Die Architektin Mikala Holme Samsøe im Gespräch über ein Modellprojekt des Zirkulären Bauens (23/3)

Ein öffentliches Gebäude vor dem Abriss, ein Onlinemarktplatz für gebrauchte Baumaterialien (Concular), das Staatliche Bauamt Augsburg und eine Idee der dortigen Hochschule: Gemeinsam sollten sie beispielhaft aufzeigen, dass es der Verkauf von gebrauchten Teilen aus einem staatlichen Gebäude möglich macht, Ressourcen zu sparen, Elemente wiederzuverwenden und obendrein noch Geld in die Kasse zu spülen. Darüber sprach moderneREGIONAL mit der Initiatorin des Projektes „Architektur. Im Kreis“, Mikala Holme Samsøe, die als Professorin für Entwerfen und Gestalten im Studiengang Architektur (Fakultät für Architektur und Bauwesen) an der Hochschule Augsburg lehrt.

Augsburg, Alte Stadtbücherei (Bild: Alte Stadtbücherei)

Architekturstudierende geben Bauteile der Alten Stadtbücherei in Augsburg in eine Datenbank ein (Bild: Hochschule Augsburg)

moderneREGIONAL: Wie kann man die aktuelle Ausgangslage im Bauwesen beschreiben?

Mikala Holme Samsøe: Aktuell heißt es oft, dass eine Sanierung nicht wirtschaftlich ist und ein Neubau günstiger erscheint. Dies wird dann als Grund genommen, warum vieles hinsichtlich einer nachhaltigen Baukultur nicht möglich wäre. Das ist allerdings eine Milchmädchenrechnung, die am Ende auch zulasten des Klimas geht. Glücklicherweise ist gleichzeitig auch einiges in Bewegung, da viele Bautätige verstehen, dass sich etwas ändern muss. Der nächste konsequente Schritt ist nun folglich auch, sich zumindest auch mehr für weiterverwendende Bauteile zu öffnen, sollte tatsächlich ein Abriss unumgänglich sein. Hier greift nun unser Projekt. Nebenbei bemerkt gibt es auch eine neue EU-Taxonomie seit 2022, die beispielsweise forciert, dass bestimmte Prozentsätze beim Bauen wiederverwendete Bauteile beinhalten müssen sowie recycelte Baumaterialien und Bauteile aus nachwachsenden Rohstoffen.

mR: Wie entstand das Projekt „Architektur im Kreis“ und wie wurde die Kooperation mit Concular umgesetzt?

MHS: Von der Idee des Unternehmens Concular habe ich vor einigen Jahren aus der Presse erfahren. Concular ist, kompakt erklärt, eine Plattform des Onlinehandels mit gebrauchten Bauteilen und gleichzeitig eine Wissensplattform, die auch hinsichtlich des Umgangs mit wiederverwendeten Bauteilen vermittelt. Die Firma ist Dienstleisterin und übernimmt ggf. auch die Katalogisierung sowie das Onlinestellen und die Vermarktung der Bauteile. Ich fand es sehr relevant, den Studierenden diese Option zu vermitteln, wiederverwendete Bauteile in einen Arbeits- und Entwurfsprozess mit einzubinden. Für das Staatliche Bauamt Augsburg war der Verkauf von Bauteilen, die sonst entsorgt werden müssten, es eine Chance und gleichzeitig ein Pilotprojekt. Daraus entstand dann auch die Idee eines gemeinsamen Projektes gemeinsam zwischen Bauamt, der Hochschule und Concular, um die Möglichkeiten an einem praktischen Beispiel zu testen: In Augsburg stand die ehemalige Stadtbücherei, ein Bau aus den 1960er Jahren von einer gewissen Qualität, unmittelbar vor dem Abbruch. Ich war selbst überrascht, wie groß das Interesse im Laufe des Seminars und des Projektes wurde bei den Studierenden, aber vor allem bei den Kaufinteressierten.

Augsburg, Alte Stadtbücherei (Bild: Stephan Bovenschen)

Der Abriss der Alten Stadtbücherei war beschlossene Sache, doch viele Bauteile ließen sich wiederverwenden (Bild: Stephan Bovenschen)

mR: Welche Voraussetzungen fanden Sie vor und wie war die Ausgangslage? Immerhin handelte es sich ja um ein erstes Projekt dieser Art, bei dem auch vermutlich bürokratische Belange berücksichtigt werden mussten.

MHS: Nun, es gab durchaus einige Hürden, die eben teilweise in der Bürokratie lagen. Aber hier wurden schnell gute Lösungen gefunden: Beispielsweise war es in diesem Fall das erste Mal, dass der bayerische Staat gebrauchte Bauteile verkaufte. Da existieren z. B. juristische Hürden, denn rein rechtlich durfte der Staat bei Neubauprojekten kein Geld einnehmen, da der Abbruch eines Gebäudes schon im Verwaltungsakt des Neubaus eingegliedert war. Hier mussten also erst einmal andere Wege gefunden werden, die wir glücklicherweise erreichen konnten. Es ist ja auch von Vorteil für den Staat, mit dem Erlös aus den Verkäufen von gebrauchten Elementen einen Teil der Entsorgungskosten zu sparen. Bedenken hinsichtlich einer Schadstoffbelastung oder ähnlichem, nach denen wir immer wieder gefragt werden, gibt es nicht, da für einen Gebäudeabriss ohnehin ein Schadstoffgutachten erstellt werden muss. Gerade bei Gebäuden aus der Nachkriegszeit ist das natürlich auch immer ein wichtiger Aspekt.

mR: Wie stellte sich der Ablauf des Seminars im Rahmen des Projektes dar?

MHS: Um ein solches Projekt im Rahmen Studierendenseminars umzusetzen, erfordert es erst einmal eine grundlegende Sensibilisierung für das Vorgehen. Es ergeben sich Fragestellungen zu Ästhetik, Materialität, aber auch einfache Voraussetzungen, wie: „Kann ich das Bauteil schadensfrei ausbauen und auch wieder ein- oder aufbauen?“. Beispielsweise muss man hier bei Türzargen, Fenstern oder Treppen genau auf die Konstruktion schauen. Zu Beginn waren es sechs Studierende, die dann damit begonnen haben, das Gebäude nach den vorher festgelegten Kriterien zu untersuchen und Bauteile auszuwählen. Diese Bauteile haben sie dann genau nach dem vorgegebenen Schema von Concular fotografiert und katalogisiert und dort eingestellt. Eine solche Auseinandersetzung fördert bei den Studierenden natürlich einerseits das Umgehen mit der vorhandenen Substanz, aber gleichzeitig auch die Wahrnehmung von Reparatur- und Austauschmöglichkeiten in Neubauten. Die Ergebnisse haben wir in einer Publikation zusammengefasst.

links: Augsburg, Alte Stadtbücherei (Bild: Stephan Bovenschen); rechts: Blick in das Buch "Architektur. Im Kreis" zum Zirkulären Ansatz beim Umgang mit der Alten Stadtbücherei in Augsburg (Bild: Buch "Architektur. Im Kreis")

Alte Stadtbücherei in Augsburg, links: wiederverwendbare Bauteile werden ausgebaut; rechts: Katalogisierung (Bilder/Titelmotiv: links: Stephan Bovenschen; rechts: Buch “Architektur. Im Kreis”)

mR: Wie erfolgte dann die genaue Umsetzung des Seminars, beziehungsweise des Projektes während der Laufzeit?

MHS: Mit einer Katalogisierung sollte man, egal ob als Seminarumsetzung oder im Normalfall, etwa neun Monate bis zu einem Jahr vor dem geplanten Abbruch beginnen. Etwa 14 Tage vor dem eigentlichen Abbruch war in Augsburg eine Abholtag angesetzt. Das heißt, es gab zuvor eine bestimmte Zeitspanne, in der die Baumaterialien online gestellt waren und hier angeschaut und auch erworben werden konnten. Käufer:innen konnten auf Wunsch die Materialien selbst vor Ort ausbauen in Eigenleistung, was im Endeffekt den jeweiligen Kaufpreis günstiger hielt. Concular koordiniert aber auch in Kooperation mit dem Abbruchunternehmen der Immobilienbesitzer den Ausbau und die Fracht der Bauteile. Die Bauteile können, natürlich je nach Art und Größe, geliefert werden oder werden vor Ort abholbereit bereitgestellt. Ist eine solche Zeitspanne für Ausbau und Abholung gut organisiert, fällt für die Bauteile am Ende nur wenig Lagerzeit an, denn auch Zeit ist in einem Bauprojekt natürlich eine Ressource.

mR: Wie viele Bauteile konnten Sie in dem Projekt an neue Eigentümer:innen vermitteln, beziehungsweise wie viel Prozent der Teile wurden einer neuen Nutzung zugeführt?

MHS: Von den bei Concular online eingestellten Bauteilen sind es tatsächlich 78 Prozent, 288 Bauteile an der Zahl, die wir an neue Eigentümer:innen verkaufen konnten. Das ist eine hohe und zugegebenermaßen von uns zu Beginn nicht einmal erwartete Zahl. Unterm Strich ergibt das etwa 18 Tonnen CO₂, die damit eingespart werden konnten. Es ist aber auch ein interessanter Aspekt hinsichtlich der Bindung zu einem Objekt. Der Aspekt des „Kuriosen“ ist sicherlich für einige Kund:innen auch ein Grund, sich bei einem solchen Verkauf einmal umzusehen, insbesondere vielleicht auch für Menschen, die rege Nutzer:innen der Bücherei waren oder eine Bindung zum Ort haben. Hinzu kommt auch noch ein gewisses „soziales Miteinander“. Als Schlussveranstaltung haben wir die letzten noch verbliebenen Bauteile bei einer Abrissparty versteigert, bei der die ganze Stadt eingeladen war. Auch hier konnten noch einige Baumaterialien neue Besitzer:innen finden.

Blick in das Buch "Architektur. Im Kreis" zum Zirkulären Ansatz beim Umgang mit der Alten Stadtbücherei in Augsburg (Bild: Buch "Architektur. Im Kreis")

Zahlreiche Bauteile der Alten Stadtbücherei Augsburg fanden glückliche Käufer:innen und eine neue Heimat (Bild: Buch “Architektur. Im Kreis”)

mR: Haben sie denn teilweise noch gehört, wohin die Bauteile dann gingen oder wo sie nun eine neue Nutzung erfahren?

MHS: Sicherlich. Schon bei den Abholtagen haben uns die Menschen ja auch teilweise erzählt, was sie mit den Bauteilen vorhaben. Die Türen der Bücherei zieren jetzt Hotelzimmer auf Rügen. Die Roste über den Kellerfenstern dienen nun als Mountainbikerampen. Ein Bücherschaukasten hat in Ulm eine neue Heimat gefunden. Verschiedene Räume in und um Augsburg sind jetzt sicherlich mit den Vorhängen der Bücherei geschmückt. Ein Heizkörper ist in ein Musikstudio umgezogen. Und nicht zuletzt: Beim Neubau unseres Institutsgebäudes wurden die Lampen aus der Stadtbücherei auf LED umgerüstet und neu eingebaut.

mR: Welche Erkenntnis kann man also aus dem Projekt für die Allgemeinheit und das Bauen ziehen?

MHS: Die Quintessenz aus unserem Projekt kann man eigentlich ganz einfach zusammenfassen: „Ja, es ist möglich!“ Es war ein Erfolg, nicht nur für uns als Seminar, sondern vielmehr konnten wir mit diesem Projekt auch beim bayerischen Staat einige Weichen stellen, die in Zukunft die Möglichkeit ergeben, Ressourcen einzusparen. Wir sprechen hier tatsächlich auch von hohen Summen, die sonst in Demontage und materialgerechter Entsorgung investiert werden müssten.

In unserem Architekturbüro arbeiten wir auch immer wieder an Neubauten, in die wir gebrauchte Bauteile integrieren. Aktuell beispielsweise an einem Bauprojekt in Berlin, wo wir Teile eines abgebrochenen Karstadt-Warenhauses integrieren. Es muss aber sicher noch viel passieren, zuallererst in den Köpfen von uns allen. Neu ist eben nicht immer besser, es schont aber unsere Ressourcen und Erde – und das brauchen wir dringend. Und gerade die erwähnten Änderungen in den EU-Regelungen können dazu beitragen, dass auch Plattformen wie Concular Zuwachs bekommen.

Das Gespräch führte Peter Liptau.


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