Erinnerungen von Reiner Kolodziej (18/4)

Als ich zehn Jahre alt war, Mitte der 1950er Jahre, da war eine Flasche Coca-Cola ein Luxus. Mein Großvater Hermann Klein hatte damals in Berlin ein kleines Fuhrunternehmen. Nach dem Krieg waren es hauptsächlich Schuttfahrten, mit denen er sein Geld verdiente. Schutt gab es zu dieser Zeit ja reichlich. Schon im jüngsten Schulalter durfte ich in den Ferien Opa bei seiner Arbeit begleiten. Meine größte Freude war es, wenn ich nach dem Abladen beim Runterfahren vom Müllberg den Lenker halten durfte, während Opa sich eine Zigarre anzündete. Als die Schuttfahrten weniger wurden, lebte die Firma hauptsächlich von Umzügen und Möbeltransporten. 1956 kam dann Coca-Cola ins Spiel. Opa wurde beauftragt, die Colaflaschen von der Abfüllanlage in der Hildburghauser Straße an Geschäfte auszuliefern. Ich weiß eigentlich nicht, wie dieser Auftrag zustande kam, ob Coca-Cola die große Nachfrage noch nicht mit eigenen Lastwagen bedienen konnte. Egal, es war eine schöne Zeit, und die Cola schmeckte. Ich glaube, ich konnte so viel davon trinken, wie ich wollte.

Coca-Cola zu den Olympischen Spielen

Coca-Cola-Werbung aus dem Jahr 1935 und 1938 (Bilder: historische Werbung)

Coca-Cola-Werbung aus dem Jahr 1935 und 1938 (Bilder: historische Werbung)

Schon 1929 eröffnete die erste deutsche Coca-Cola-Niederlassung in Essen – an den Krupp-Fabriken, dort, wo man die meisten durstigen Kehlen vermutete. Der Verkauf in Berlin startete 1935 über sieben selbstständige Konzessionäre. Coca-Cola, hergestellt in Berlin, gab es dann ein Jahr später. Der Eröffnungstag der Olympischen Spiele 1936 war zugleich der erste Auslieferungstag der kurz zuvor eröffneten, ersten Coca-Cola-Abfüllanlage in der Hauptstadt. Diese befand sich in einem ehemaligen Brauereigebäude an der Hildburghauser Straße 224. Von hier aus wurden nun die Teilnehmer und Besucher der Olympischen Spiele beliefert. Schon drei Jahre später meldete man den Verkauf von 200.000 Kisten Coca-Cola aus Berlin.

Eine neue Firmenzentrale in Berlin

Berlin, Coca-Cola-Zentrale (1957, Hans Simon), links: im Billy-Wilder-Film “Eins, zwei, drei”; rechts:  (Bilder: links: youtube-Still, Holly Martins; rechts: Berlin, die ehemalige Coca-Cola-Zentrale während des Leerstands (Bild: Janericloebe, CC BY SA 3.0, 2004))

Berlin, Coca-Cola-Zentrale (1957, Hans Simon), links: im Billy-Wilder-Film “Eins, zwei, drei”; rechts: (Bilder: links: youtube-Still, Holly Martins; rechts: Berlin, die ehemalige Coca-Cola-Zentrale während des Leerstands (Bild: Janericloebe, CC BY SA 3.0, 2004))

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Abfüllanlage bald lahmgelegt – durch den Rohstoffmangel, vor allem durch den fehlenden Zucker. Nach der Zerstörung durch Bombentreffer begann direkt nach Kriegsende der Wiederaufbau. 1948 wurde der Betrieb wieder aufgenommen, um die GIs mit dem Lieblingsgetränk ihrer Heimat zu verwöhnen. In den folgenden Jahren gab es dann auch wieder Cola für die Deutschen und damit einen rasanten Aus- und Neubau der Anlagen in der Hildburghauser Straße. 1957 wurde mit einem neuen Verwaltungs- und Produktionsgebäude begonnen. Die alten Liegenschaften der ehemaligen Brauerei mussten weichen. In den folgenden Jahren stiegen die Produktionszahlen. Als 1960 die Schultheiss Brauerei AG die Abfüllanlage übernahm, wurden jährlich 1,3 Millionen Kisten Coca-Cola (zu je 24 Flaschen) abgefüllt und vertrieben.

Billy Wilder kommt

1961 war es dann der Regisseur Billy Wilder, der mit seiner Filmkomödie “Eins, Zwei, Drei” auf die Abfüllanlage in der Hildburghauser Straße aufmerksam machte. Der Film wurde kurz vor dem Mauerbau begonnen und hatte die Coca-Cola-Erschließung hinter dem Eisernen Vorhang zum Inhalt. Außenaufnahmen zeigten das Verwaltungsgebäude und den Schauspieler Horst Buchholz, wie er mit einem Motorrad von der Hildburghauser Straße abfährt. Wegen dieses politischen Hintergrunds fand der Kinofilm zunächst weder in den USA noch in Deutschland Zuspruch. So bezeichnete ihn zum Beispiel die BZ damals als den “scheußlichsten Film über Berlin”. Doch als er 1985 in Frankreich und Deutschland wiederaufgeführt wurde, entwickelte er sich insbesondere in West-Berlin zum Publikumshit.

Währenddessen expandierte das Geschäft mit der Limonade weiter. Es wurde nicht nur Coca-Cola produziert, auch Marken wie Fanta, Sprite, Mezzo-Mix liefen über die Abfüllanlage. 1969 kaufte Schultheiss das angrenzende Grundstück der ehemaligen Gewächshausfirma Böttcher und Eschenhorn dazu und baute weitere Lagerhallen. Neue Ein- und Ausfahrten entstanden, was die Anwohner in der Hochstraße begrüßten.

Jetzt werden hier Autos geprüft

Berlin, ehemalige Coca-Cola-Zentrale während des Leerstands (Bild: Peter Shacky, 2006)

Berlin, ehemalige Coca-Cola-Zentrale während des Leerstands (Bilder: Peter Shacky, 2006)

Der LKW-Lärm reduzierte sich zwar, aber der Alltagslärm einer so großen Anlage war weiterhin eine Belastung. So waren auch die Anwohner der Hochstraße nicht gerade traurig, als 1994 die letzte Kiste Coca-Cola vom Band lief und die Produktion nach Hohenschönhausen verlagert wurde. Noch einmal wurde das inzwischen in die Jahre gekommene Gebäude Kulisse für eine Komödie. Wolfgang Beckers “Good Bye Lenin” machte davon Gebrauch.  2010, nach 16 Jahren der Verwilderung, kehrte erneut Leben in das denkmalgeschützte Gebäude ein. Seit 2011 werden hier keine Flaschen mehr befüllt, sondern Autos geprüft.

Berlin, ehemalige Coca-Cola-Zentrale während des Leerstands (Bild: Peter Shacky, 2006)

Titelmotiv: Berlin, ehemalige Coca-Cola-Zentrale (Bild: Sukuru, CC0, 2013)

Zum Weiterlesen

Gräwe, Christina, Spurensuche. Hans Simon (1909-1982), in: Baunetzwoche 302, Januar 2013.

Schmiedeke, Sabine, Die ehemalige Coca-Cola-Abfüllfabrik in Lichterfelde-Ost , auf: berlin.de, Denkmal des Monats Juni 2012.

Kolodziej, Reiner, “Coke” aus der Hildburghauser Straße. Die Lichterfelder Coca-Cola-Story, auf: petrus-giesendorf.de, Januar 2011 (hier wurde der obige Text erstmals veröffentlicht).



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Inhalt

"Buy the World a Coke"

“Buy the World a Coke”

LEITARTIKEL: Jürgen Tietz über Trinken als Kunst.

Die Trinkhalle

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FACHBEITRAG: Martin Bredenbeck kurt in Bad Neuenahr.

Die Forschungsbrauerei

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FACHBEITRAG: Ralf Giebl aus einem Münchner Sudhaus.

Der Entenflötenkessel

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FACHBEITRAG: Karin Berkemann auf Pomo-Spurensuche.

Opa und die Colafabrik

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PORTRÄT: Reiner Kolodziej erinnert sich an Berlin.

"Ernst gibt es genug"

“Ernst gibt es genug”

INTERVIEW: Hendrik Bohle über den Milchpilz.

Ostbrause

Ostbrause

FOTOSTRECKE: Limonaden- und Cola-Etiketten der DDR.

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