Sein Abitur hat der Fotograf Gregor Zoyzoyla anno 2000 am Schulzentrum Neckargemünd gemacht. Kurz darauf wurde das Gebäude zerstört. Es gibt keinen Zusammenhang der Ereignisse: Schweißarbeiten verursachten 2003 einen verheerenden Brand, der zum Abriss des Baus von 1967/84 führte. Er würde heute zu seinen bevorzugten Fotomotiven zählen: die späte Moderne der alten Bundesrepublik, gerne Rathäuser, Stadthallen oder Schulen. Die Suche nach geeigneten Objekten führte ihn 2018 nach Wörth. In der Kleinstadt nahe Karlsruhe entstand ab den 1960ern der Stadtteil Dorschberg, im Zuge dessen auch Rathaus, Hallenbad, Festhalle und die Dorschbergschule. Heute heißt sie Europagymnasium Wörth und steht seit Herbst 2019 unter Denkmalschutz. Daran ist Gregor Zoyzoyla nicht ganz unbeteiligt. Daniel Bartetzko hat mit ihm darüber und wie man die Nutzer zum Erkennen der architektonischen Qualität ihrer Gebäude leiten kann, gesprochen.

Wörth, Europa-Gymnasium (Bild: Gregor Zoyzoyla)

DB: Von der Penne zum Baudenkmal: Ist das quasi durch Deine Arbeit bekannt gewordene Europagymnasium Wörth ein glücklicher Zufallsfund?

GZ: Zumindest hat die Geschichte so ihren Anfang genommen, abends am Computer bei der Suche nach Objekten in der näheren Umgebung. Die Wörter “Schule”, “Rathaus”, “1960er” und “Beton” eingeben und sehen, was die Bildersuche zeigt – das ist durchaus ergiebig. So tauchte erst das Rathaus Wörth und schließlich das Gymnasium auf. Einige Tage später war ich zum Fotografieren dort – und habe im zweiten Anlauf offene Türen eingerannt.

DB: Inwiefern im zweiten Anlauf?

GZ: Das Rathaus kann man von öffentlichen Grund ja jederzeit ablichten. Bei einer Schule wird da sensibler reagiert, ohne Genehmigung ist das schwer, erst recht an einem normalen Schultag. Gute Fotos von dem Bau – der meine Erwartungen weit übertroffen hatte – hätte man vom Pausenhof aus machen müssen. Ich habe also im Sekretariat gefragt und bin dort abgeblitzt. Aber dann hat mich die damalige Schulleiterin, die das Gespräch durch die offene Zwischentür mitbekommen hat, nochmal reingebeten. Sie mochte die Architektur “ihrer” Schule und befürchtete, dass der Bau durch eine Sanierung entstellt werden könnte. Nach diesem zweiten Gespräch hatte ich dann also doch die Foto-Erlaubnis. Und die Anregung auf den Weg mitbekommen, eventuell ein Projekt mit den Schüler*innen zum Bau zu starten.

Wörth, Europa-Gymnasium (Bild: Gregor Zoyzoyla)

Das in zwei Abschnitten 1968 und 1974/75 errichtete Europagymnasium entstand nach Entwürfen des Ludwigshafener Architekten Egon Seidel (*1928). Es entspricht mit einem mehrstöckigem Zentralraum, um den die Klassenräume hufeisenförmig angeordnet sind, dem Typus der seinerzeit populären Hallenschule. Das viergeschossige Hauptgebäude mit den markanten Fensterbändern und einer Fassade, in der sich Klinkermauern und Betonelemente gliedern, ist auf den ersten Blick nicht unmittelbar dem Brutalismus zuzurechnen. Sehr wohl aber der betonsichtige, dreigeschossige Erweiterungsbau mit dem skulpturalen Treppenhaus und dem Wandrelief des Bildhauers Karl-Heinz Deutsch (*1940).

DB: Beim reinen Fotografieren ist es nicht geblieben, doch auch über das mit dem Kunst-Leistungskurs realisierte Schulprojekt ging es hinaus …

GZ: Meine Bilder hatte ich direkt an Oliver Elser für das Projekt SOS Brutalism und an Tobias Flessenkämper vom Arbeitskreis Nachkriegsmoderne des RVDL (Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz, anm. d. Red.) geschickt. Die waren begeistert von dem Bau, besonders von der Erweiterung aus den 1970ern und haben dann einige Hebel in Bewegung gesetzt.

DB: Die Schule hat also nicht einfach nur Schule gemacht?

GZ: Vor Ort habe ich mit den Schüler:innen ein Foto-Projekt durchgeführt. Der Kunsthistoriker Sascha Köhl von der Universtät Mainz hatte auch von dem Bau erfahren, und über den RVDL ging die Kunde ins Landesdenkmalamt, wo Leonie Köhren für ein Gutachten beauftragt wurde. Im Frühjahr 2019 sind wir auf Einladung des Kunst-Leistungskurses mit dieser großen Gruppe Tross nach Wörth gekommen und hatten auch einen Termin beim Bürgermeister. Der meinte zwar, dass Wörth Flair fehlte, und bezeichnete es sogar als “Alien der Südpfalz”, aber so langsam änderte sich schon die Einschätzung: Da kommen eine Denkmalpflegerin, ein Uni-Dozent mit seinen Studierenden und ein Architekturfotograf extra zu ihnen, um etwas über ihre Gebäude zu erfahren, also muss doch etwas dran sein … Interessant war dann auch das Gespräch mit dem Architekten Egon Seidel. Er war geschmeichelt, dass sein Bau nun so viel Aufmerksamkeit erfuhr. Allerdings schwärmten wir im Gespräch vor allem von der betonsichtigen Erweiterung. Das schien ihn zu irritieren. Irgendwann meinte er dann, an dem habe sich ja in erster Linie sein Assistent verwirklichen dürfen. Solche Gespräche sind halt immer auch ein Stück Diplomatie (lacht).

Wörth, Europa-Gymnasium (Bild: Gregor Zoyzoyla)

DB: Die externen Fachleute haben sich leicht begeistern lassen. Doch wie war es mit den Nutzern selbst, den Schüler:innen? Sie sind es ja, die sich jeden Tag im Schulbau aufhalten und sich mit seinen architektonischen Stärken und Schwächen arrangieren müssen.

GZ: Tatsächlich waren sie im Gespräch in großer Runde von ihrer Schule nicht so begeistert. Zu grau, zu wuchtig, nicht “schön” hieß es. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass die meisten Schüler aber ihre Gebäude nicht als schön wahrnehmen. Das betrifft nicht mal nur die, die ihre gesamte Schulzeit als unangenehm empfinden: Ein Gebäude ist immer auch Projektionsfläche. Der kleinste gemeinsame Nenner, um unter Schülern ins Gespräch zu kommen, ist über “die komische Bude” zu stöhnen. Auf die Frage, wie denn die optimale Schule aussehen würde, kam der Wunsch nach weniger Grau, mehr Weiß, mehr Licht und mehr Glas. Sie hätten die Schule gerne “clean”.

DB: Kein Traum von einem gemütlichem Altbau mit Fachwerk, Sandstein, steilen Dächern und warmen Farbtönen? Das hätte ich jetzt eher erwartet, auch wenn es mächtig nach Klischee klingt.

GZ: Nein, die moderne Architektur als solches war eigentlich kein Problem. Vielmehr wurde der Bau einfach als schmuddelig empfunden, das verbindet man ja auch mit Grau. Der Einwand, dass ein weißes Schulhaus bei intensiver Nutzung kaum weiß bliebe und noch viel schneller schmuddelig wirken würde, hat sie nachdenklich gemacht. Je mehr sich die Schüler:innen mit dem Bau beschäftigt haben, desto mehr stieg die Akzeptanz und das Verständnis. Details wie der verglaste Übergang zwischen den Bauteilen und die üppige Grüngestaltug wurden sowieso positiv wahrgenommen. Am schlechtesten kam der Erweiterungsbau weg: Der wurde als zu kalt und zu hellhörig kritisiert, habe insgesamt eine kühle Atmosphäre. Aber ein Bewusstsein, dass dieser Schulbau zu den ambitioniertesten seiner Zeit zählt und, abgesehen von unvermeidbaren Altersmängeln, auch heute noch grundsätzlich funktioniert, war schon entstanden.

DB: Ein Gebäude kann ja grundsätzlich immer nur auf der Höhe seiner Bauzeit sein. Optimal ist, wenn man künftige Veränderungen einplant und möglich macht. Aber wie sich der Lehrbetrieb in 50 Jahren entwickelt, lässt sich ja kaum vorausschauen.

GZ: Die Kritik bezog sich ja vor allem auf die technische Ausstattung. Heizung, Lärm- und Wärmedämmung entsprechen noch dem Stand der 1970er, und Klimaanlagen waren damals Luxus und in Schulen unvorstellbar. Das reine Nutzungskonzept aber hat die Zeit gut überdauert.

Wörth, Europa-Gymnasium (Bild: Gregor Zoyzoyla)

DB: Hat denn Dein Schulprojekt selbst etwas bewirkt?

GZ: Die gemeinsam erstellten Fotos habe ich teilweise nachbearbeitet, und es wurden auch Interviews auf Video aufgezeichnet, die zunächst als Rohmaterial vorlagen. Diese architekturbezogene Arbeit führte dazu, dass das Schulprojekt nach Köln zur Europa Nostra Tagung “Wehe den Erben?” eingeladen wurde. Die Videos haben Sascha Köhl und seine Studierenden zu einem Film geschnitten, der dort gezeigt wurde. Leider haben die Schüler:innen ausgerechnet an jenem Tag Prüfungen gehabt und konnten nicht kommen …

DB: Und die Unterschutzstellung als solches war Formsache?

GZ: Ich bin ja selbst kein Denkmalpfleger. Aber zu erkennen, dass hier ziemlich sicher ein Denkmalwert vorliegt, war nicht schwer. Natürlich haben da auch meine Fotos geholfen, ziemlich zügig ein Gutachten zu erstellen. Das wurde genauso zügig positiv beschieden, denn im Hintergrund drohte ja die Sanierung. Die steht so oder so an, doch jetzt kann man davon ausgehen, dass sie wohl behutsamer ausfallen wird. Ich denke auch, ich kann mich in Wörth noch immer blicken lassen, obwohl ja gefühlt ich es war, der ihre Schule unter Schutz hat. Vielleicht war das ja genau der Plan der ehemaligen Direktorin (lacht).

Das Gespräch führte Daniel Bartetzko.

Wörth, Europa-Gymnasium (Bild: Gregor Zoyzoyla)
Wörth, Europa-Gymnasium (Bild: Gregor Zoyzoyla)
Wörth, Europa-Gymnasium (Bild: Gregor Zoyzoyla)
Wörth, Europa-Gymnasium (Bild: Gregor Zoyzoyla)
Wörth, Europa-Gymnasium (Bild: Gregor Zoyzoyla)
Wörth, Europa-Gymnasium (Bild: Gregor Zoyzoyla)
Wörth, Europa-Gymnasium (Bild: Gregor Zoyzoyla)
Gregor Zoyzoyla (Bild: D. Bartetzko, 2021)

alle Gebäudebilder: Gregor Zoyzoyla, alle Personenbilder: Daniel Bartetko



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Bonusbeitrag

Inhalt

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INTERVIEW: Gregor Zoyzoyla zum Europagymnasium Wörth

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Der Architekturfotograf hat mit Schüler:innen einen modernen Bau erkundet.

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