Petra Wörner (wtr) über das Klinikum Aachen (22/2)

Das Aachener Klinikum (Weber & Brand, 1971–1985) gilt als deutsches Gegenstück zum Centre Pompidou, dessen High-Tech-Architektur durch ein Gewirr aus Röhren und Versorgungsschächten zeichenhaft nach außen sichtbar wird. Im Jahr 2004 gewann das Büro wörner traxler richter planungsgesellschaft mbH (wtr) die Ausschreibung, um den gesamten Pflegebereich des Krankenhauses zu sanieren und neu zu strukturieren. Die Arbeiten erstreckten sich von 2008 bis 2013, im Jahr 2008 stellte man das Klinikum zusätzlich unter Denkmalschutz. In der Folge wurde ein Drittel der etwa 10.000 Quadratmeter fassenden Nutzfläche renoviert. moderneREGIONAL sprach mit der Architektin Petra Wörner (*1957) von wtr über den Umgang mit dieser ebenso umstrittenen wie geliebten ‘Gesundheitsfabrik’.

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Was war genau Ihr Auftrag, als das Büro wtr Architekten 2004 mit der Sanierung des Aachener Klinikums begonnen hat?

In der Ausschreibung war von Sanierung die Rede, der genaue Umfang dieser „Neustrukturierung“ wurde nicht konkret ausgeführt. Doch wir wussten zum damaligen Zeitpunkt, dass bei allen Kliniken von einer Reduzierung der Betten gesprochen wurde. Der Gesamtumfang bestand aus drei Bauphasen von je vier Bettenflügeln à drei Geschosse – inklusive einer psychiatrischen Abteilung, die seinerzeit auszog und damit Flächen sowie einen Dachgarten freigab.

Während der Planungsphase erstellten wir ein Gutachten zur aufkommenden Frage, ob man das Gebäude nicht gänzlich abbrechen und neu errichten sollte. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen, die mit Lehre und Forschung im Klinikum untergebracht war und ist, wurde gerade als neue Exzellenzuniversität zertifiziert. Damit stand die Frage im Raum, ob sie aus dem Gebäude ausziehen soll. Das hätte Fläche für den Klinikbetrieb frei gemacht, aber die RWTH blieb und das Klinikum wurde nicht abgerissen. Doch der Pflegebereich war damals vollständig klimatisiert, was aus heutiger Sicht energetisch schwierig ist. Einige Kranken- und Personalzimmer mussten völlig ohne Tageslicht auskommen. Das ist nicht nur unkomfortabel, sondern widerspricht jeglicher Aufenthaltsqualität für Patient:innen und angemessener Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter:innen.

Aachen, Klinikum, Schema zur Sanierung des Pflegebereichs (Bild: rwt Architekten)

Aachen, Klinikum, Schema zur Sanierung des Pflegebereichs (Bild: wtr Architekten)

Mit der Sanierung konnten Sie die Bettenanzahl reduzieren und rund 10 Prozent Nutzfläche gewinnen, um etwas Licht und Luft hereinzulassen. War das gerasterte Bausystem dabei von Vorteil?

In die Gebäudeflügel wollten wir von oben ‘Löcher’ stanzen, um Innenhöfe zu schaffen. Damit erhielten die Zimmer natürliches Licht, Luft und mehr Aufenthaltsqualität. Die gerasterte Bauweise war dafür besonders gut geeignet, weil man die Elemente einfach herausheben und vergleichsweise unkompliziert Innenhöfe herstellen konnte. Wir mussten dafür keine Stahlbetondecken und Ziegelwände einreißen. Im Innern ließen sich die Materialien zudem bis auf den Rohbau abtragen. Unseren gesamten Ausbau konnten wir dann quasi als Neubau behandeln. Durch die klar gerasterte Struktur der Medienversorgung erfolgte auch der neue Innenausbau, jetzt im Trockenbauverfahren, zügig und problemlos.

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Aachen, Klinikum, Bauarbeiten, frühe 1970er Jahre (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Wo liegen die Schwachstellen des Klinikums?

Leider gibt es zu wenig Menschen, die eine solche Megastruktur weiterdenken können und wollen. Es wäre sinnvoll, dauerhaft Ausgleichsflächen bereitzuhalten, die eine rotierende Sanierung eines solchen Großkomplexes ermöglichen. Beispielsweise lässt sich nicht der gesamte OP-Bereich auslagern, immerhin gibt es im Klinikum 30 OP-Säle! Eigentlich hätte man etwa 15 Jahre nach der Inbetriebnahme des Krankenhauses auch einen dauerhaften Interimsbereich einrichten müssen, einen oder gleich zwei ‘Blanko-Gebäudeflügel’ – wie ein kleines Ersatzkrankenhaus.

Selbstverständlich war es auch schwierig und aufwändig, die zeittypischen Materialien zu entsorgen. Die Nasszellen beispielsweise bestanden aus tiefgezogenen einteiligen Kunststoffelementen, die heute als Sondermüll gelten. Zudem entstand das Klinikum in „Synchronplanung“: Während man bereits mit den Arbeiten begonnen hatte, wurde noch weitergeplant. Aber das ist an sich kein Problem. Irgendwann müssen Sie ja mal anfangen. Und gerade beim Krankenhausbau sind kontinuierliche Anpassungen an den aktuellen Betrieb die Regel.

Auch Ihre Sanierung war Änderungen unterworfen: Von den drei geplanten Arbeitsphasen konnten zwei nicht mehr umgesetzt werden.

Ja, die Sanierung, die dem Haus neue Klarheit geben sollte, blieb soweit wir wissen ein Fragment. Das lag vor allem an großen Umstrukturierungen innerhalb der Zuständigkeiten für den Bau und explizit des Klinikums. So wechselt man heute quasi zwischen Design und Struktur der 1970er und 2010er Jahre.

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Ist Denkmalschutz für ein solches Nutzgebäude sinnvoll?

Schon vor der offiziellen Unterschutzstellung war das Gebäude als denkmalwürdig eingestuft und insofern haben wir während der gesamten Planungsphase mit den zuständigen Behörden sehr kontruktiv zusammengearbeitet. Aber selbst wenn ein Gebäude dieser Bedeutung aus ikonographischen Gründen erhalten werden soll, so ist im Rahmen des Denkmalschutzes auch ein geeignetes Nutzungskonzept zu entwicklen. Wenn man in Aachen irgendwann gar nicht mehr Krankenhaus sein kann, dann eignet sich diese Architektur vielleicht als Universitätsgebäude oder als Ministerium. Denkmalschutz ist nichts Triviales! Es bedarf eines unglaublichen Wissens, um die Fügungen sowohl funktional als auch konstruktiv / ästhetisch richtig herzustellen – und zu verstehen, was das Gebäude für ein Individuum ist.

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Wie konnten durch die Sanierung die besonderen Qualitäten des Klinikums herausgearbeitet werden?

In den eingefügten Innenhöfen nehmen die Brüstungen aus gefärbtem Glas nun das bauzeitliche Farbkonzept auf, aber sie bringen ein neues Material ein. Die Technikaufbauten reflektieren sich in den Oberflächen und werden quasi im übertragenen Sinne bildhaft fortgesetzt. Das Achsmaß und die Fensterteilung wurden beibehalten. Damit sind die Innenhöfe zwar repräsentativ für die neue Bauphase zu erkennen, aber erscheinen auf Augenhöhe mit dem Bestandsbau. In den Innenräumen konnten wir wegen des Brandschutzes nicht ganz die Offenheit des Ursprungsbaus beibehalten. Gerade die Nasszellen der Zimmer, die Farben von Böden und Wänden, die Teppiche auf den Gängen waren charakteristisch für Ihre Zeit. Wir haben das Farbkonzept analysiert und auf das Heute übertragen.

Wichtig war es, den Charakter des Hauses zu erkennen und beizubehalten. Denn im Gegensatz zu unzähligen anderen Krankenhauskonglomeraten, hat man beim Klinikum Aachen schon während des Bauens sehr systemisch gedacht. Einige Dinge konnten wir dann vereinheitlichen, um diese Flexibilität zu bewahren. Beispielsweise eignen sich die Pflegezimmer nun für Low- und High-Care gleichzeitig. Mit einigen kleineren technischen Änderungen können Sie so aus einem normalen Krankenzimmer ein Intensivzimmer machen.

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Kann gute Architektur bei der Genesung helfen?

Wir sind überzeugt von der Wirksamkeit der Individualität eines jeden Gebäudes, der Ausstrahlung seiner Seele auf die Benutzer:innen, des sich Wohlfühlens in seinem Kosmos. Ob ich beispielsweise eine Wand weiß streiche oder rosa, kostet das Gleiche. Aber die Umsetzung eines sensiblen auf den Ort abgestimmten Farb- und Materialkonzeptes ist für den Charakter des Hauses essentiell. Daher versuchen wir, die Gebäude auch für das Personal attraktiv zu gestalten: lichte, luftige Aufenthaltsräume mit guten Möbeln, eben nicht nur die Besenkammer für die Rauchenden.

Als Anwält:innen der Menschen, die diese Gebäude später nutzen werden, haben wir Architekt:innen eine große Verantwortung. Wenn ich Vertrauen in die Atmosphäre des Hauses habe, dann fördert das mit absoluter Sicherheit den Heilungsprozess. Die Aufenthaltsdauer der Patient:innen verkürzt sich deutlich und ist messbar. Dafür investieren wir in ein attraktives Wegeleitsystem, arbeiten mit Künstler:innen und visuellen Designer:innen zusammen. Da bin ich ja ganz in Ulm, Otl Aicher auf der Schulter sitzend … (lacht)

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Bei Ihrem aktuellen Projekt, am neuen Städtischen Klinikum in Karlsruhe, haben Sie mit verschiedenen Künstler:innen und einem Philosophen zusammengearbeitet haben, um eine ganz neue Form des ‘Willkommenheißens’ zu schaffen. Warum ist Ihnen dieser Ansatz so wichtig?

Ein Krankenhaus ist kein Gebäude, vor dem man Angst haben muss. Dort arbeitet keine hingebungsvollere Berufsgruppe als medizinische oder pflegende Mitarbeiter:innen! Wir möchten als Architekt:innen für das Wohl der Patient:innen unser Bestes geben, damit die traditionelle Schwellenangst abgebaut wird. Es müsste eigentlich normal sein, dass wir mit der Verletzlichkeit unseres Leibes gerne in diese Institutionen gehen, um dort geheilt zu werden. Ein Krankenhaus bedeutet auch Begleitung bei der Geburt und, beispielsweise bei der Palliativbehandlung, am Lebensende. Hier gibt man den Kranken, aber auch den Angehörigen, Schutz und nimmt sie sinnbildlich an die Hand. Genau deshalb bin ich nach wie vor verliebt in das Aachener Klinikum, das diesen Dienst seit Jahrzehnten verlässlich mit Hochleistung verrichtet.

Das Gespräch führte Peter Liptau.

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Aachen, Klinikum (Bild: Klinikum der RWTH Aachen)

Petra Wörner (*1957, Karlsruhe), studierte Architektur an der Universität Stuttgart und am IIT-Illinois Institute of Technology in Chicago. Nach beruflichen Aufenthalten in Chicago und New York arbeitet sie seit 1984 für wörner traxler richter, zunächst als Entwurfsarchitektin und Projektleiterin. 1991 wurde Petra Wörner Gesellschafterin, 1993 Büromitinhaberin und Partnerin am Standort Frankfurt und ist seit 1997 geschäftsführende Gesellschafterin der wörner traxler richter planungsgesellschaft mbh. Petra Wörner ist als Referentin und Preisrichterin tätig und war von 2015 bis 2017 Mitglied und Vorsitzende des Gestaltungsbeirates der Stadt Linz und satzungsgemäß von 2017 bis 2021 als Vertreterin des BDA gewähltes Mitglied des Städtebaubeirates der Stadt Frankfurt am Main.

Petra Wörner (Bild: wörner traxler richter planungsgesellschaft mbh)

Titelmotiv: Petra Wörner (Bild: Frank Blümler)

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