von Michael Grote (22/3)

Die Vespa ist Kult. Seit inzwischen mehr als 75 Jahren bevölkern die blechernen Wespen die Straßen der Welt. Fast 20 Millionen Exemplare wurden mittlerweile zusammengesetzt, zeitweise als Lizenzbauten auch in Deutschland. Ihr Design ist unverkennbar, und für viele war eine Vespa – bei Weitem nicht nur in Italien – die erste Freiheit auf Rädern. Vor allem in den 1950er und frühen 60er Jahren erlebten Motorroller aus Italien ihre Blütezeit. Ein solches Fahrzeug hatte es zuvor nicht gegeben. Das wundert wenig, denn ihr Konstrukteur war Corradino D’Ascanio – ein Ingenieur, dessen Traum es eigentlich war, Hubschrauber zu bauen. Er entwickelte das Konzept der Vespa kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Auftrag von Enrico Piaggio, indem er von einem sitzenden Menschen ausging, um den herum er die Technik des neuen Zweirades anordnete. Weil sich der Tank unter der Sitzbank und nicht vor dem Fahrer befand wie bei einem Motorrad, bot die Vespa einen freien Durchstieg und durch das serienmäßige Beinschild einen gewissen Wetterschutz. Damit war die Neukonstruktion Menschen im Freizeitdress ebenso interessant wie für Menschen, die ins Büro fahren mussten.

So sind Emma und ihr langjähriger Besitzer heute unterwegs (Bild: privat)

Die Vespa im Allgemeinen

In den Folgejahren wurde die Vespa mehr als ein Fahrzeug. Wer sie fuhr, drückte damit häufig zugleich ein gewisses Lebensgefühl aus: den Hang zu Freiheit und Individualismus. Junge Leute mit Motorrollern wollten sich damit zum Beispiel von den Rockern und ‘Halbstarken’ abheben, die mit ihren Mopeds oder Motorrädern und ihrer Lederkluft für eine Art leicht primitive Raubeinigkeit standen. Wo das Moped Kraft und Sportlichkeit repräsentierte, stand die Vespa für Eleganz und die Leichtigkeit des Seins. Spätestens seit Mitte der 1960er Jahre hatte die aus Großbritannien auf den Kontinent übergeschwappte Mod-Welle dafür gesorgt, dass Rollerfahrer:innen von ihrer Umwelt auf eine bestimmte Weise wahrgenommen wurden.

Ihre charakteristischen Form hat sich die Vespa über die Jahrzehnte erhalten. Zwar wurden die Motoren immer kräftiger, was Hubraum-Obergrenze und Kraftentfaltung anging. Irgendwann wich das chrakteristische “Reng-deng-deng” des drehschiebergesteuerten Zweitakters dem unauffälligeren Klang eines Viertakter-Einzylinders. Doch bis heute ist eine Vespa sofort optisch identifizierbar. Dabei ist es völlig egal, ob sie 70, 50 oder fünf Jahre alt ist. Das macht sie zu einer Design-Ikone.

In den 1980er Jahren trat der Autor mit Emma bei Turnieren und Sportläufen an (Bild: privat)

Emma im Speziellen

Die Vespa, von der im Folgenden die Rede ist, hat ebenfalls bereits fast 50 Jahre auf dem runden Buckel – und zwar vom ersten Tag an in Familienbesitz. Im Grunde sind die Ölscheichs schuld: Weil sie im Winter 1972/73 die Ölhähne zudrehten und damit das Benzin ähnlich sprunghaft teurer wurde wie in der jüngsten Vergangenheit. Das führte bei meinem Vater zu der Überlegung, dass er seinen täglichen Arbeitsweg quer durchs Ruhrgebiet mit einem Zweirad billiger bewältigen konnte als mit dem Opel Rekord, der uns als Familien-Limousine diente. Die Wahl fiel auf das damals kurz zuvor neu herausgekommene Flaggschiff des Vespenschwarms: eine Vespa Rally 200 in zeittypischem Orange mit weißen Seitenstreifen. Am 26. April 1973 holte ich (damals zehn Jahre jung) sie mit meinem Vater beim Händler in der Dortmunder Innenstadt ab.

Fünf Jahre lang versah die binnen Kurzem „Emma“ genannte Vespa ihren Dienst, bis ein gebrauchter Fiat als Zweitfahrzeug Einzug hielt. Sie musste weitere fünf Jahre warten, bis ich sie im Frühjahr 1982 auf meinen Namen zuließ. Emma war für die nächsten Jahre mein Alltagsvehikel, bis ich im Sommer 1986 dem Drängen eines Kameraden aus dem Motorsport-Club nachgab und sie ihm verkaufte. Diese Entscheidung habe ich allerdings bereits im folgenden Jahr revidiert. Das Türkisgrün, in das der Club-Kollege Emma während ihres Intermezzos bei ihm gehüllt hatte, gefiel mir von vornherein nicht wirklich. Ein Unfall, bei dem mir ein Volontär unseres Radiosenders mit meinem eigenen Pkw an einer Ampel auffuhr, verschaffte Emma daher ein neues Lackkleid im Ende der 1980er Jahre modischen Farbton Apricotbeige.

Der Autor mit Emma und Freundin Tina in den 1990er Jahren bei einem Vespatreffen im romantischen Rothenburg ob der Tauber (Bild/Titelmotiv: privat)

Das Leben miteinander

Von da an war Emma für weitere zehn Jahre mein Spaßgefährt, mit dem es zu Reportageterminen, aber auch ins Grüne oder zu diversen Vespa-Treffen ging. Unsere 1992 und 1995 geborenen Töchter liebten es ebenfalls, gemeinsam mit ihrem Vater und Emma Ausflüge zu machen. Ein weiterer Unfall, bei dem eine aus einer Spielstraße kommende Autofahrerin mir die Vorfahrt nahm, ließ Emma in einen mehrjährigen Dornröschenschlaf sinken. Doch schließlich raffte ich mich im Frühjahr 2010 auf, die inzwischen komplett zerlegte und blechmäßig gesundete Emma wieder in Arbeit zu nehmen. Als Farbton entschied ich mich diesmal für ein dunkles Blau. Das gab es zwar ab Werk auf der 200 Rally, aber im deutschen Vespa-Programm wurde sie nie in dieser Farbe angeboten. Eine Rally aus Skandinavien, die ich Anfang der 1980er Jahre in dieser Lackierung gesehen und seinerzeit fotografiert hatte, diente mir als Vorlage. Seither machen Emma und ich wieder die weitere Umgebung von Dortmund unsicher und tauchen gern auf diversen Oldtimer-Veranstaltungen auf. Die Zeiten, als wir auf eigenen Rädern Sportveranstaltungen und Vespa-Treffen in halb Europa bereisten, sind aber wohl vorbei.



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Bonus-Beitrag

Inhalt

Das blaue M

Das blaue M

Barbara Dechant über einen letzten Zeugen der “Berliner Markthalle”.

Die Telefonzelle

Die Telefonzelle

Svenja Hönig und Fabian Schmerbeck über die Zeiten, als ein Telefon noch ein Kabel und ein Dach hatte.

Die Bröselmühle

Die Bröselmühle

Sophia Walk über den Kiosk der Stadtbücherei, geformt wie ein geöffnetes Buch.

Tina, Emma und ich

Tina, Emma und ich

Michael Grote über sein Stück Freiheit auf zwei Rädern.

Die Rathaustasse

Die Rathaustasse

Cordula Schulze über das Souvenir eines 40. Geburtstags.

Die Tier-Pavillons

Die Tier-Pavillons

Nini Palavandishvili über abchasische Fantasiegebilde.

Die Dreibein-Leselampe

Die Dreibein-Leselampe

Martin Turck über einen seltenen Designklassiker.

Das Schmetterlingsdach

Das Schmetterlingsdach

Mark Meusel über Haus Paepke im hessischen Carlsdorf.

Die Altstadt-Laterne

Die Altstadt-Laterne

Karin Berkemann über eine bemerkenswerte Zutat der Greifswalder Altstadtplatte.

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