. Dezember 2023 gesprengt. Foto aus der letzten Phase des Baus 1981 (Bild: Regionalverband Ruhr 1981, Datenlizenz Deutschland dl-de/by-2-0)

Zuletzt gesprengt: Der Anfang der 1980er Jahre errichtete, 165 Meter hohe Kühler des Gemeinschaftskraftwerks Voerde wurde am 3. Dezember 2023 gesprengt (Bild: Regionalverband Ruhr, 1981, Datenlizenz Deutschland dl-de/by-2-0)

Steinkohlenzeche im Ruhrgebiet in den 1920er Jahren: im Vordergrund zwei Holzkühler der Kraftzentrale. Kühltürme dieser Größenordnung, Form und Bauart sind auch heute noch auf Industrieanlagen in Betrieb (Bild: Regionalverband Ruhr, Datenlizenz Deutschland dl-de/by-2-0)

Steinkohlenzeche im Ruhrgebiet in den 1920er Jahren: im Vordergrund zwei Holzkühler der Kraftzentrale. Kühltürme dieser Größenordnung, Form und Bauart sind auch heute noch auf Industrieanlagen in Betrieb (Bild: Regionalverband Ruhr, Datenlizenz Deutschland dl-de/by-2-0)

In Batterie- oder Wabenform angeordnete eckige Ventilatorkühler kamen u.a. auf den BASF- und Rheinstahl-Kraftwerken in Marl sowie auf dem Kraftwerk Westerholt zum Einsatz (Bild: Regionalverband Ruhr, Datenlizenz Deutschland dl-de/by-2-0)

In Batterie- oder Wabenform angeordnete, eckige Ventilatorkühler kamen u. a. auf den BASF- und Rheinstahl-Kraftwerken in Marl sowie auf dem Kraftwerk Westerholt zum Einsatz (Bild: Regionalverband Ruhr, Datenlizenz Deutschland dl-de/by-2-0)


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Fathers of the Teletowers (English Version)

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